Timo Benitz hatte in den vergangenen Tagen viele Anrufe zu tätigen. Seit klar ist, dass Olympia nicht mehr 2020 stattfinden wird, muss sich der Mittelstrecken-Läufer aus Volkertshausen anders organisieren. Von Planungssicherheit bei den Athleten war im Rahmen der Verschiebung oftmals zu lesen – für den 28-Jährigen gilt das zumindest nicht. „Ich muss jetzt überlegen, wie ich das alles geregelt bekomme“, sagt Benitz.
Und mit „alles“ meint er beinahe wirklich alles – Studium, Wohnung, Finanzen. All das stellt die Verschiebung der Wettkämpfe für den Mittelstrecken-Läufer auf den Kopf. „Es war alles durchgetaktet“, erklärt er und nennt Beispiele: Die Wohnung im Haus der Athleten in Berlin, wo er Luft- und Raumfahrttechnik an der Technischen Universität studiert. Bis Olympia hätte er hier wohnen können, nun macht er sich Sorgen, ob er bleiben kann.
Außerdem ist da noch seine Masterarbeit, die er eigentlich im Oktober nach den Spielen schreiben wollte. „Jetzt kümmere ich mich darum, schnell ein spannendes Thema zu finden und die Masterarbeit eben jetzt zu schreiben“, sagt Benitz. „Nur rumsitzen kann ich mir nicht leisten – auch finanziell nicht.“
Ein Budget von 700 bis 800 Euro
Denn anders als Sportler, die zum Beispiel von der Bundeswehr oder dem Zoll gefördert werden, muss der 28-Jährige selbst für alle Kosten aufkommen, seit er im vergangenen Jahr wegen einer Verletzung aus dem Kader des Deutschen Leichtathletik-Verbands gestrichen wurde. „Ich bekomme keine Sporthilfe und habe ein Budget von 700 bis 800 Euro im Monat“, sagt Benitz, der von einem selbst aufgebauten Netzwerk von regionalen Sponsoren unterstützt wird.
Verschiebung war eine Horrorvorstellung
Die Verschiebung von Olympia war für ihn aus den genannten Gründen „eine Horrorvorstellung“, aus der nun Realität wurde. Auch wenn er natürlich die gesundheitlichen Gründe für die Verschiebung der Wettkämpfe versteht, ärgert sich der Sportler über den Druck, den manche Athleten auf das Internationale Olympische Komitee (IOC) ausübten. „Dass Athleten Druck machen, um die Oylmpischen Spielen zu verschieben, finde ich grenzwertig. Am Ende muss das jemand entscheiden, der Ahnung davon hat, wie die Weltgesundheitsorganisation.“
Außerdem sei es „egoistisch“ von jenen Sportlern, die finanziell nichts zu befürchten hätten. Doch es gibt auch einen Lichtblick. Der Olympiastützpunkt in Berlin hat dem Athleten nach einem Telefonat „völlige Unterstützung zugesichert“, sagt Benitz. „Dafür bin ich sehr dankbar.“ Denn aufgeben kommt für den 28-Jährigen nicht infrage. „Man muss flexibel mit der Situation umgehen, das ist das Wichtigste.“
Festes Gehalt bei Nico Denz
Nico Denz, Radprofi aus Albbruck, muss da weniger flexibel sein. Bei dem 26-Jährigen bleibt vorerst alles beim Alten, die Verschiebung der Wettkämpfe um ein Jahr bereiten ihm noch keine finanziellen Sorgenfalten.
Als Mitglied vom niederländischen Radsportteam Sunweb mit einem Vertrag bis 2021 bekommt er weiter sein Gehalt. „Wir haben feste Verträge mit festen Monatsgehältern“, erklärt Denz.
Allerdings mache er sich auch Gedanken, wie die Reise weitergeht. Schließlich sei Sunweb ein Reiseveranstalter und damit von der Corona-Krise ebenfalls betroffen, außerdem könne man ohne Rennen die Sponsoren nicht mehr zeigen. Dennoch ist Denz zuversichtlich, zahlen doch alle Fahrer in einen Fonds ein, der „Gehaltsausfälle von bis zu einem Jahr ausgleichen kann.“
Finanzielle Sicherheit durch die Bundeswehr
Sehr viel entspannter blickt Bahnradprofi Domenic Weinstein auf die Olympischen Spiele 2021. Der 25-Jährige aus Unterbahldingen wird durch die Sportfördergruppe der Bundeswehr finanziert. „Mein Gehalt läuft weiter“, sagt Weinstein, und fügt hinzu: „Außerdem hat die Sporthilfe allen Nationalathleten zugesichert, finanzielle Unterstützung zu leisten.“
Seit 2013 ist der in Villingen-Schwenningen geborene Bahnradprofi sogenannter Sportsoldat. Neben dem Leistungstraining gehört es als solcher dazu, Lehrgänge bei der Bundeswehr zu absolvieren.
„Im Oktober 2020 und 2021 hätte ich wieder Lehrgänge gehabt“, sagt Weinstein. „Die werden aber sicher noch einmal um ein Jahr verschoben.“ Tokio 2021 kann für Weinstein also kommen. Denn auch um eine Qualifikation muss sich der Schwarzwälder keine Sorgen machen – bereits im Februar qualifizierte er sich mit dem Bahnrad-Vierer in der 4000-Meter-Mannschaftsverfolgung für die Wettkämpfe.
Kräftezehrende Vorbereitung
Von diesem Glück kann der Segler Simon Diesch aus Deggenhausertal nicht sprechen. Für ihn waren die Absagen in der Sportwelt ein Schock, der bis heute einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt. Vier Tage vor der Weltmeisterschaft, während des Trainings auf Mallorca, erfuhr Diesch, dass die drei alles entscheidenden Qualifikationsregatten nicht stattfinden werden.
Seit zwei Jahren standen diese Termine fest. Vier Jahre lang ging es um nichts anderes, als mit der 470er-Jolle als bestes deutsches Team unter die Top Ten aller 19 Nationen zu segeln. Das wäre für ihn und seinen Vorschoter Philipp Autenrieth das Ticket zu den Olympischen Spielen in Tokio gewesen.
Staatsexamen muss vorschoben werden
Jetzt ist nach einem extrem kräftezehrenden vorolympischen Jahr abrupt Ruhe eingekehrt. „Es ist, als würde man anstelle der Prüfung wieder Hausaufgaben im Übungsheft machen“, findet der 25-Jährige.
Nicht nur, dass er das geplante Staatsexamen um ein weiteres Jahr verschieben müsse, auch das Leben aus dem Koffer, immerhin 300 Tage im Jahr, nehme nicht das ersehnte Ende, sagt der Jurastudent an der Universität Konstanz mit Sehnsucht nach Familienleben.
Unsicherheit beim Sponsoring
Und dieses Trainings-Leben hat seinen Preis. „Wir haben ein Jahresbudget von ungefähr 80 000 Euro“, erklärt der Sohn des Segel-Olympiasiegers von 1976, Eckart Diesch. Jetzt müsse diese Summe für ein weiteres Jahr aufgebracht werden.
Neben dem Deutschen Segler-Verband unterstützen mehrere Sponsoren die Sportler. Doch die Verträge wurden nur bis Ende der Spiele 2020 abgeschlossen. „Wir hoffen auf weitere Zuwendungen durch unsere Sponsoren“, sagt Simon Diesch. Trotzdem hätten die beiden Segler Verständnis dafür, wenn die wirtschaftliche Situation ein Sponsoring nicht mehr zulassen würde.
Aufgeben jedoch, so viel steht fest, kommt für den Segler ebenso wenig infrage wie für Mittelstrecken-Läufer Timo Benitz.