Unglücklicher hätte die Stuttgarter Polizei den Begriff nicht wählen können. „Partyvolk„, antwortete ein Verantwortlicher auf die Frage, wer hinter der Randale vom vergangenen Wochenende stehe. Und auf Nachfrage: „Es war ein bunter Mix rund um den Globus.“ Das klingt nach einer Teenager-Party mit internationalem Flair, die aus dem Ruder gelaufen ist. Gemeinsam Musik hören, ein Bierchen trinken, etwas Shisha rauchen vielleicht, aber nichts Böses im Sinn. Ein politischer Hintergrund? Auszuschließen. Man spürt bei der Antwort der Stuttgarter Polizeispitze förmlich den Versuch, nirgendwo anzuecken.

Zur Erinnerung: Videoaufnahmen aus der Tatnacht zeigen, wie die angeblichen Partygänger mit Eisenstangen auf einen Mannschaftswagen der Polizei einschlagen. In einer anderen Szene tritt ein Vermummter einem Beamten mit voller Kraft ins Kreuz. Aus allen Bildern spricht eine tiefsitzende, immense Wut auf Staat und Gesellschaft – und vor allem auf jene, die sie repräsentieren und schützen. Schon deswegen kann das, was sich im Herzen der Landeshauptstadt abspielte, nicht unpolitisch sein. Denn hier geht es um zentrale Fragen jedes Rechtsstaats. Kann die Polizei das Gewaltmonopol des Staates durchsetzen? Und wenn ja, um welchen Preis? Und, nicht weniger dringlich: Was läuft in der Gesellschaft schief, wenn ganze Gruppen die Polizei als Feind empfinden, so dass aus einer Routinekontrolle das Signal zum Losschlagen wird? Hier scheint etwas entglitten, was besser nicht entgleiten sollte.

Verharmlosung hilft nicht weiter

Daher hilft Verharmlosung nicht weiter, sondern nur ein scheuklappenfreier Blick auf eine Szene, die den Rasen zwischen Schlossplatz, Opernhaus und Landtag allabendlich in eine Müllhalde verwandelt und nun unvermittelt ausgerastet ist. „Bunter Mix“ heißt: Nicht alle der Gewalttäter sind Zuwanderer, einige aber schon. Neun der 24 Verhafteten kamen als Asylbewerber ins Land. Viele von ihnen gerieten immer wieder der Polizei ins Gehege. Nennenswerte Konsequenzen hatte dies nicht. Viele Städte kennen das, nicht nur Stuttgart.

Somit sind es vor allem die Versäumnisse der Integrationspolitik, die sich in Stuttgart ein Ventil suchten. Ausgetragen werden sie auf dem Rücken der Polizei. Sie kann in dieser Gesellschaft offenbar nichts mehr recht machen. Greifen die Beamten in brisanter Lage durch, ist der Vorwurf der Polizeigewalt nicht weit – erst recht nach den Anti-Rassismus-Demonstrationen der vergangenen Wochen. Entscheiden sie sich für Samthandschuhe, müssen sie sich fragen lassen, wo die Polizei denn bleibt. Dieser Dauerspagat führt dazu, dass deutsche Uniformierte im Vergleich zu anderen Ländern zur Zurückhaltung neigen – mit der fatalen Folge, dass sie in gewissen Milieus nicht ernst genommen werden. In Stuttgart spielte dieser Mangel an Respekt zweifellos eine entscheidende Rolle.

Wie man die Täter bestärkt

Wer die Bundesrepublik mit Amerika verwechselt und Schlägern das Gefühl gibt, sie seien Opfer, bestärkt deshalb die Täter. Egal ob Deutsche oder Nicht-Deutsche: Offenkundig können immer weniger Menschen nachvollziehen, warum in einem Rechtsstaat die Polizei das Gewaltmonopol haben muss. Die Beamten machen die Gesetze nicht, sondern sorgen dafür, dass umgesetzt wird, was demokratisch beschlossen wurde. Es ist eine fundamental wichtige und zugleich undankbare Aufgabe. Selbst Feuerwehrleute, Sanitäter und Fahrkartenkontrolleure werden bespuckt, beschimpft und attackiert – stets im Glauben, im Recht zu sein.

Alkoholverbote reichen nicht

Dieser Irrglaube spielt dort eine größere Rolle, wo sich Parallelwelten entwickelt haben und die Werte des Grundgesetzes nicht viel zählen – das räumen mittlerweile sogar die Grünen im Land ein. Wer weitere Krawallnächte verhindern will, darf deshalb nicht nur Symptome kurieren. Ein Alkoholverbot im Schlossgarten, wie es in Stuttgart jetzt eilig gefordert wird, wird nicht ausreichen. Warum sollte diese Klientel es ernster nehmen als das Verbot, in Sichtweite des Landtags Marihuana zu rauchen? Die Polizeibeamten, die solche Anordnungen durchsetzen sollen, können einem schon jetzt leid tun. Hier können 20 Sozialarbeiter mehr ausrichten als 200 Polizisten.

Auf längere Sicht braucht es eine Migrations- und Integrationspolitik, die ihren Namen verdient. Deutschland war großzügig in der Aufnahme von Flüchtlingen, aber ohne durchgängige Strategie, was es mit den Neuankömmlingen anfangen soll. So kamen in den vergangenen fünf Jahren Hunderttausende junger Leute ins Land, von denen zu viele keine Perspektive sehen. So hängen sie abends eben irgendwo ab. Die Bundesrepublik muss lernen, den Gutwilligen unter ihnen eine echte Chance zu geben und zugleich allen anderen ihre Grenzen aufzuzeigen. Vorschläge dazu liegen schon lange auf dem Tisch.