Zwei Männer sind in den vergangenen beiden Wochen in Baden-Württemberg durch Schüsse aus Polizeiwaffen ums Leben gekommen. Der erste wurde erschossen, nachdem er in Wangen bei Göppingen unerwartet zwei Polizeibeamte mit einem Messer angegriffen und einen davon schwer verletzt hatte.
Der zweite Mann war nächtens nach einer gewaltsamen Auseinandersetzung in einer Bar im Stuttgarter Osten auf der Flucht und wurde von der Polizei gestellt. Ein Beamter gab einen Schuss auf ihn ab, an dessen Folgen der Tatverdächtige starb. Die genauen Umstände sind noch nicht aufgeklärt, es wird noch ermittelt.
Wohl kein noch so exzellentes Training kann Polizeibeamte auf den einen Moment im Einsatz vorbereiten, wenn eine Situation eskaliert und in einem dynamischen Geschehen in Sekundenbruchteilen eine Entscheidung getroffen werden muss, die das Leben anderer Menschen, aber auch das eigene grundlegend verändern und unter Umständen sogar beenden kann: schießen oder nicht schießen?
Hätte es eine andere Möglichkeit gegeben?
Die Folgen einer solchen Entscheidung, so oder so, müssen Polizeibeamten ein ganzes Leben mit sich tragen. Und damit im Fall eines tödlichen Schusses die Frage, ob es vielleicht noch eine andere Möglichkeit gegeben hätte. Dem Einsatz und der Verantwortungsbereitschaft der Männer und Frauen in Polizeiuniform, die sich solchen Situationen stellen, schuldet die Gesellschaft Anerkennung, Dank und Respekt.
Deshalb ist es unerlässlich, wenn sich die Beamten im Fall der Fälle auch der hundertprozentigen Rückendeckung ihrer Vorgesetzten und der politischen Ebene sicher sein können. Sie müssen sich aber auch auf zweierlei verlassen können: Erstens, dass sie auf der Straße nicht mit den Folgen von verbaler Aufrüstung politisch Verantwortlicher konfrontiert werden. Und zweitens, dass sie nicht in falsche Sicherheit gewogen werden.
Juristisch auf dünnem Eis
Wenn Innenminister Thomas Strobl daher mit markigen Worten verkündet, ein Messerangriff auf einen Polizisten rechtfertige für ihn den Einsatz der Schusswaffe, mag das eine nachvollziehbare persönliche Äußerung sein, der wohl viele Menschen zustimmen könnten. Erst recht, wenn ihnen noch die schreckliche Messerattacke gegen den Mannheimer Polizeibeamten Rouven Laur vor einem Jahr in Erinnerung ist.
Juristisch aber hat sich der Innenminister mit dieser Ansage, wie ihm postwendend aus Reihen der Polizei, aber auch von externen Juristen und Polizeirechtlern bescheinigt wurde, auf gefährlich dünnes Eis begeben. Denn es ist gesetzlich ganz klar geregelt, wann Polizeibeamte ihre Waffe einsetzen dürfen – wenn es eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben des Beamten oder Dritter gibt und wenn diese Gefahr nicht anders abgewendet werden kann.
Nicht jeder Messerangriff rechtfertigt qua Gesetz eben automatisch einen Schusswaffeneinsatz. Auch nicht, wenn der Innenminister – selbst Jurist – dies quasi als Freibrief so formuliert. Kein Polizeibeamter wird deswegen zum Rambo. Aber es ist nicht ausgeschlossen, dass im einen oder anderen Fall solche vereinfachenden Solidaritätsbotschaften dazu führen, dass in unklaren Situationen die Hemmschwelle zum Waffengebrauch sinkt. Aber Messerangriff ist nicht gleich Messerangriff, und jede Situation ist anders.
Es gilt der Wortlaut des Gesetzes
In unserem Rechtsstaat wird jeder polizeiliche Schusswaffeneinsatz im Nachgang von den Ermittlungsbehörden auf seine Rechtmäßigkeit hin geprüft. Auf bloße Aussagen des Innenministers können sich Beamten, die geschossen haben, im Zweifelsfall aber nicht berufen. Denn es gilt eben nicht das Wort des Innenministers, sondern der Wortlaut des Gesetzes.
Polizeibeamte, die geschossen haben, können sich zwar sicher sein, dass ihre Lage dabei fair und von Experten beurteilt wird, die das Einsatzszenario richtig einschätzen können. Konkret mehr helfen als markige Worte des Innenministers könnten den Beamten dabei aber die Auswertungen von Bodycam-Aufnahmen. Diese könnten den besten Eindruck davon vermitteln, wie sich eine kritische Situation für den betroffenen Beamten dargestellt hat.
Keine Aufnahmen der Bodycam
Aber von beiden tödlichen Schusssituationen gibt es keine Bodycam-Aufnahmen. Die Frage muss gestellt werden: warum eigentlich nicht? Für diese Antwort wäre der Innenminister wirklich zuständig. Denn Beamten sollen die Bodycam zwar tragen, es liegt aber in ihrem Ermessen, sie auch einzusetzen und Situationen aufzuzeichnen. Die Aufnahmen könnten sie unter Umständen vielleicht belasten – aber vor allem auch entlasten.
In jedem Fall aber gebietet es die Fürsorgepflicht eines Innenministers, nicht den Sheriff zu spielen, sondern seine Worte sorgfältig zu wägen und keine Schnellschüsse abzugeben.