Herr Laumann, die Union ist zuletzt viel kritisiert worden für das gemeinsame Abstimmen mit der AfD. Sie sind nicht im Bundestag, aber trotzdem würde uns interessieren, ob Sie das für richtig hielten.
Die Menschen erwarten eine Antwort bei der Migrationsfrage. Die Antworten hierauf müssen aber in der demokratischen Mitte gefunden werden, davon bin ich fest überzeugt. Mich betrübt es sehr, dass dies nicht möglich war. Als Christdemokrat ist es mir wichtig, jetzt in dieser Zeit den Gesprächsfaden aufrechtzuerhalten.
Es kam aus den Kirchen auch inhaltliche Kritik an der Flüchtlingspolitik der CDU, konkret am Zustrombegrenzungsgesetz. Trifft Sie das als Katholik?
Nein. Es ist ja so, dass wir in der Bevölkerung eine Mehrheit für Weltoffenheit und auch für die Aufnahme von Menschen aus anderen Ländern haben wollen. Dann müssen wir diesen Zuzug aber ordnen, weil er uns sonst einfach über den Kopf wächst.
Die ukrainischen Flüchtlinge beziehen in Deutschland alle sofort Bürgergeld. War das ein Fehler?
Ja und nein. Wären auch die Ukrainerinnen und Ukrainer über das Asylbewerberleistungsgesetz abgesichert worden, dann hätte die ganze Administration bei den Ausländerämtern gelegen, die jetzt schon völlig überlastet sind.
Man muss das auch von der Kostenseite sehen: Das Bürgergeld ist überwiegend bundesfinanziert. Auch die Gesundheitsversorgung ist über die Sozialversicherung abgesichert und nicht über die Kommunen. Und durch das Bürgergeld stehen die Ukrainerinnen und Ukrainer ja vom ersten Tag an dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.
Aber es sind deutlich weniger Ukrainer in Arbeit als erwartet.
Was wir in Deutschland falsch gemacht haben, ist, dass wir die Philosophie vertreten haben: Die Menschen sollen erstmal alle Sprachkurse und Integrationskurse machen für acht Monate. Und dann wundern wir uns, dass wir so niedrige Integrationsquoten in den ersten Arbeitsmarkt haben.
Ich glaube auch, dass man sagen darf: Wir haben die Menschen an das Bürgergeld gewöhnt. Wo solche Sozialleistungen wesentlich niedriger sind, haben es die Leute eiliger mit der Aufnahme von Arbeit.
Die CDU will die Ukrainer aus dem Bürgergeldbezug rausnehmen. Geht das im Nachhinein so einfach?
Das Gesetz hat ja einen Auslaufzeitpunkt. Und zumindest für neue Flüchtlinge kann etwas anderes gelten. Es muss aber unbedingt klar sein, dass sie auch in Zukunft vom ersten Tag an arbeiten können.

Markus Söder sagt: Wir müssen das Bürgergeld generell schleifen. Wie sehen Sie das?
Ich sehe das etwas differenzierter. Ich glaube, dass das mit dem Bürgergeld, dem am Ende nach einem Vermittlungsverfahren auch die CDU zugestimmt hat, keine gute Idee war. Wir haben das Fordern zu stark zurückgenommen. Die Jobcenter in Nordrhein-Westfalen berichten, dass die Termintreue der Leute erheblich abgenommen hat. Das ist etwas, was sich der Staat nicht gefallen lassen darf.
Weil es sanktionslos bleibt?
Ja, und weil die Sanktionen in der Anwendung zu bürokratisch sind. Wir gehen es in NRW in den kommunalen Jobcentern anders an. Wir haben im vergangenen Jahr eine Vermittlungsoffensive gestartet und dadurch 11,5 Prozent mehr Leute vermittelt. In diesem Jahr setzen wir sie fort und legen den Schwerpunkt auf persönliche Kontakte. So sollen die Jobcenter-Mitarbeiter, die in der Vermittlung tätig sind, jede Woche 20 persönliche Gespräche machen. Eine enge Kontaktdichte ist eine ganz wichtige Sache.
Ich gehöre zu den Politikern, die die 563 Euro Regelsatz bei Alleinstehenden im Bürgergeld nicht kritisieren. Wer 563 Euro zu viel findet, ist nach meiner Meinung schon lange nicht mehr einkaufen gegangen. Aber wenn man Regelsatz und angemessene Miete zusammenzählt, ist man auf jeden Fall nicht sehr weit von Einkommen im Niedriglohnsektor weg.
Das lässt sich aber nur schwer auflösen. Deswegen bin ich für eine höhere Kontaktdichte bei der Arbeitsvermittlung. Und wenn die Leute eine gute Arbeit nicht annehmen, kann man mit den Sanktionen auch den Bürgergeld-Bezug deutlich kürzen.
Die CDU hält an der Rente mit 67 fest. Dabei sprechen doch alle Fakten dagegen, dass wir das halten können, ohne länger zu arbeiten.
Wie soll das in vielen Berufen gehen? Glauben Sie, dass die Leute auf dem Bau wirklich bis 70 arbeiten können?
Die ganze Bundesrepublik ist offenbar auf dem Bau beschäftigt.
Nein, das wird schon bei der Krankenschwester mit Schichtdienst zum Problem. Wir haben eine Abmachung: Wir gehen jetzt auf 67 und daran halten wir fest. Der Ansatz der CDU ist, die zu belohnen, die länger arbeiten wollen.
Die paar, die das freiwillig machen, werden kaum ausreichen, um das Rentensystem zu retten.
Wir werden sehen, ob das nur ein paar sind. Wir haben es noch nicht ausprobiert, bisher gab es noch nie richtig gute Anreizsysteme dafür.

Aber exzellente Anreizsysteme für den Vorruhestand.
Ja, die deutsche Wirtschaft ist wieder dabei, das zu machen. Am Wochenende wird auf den Arbeitgebertagen das Arbeiten bis 70 gefordert und montags wird die Vorruhestandsregelung eingeführt. Wir werden wahrscheinlich einen stärkeren Abbau von industriellen Arbeitsplätzen haben. Und da ist bei den großen Unternehmen die Linie ganz klar: keine betriebsbedingten Kündigungen.
Was heißt das denn? Das kann auf Kosten der Rentenversicherung gehen und hat negative Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt.
Die CDU wollte in ihrem Grundsatzprogramm den Renteneintritt an die Lebenserwartung koppeln. Haben Sie jetzt doch Angst vor den Wählern bekommen?
Nein. Ich finde, wir haben uns für die richtige Philosophie entschieden. Sie müssen sehen, was ein höheres Renteneintrittsalter für den Teil der Leute bedeuten würde, die relativ früh angefangen haben zu arbeiten. Das wäre nichts anderes als eine Rentenkürzung, weil sie dieses Ziel nicht erreichen können oder es die Unternehmen auch gar nicht wollen, und dann gehen Sie mit Abschlägen, also einer Rentenkürzung.
Es ist doch so: Wenn jemand immer durchschnittlich verdient hat, das sind in NRW etwas über 4000 Euro brutto im Monat, dann geht man mit ungefähr 1550 Euro Rente nach Hause. Das ist die Wahrheit. Deswegen sehe ich bei der Rentenhöhe überhaupt keine Spielräume.
Viele junge Menschen denken heute: Rente kriege ich sowieso nicht mehr. Was sagen Sie denen?
Ich glaube, dass die Rente sicherer ist als so manche kapitalgedeckten Systeme. Die entscheidende Frage ist aber: Wie viele sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze gibt es in Deutschland? Davon ist die Stabilität der sozialen Sicherungssysteme abhängig. Ich setze darauf, die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten hoch zu halten, auch durch Migration. Nur so können wir die Finanzierung der Sozialversicherungen sichern.

Die Abstände zwischen Rentenniveau und Pensionen sind gigantisch. Aber da geht keiner ran.
Ich wundere mich schon, dass bei der ganzen Rentendebatte die Höhe der Pensionen nicht in Frage gestellt wird. Bei allen Schwierigkeiten, die unterschiedlichen Systeme miteinander zu vergleichen, sollte man sich diese Unterschiede noch einmal ganz genau angucken.
Muss man an die Niveaufrage ran?
Ich glaube das Entscheidende ist, dass wir es schaffen, die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bekommen. Dann werden die Renten automatisch weiter steigen. Das muss das Ziel sein. Da muss der Gesetzgeber gar nicht tätig werden.
Pflege- und Krankenkassen sind unter Druck. Was wollen Sie dagegen tun?
In der Sozialversicherung gibt es Leistungen, die wir Beitragszahler bezahlen, die eigentlich der Staat bezahlen sollte. Wir gesetzlich Versicherten finanzieren zum Beispiel erheblich die Gesundheitskosten der Bürgergeldempfänger.
Noch doller ist ein anderes Beispiel: Die Ausbildungskosten von Pflegekräften werden über Ausgleichsfonds in den Ländern bezahlt. Zusammengenommen sind in diesen Fonds über sechs Milliarden Euro. Neun Prozent zahlen die Länder selbst ein, das ist Steuergeld. Das übrige Geld kommt aus der Sozialversicherung und von den Pflegebedürftigen. Die Krankenhäuser zahlen einen erheblichen Anteil, aber auch die Pflegebedürftigen zahlen mittlerweile 130, 140 Euro im Monat für die Ausbildungsumlage.
Das kann man auf jeder Rechnung des Pflegedienstes sehen. Also alle Ärzte, alle Lehrer werden vom Steuerzahler ausgebildet. Nur in der Pflege haben wir es anders gemacht. Das möchte ich ändern.
Der Eigenanteil für einen Platz im Pflegeheim liegt in Baden-Württemberg bei über 3000 Euro. Wie kommen wir davon runter?
Wir müssen aus der Pflegediskussion die Dinge aussortieren, die eigentlich nicht beitragsbezogen finanziert werden sollen, weil sie gar nichts mit Pflege zu tun haben – wie das Wohnen, das hier auch mit reinzählt. Die Pflegeversicherung ist vor 30 Jahren geschaffen worden, um pflegebedingte Kosten zu bezahlen, nicht Kosten für Essen, für Wohnen und so weiter.
Dass wir über die Pflegeversicherung jetzt auch die Ausbildung des Pflegepersonals bezahlen, finde ich schon ziemlich begründungswürdig. Das wird aber kaum thematisiert, weil die alten Leute, die es betrifft, keine Stimme haben.
Die meisten Pflegebedürftigen werden zuhause gepflegt. Was muss die Politik für die Angehörigen tun?
Ohne die pflegenden Angehörigen geht es nicht. Es sind ja nur zwölf bis 14 Prozent im Pflegeheim. Wenn aber der Pflegedeckel von 1000 Euro käme, den die SPD einführen will, also dass keiner mehr als 1000 Euro für die Pflegekosten im Heim zuzahlen muss, den Rest trägt der Staat – dann verlieren wir die häusliche Pflege aus dem Blick. Die brauchen wir aber dringend, weil wir gar nicht das Personal haben, um noch mehr Leute in Pflegeheimen zu versorgen.
Müsste die häusliche Pflege deshalb besser unterstützt werden?
Ich würde das auf jeden Fall gerne wollen. Aber grundsätzlich bin ich vor dem Hintergrund der Haushaltslage mit Finanzierungszusagen vorsichtig. Ich glaube, dass wir das, was wir sagen, auch versuchen müssen zu tun. Weil das wahrscheinlich das beste Gift gegen die AfD ist.
Deswegen verspreche ich Ihnen nicht mehr Geld, aber was ich wohl machen würde: Ich würde in der Pflegeversicherung den Familien erstmal mehr Freiheiten geben. Zum Beispiel darf man in der Verhinderungspflege das Geld nicht an enge Verwandte geben – aber das ist doch irrelevant: Hauptsache der Mensch wird versorgt. Also, ich würde den Familien etwas mehr Souveränität geben, wofür sie das Geld, was sie kriegen, ausgeben.