Udo Muras, Michael Novak und Harald Pistorius

Immer wenn der Patient die Augen öffnete, sah er ihn. Seinen „Chef“, im Schlafanzug. Mit sorgenvoller Miene und einem Glas Wasser in der Hand. Alle zwei Stunden verabreichte Sepp Herberger dem jungen Stürmer Fritz Walter eine Tablette gegen die Ohrenschmerzen, die ihm der erste Flug seines Lebens eingebracht hatte.

Einsatz als Krankenschwester

In jener Oktobernacht 1941 in Stockholm wurde der Reichstrainer, der sich kurzerhand ins Doppelzimmer einquartiert hatte, mal eben zur Krankenschwester. Die Rosskur fruchtete, Fritz Walter konnte am nächsten Tag spielen. Der Arzt hatte das für unmöglich gehalten.

61 gemeinsame Länderspiele

Herberger, dessen Ehe mit Ev kinderlos blieb, hatte am Kaiserslauterner Torjäger einen Narren gefressen. 61 Länderspiele erlebten sie gemeinsam. Müßig zu fragen, was aus dem einen ohne den anderen geworden wäre, doch der WM-Triumph von Bern ist nicht zu denken ohne die Allianz von diesem gewitzten Trainer mit seinem ebenso genialen wie loyalen Kapitän.

Sie entstand im Kriegsjahr 1939 bei einem DFB-Lehrgang. Herberger sprach kein Wort mit ihm, stand am Rande und beobachtete. Dass er es an diesem Tag ins berühmte Notizbuch schaffte, erfuhr Walter erst vom Auswahltrainer des Südwest-Gaus. Neun Monate später durfte er wiederkommen. Wieder nach Frankfurt, zum Länderspiel gegen Rumänien.

Walter blieb bescheiden

Sein Debüt wurde ein Triumph, zum 9:3 steuerte er drei Tore bei und der Chef ließ ihn wissen, er sei „einer von den wenigen weißen Raben, die auf Anhieb ihren Stammplatz in der Nationalmannschaft erhalten und ihn wohl auch behaupten werden.“ Walter trug das Lob im Herzen und blieb stets auf dem Boden. So einen konnte der Chef seiner Frau vorstellen.

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Mitten im Krieg, als ein Spiel in Berlin kurzfristig abgesagt wurde, brachte er ihn mit nach Hause und seine Ev servierte Fritz Bratkartoffeln. Noch oft verspürte der Spieler die schützende Hand des Trainers und zahlte mit Leistung zurück – und mit 33 Toren. Er trat 1958 als Rekordtorjäger ab und blieb es, bis die Seelers und Müllers kamen.

Herberger wurde zum Trautzeugen

1940 in Zagreb verführten drei Spieler den unbedarften Fritz zu einer Zechtour. Dem Trio schrieb Herberger böse Briefe, „mir billigte er mildernde Umstände zu“, freute sich Walter. Berufliches und Privates vermischte sich zunehmend, im Sommer 1948 bat Walter Herberger sein Trauzeuge zu werden. Er wurde es, obwohl er der Braut eher skeptisch gegenüberstand.

Später war Italia eine wichtige Verbündete – wie nach dem denkwürdigen 1:3 von Paris im Oktober 1952, dem wohl schlechtesten Länderspiel Walters. Noch auf der Heimfahrt bot Fritz seinen Rücktritt an. Herberger lehnte ab und wies Italia an, alle Zeitungen vor ihm zu verstecken. Er brauchte sein Sensibelchen und baute für und um ihn den halben 1. FC Kaiserslautern in die DFB-Elf ein, darunter Bruder Ottmar.

Getrennt hat sie erst der Tod

Der Lohn war der sensationelle WM-Titel 1954, noch am Finalabend wurde Walter erster Ehrenspielführer des DFB. Nach Bern allerdings war ein halbes Jahr Eiszeit, weil Fritz zurücktreten wollte und, so schien es, gar ein Länderspiel schwänzte. 1955 die Versöhnung, Ende 1956 nahm sich Walter „eine schöpferische Pause“ und fehlte bis Frühjahr 1958.

Dann hatte Herberger ihn wieder weichgekocht und bei der unglücklich endenden WM in Schweden (Platz vier, Walter im Halbfinale verletzt) erlebten sie ihre letzten gemeinsamen Tage im Dienste der Nationalelf. Doch getrennt hat sie erst der Tod, wobei es in den 38 Jahren ihrer Bekanntschaft stets beim Sie blieb. Aber sie waren Brüder im Geiste, auf jedem Spielfeld.