Nico, Sie zählten zum erweiterten Aufgebot des Bundes Deutscher Radfahrer für die Olympischen Spiele im Juli und August in Tokio. Hat Sie die Verlegung ins nächste Jahr wegen der Ausbreitung des Coronavirus überrascht?
Nein. Das war vorhersehbar und die einzige logische Konsequenz. Es gibt wichtigere Dinge in diesen Zeiten als Radsport. Und die Alternative, dieses Großereignis ohne Publikum durchzuziehen, war für mich unrealistisch.
Die Tour de France, die schon am 27. Juni beginnen soll, steht noch immer im Terminkalender der Radprofis. Die Verantwortlichen suchen fieberhaft nach Lösungen, um eine Verschiebung oder Absage abzuwenden. Was meinen Sie?
Das ist extrem schwierig, eine gute Entscheidung zu treffen. Ich habe auch nicht das Wissen und die Kompetenz, ein Urteil zu fällen. Natürlich wäre eine Absage schade. Der Radsport definiert sich zu 90 Prozent über die Tour de France. Bei einer Absage würde also viel wegfallen. Man denke nur an die Sponsoren. Die Gesundheit der Menschen hat aber einen höheren Stellenwert als der Radsport.
Viele Profis haben ihr Training nur auf die Tour de France ausgerichtet.
Das stimmt. Die Vorbereitung dafür wäre schwierig. Ich denke, dass wir bis Juni in Quarantäne sind. Ein geordnetes Training ist gar nicht möglich. Das ist ein Handicap. Die Fahrer würden beim Start der Tour Ende Juni einen Kaltstart vollziehen.
Der Giro d‘Italia wird ja nicht im Mai stattfinden.
Da gibt es Spekulationen, dass er in den Oktober hinein verlegt werden soll und nicht gestrichen wird. Das würde in den Planungen der Teams alles durcheinander wirbeln. Wir müssen aber abwarten. Es gibt für uns keine gesicherten Informationen.
Stehen Sie selbst im Aufgebot für eine große Rundfahrt in Ihrem neuen Team?
Ich war bei Sunweb im erweiterten Aufgebot für Giro und Tour de France. Es war also alles möglich. Für den Giro speziell war ich erster Ersatz.
Und für die Tour de France?
Der Stand war, dass ich entweder die Tour oder die Vuelta im August und September in Spanien fahren darf.
Im Juni gäbe es auch reizvolle Termine in der Heimat.
Bei meinem Heimrennen in Gippingen am 5. Juni wird Sunweb nicht fahren. Die Tour de Suisse, die einen Tag später beginnt, ist noch nicht abgesagt, aber ich bin skeptisch. In ein bis zwei Wochen werden wir mehr wissen.
Sie sind ein Spezialist für die Klassiker und Eintagesfahrten. Hat Sie da nicht die Absage der Frühjahrs-Klassiker wie Mailand-San Remo in Italien, Paris-Roubaix in Frankreich und die Flandernrundfahrt in Belgien hart getroffen?
Die Klassiker sind weg gebrochen. Ich stehe praktisch mit leeren Händen da.
Welche Rennen sind Sie denn noch gefahren, als die Welt vor Corona noch in Ordnung war?
Die Tour de la Provence, bei der es auf den legendären Mont Ventoux ging, und die Algarve-Rundfahrt in Portugal. Dann war ich noch bei Rennen in Belgien am Start.
Sie starteten auch zuletzt bei der Mehretappenfahrt Paris-Nizza, die wegen Corona um einen Tag verkürzt wurde.
Ja. Wir holten für Sunweb zwei Tagessiege und gewannen die Teamwertung. Das Feld wurde aber während der Rundfahrt immer kleiner, da Mannschaften wegen Corona ihre Fahrer abgezogen haben. Nach der letzten Etappe wollten wir alle nur noch nach Hause, bevor die Grenzen zu gemacht worden sind. Als Deutscher wäre man zwar zurück gekommen, aber dann vielleicht gleich in Quarantäne. Ich bin heilfroh, zu Hause zu sein.
Ist Ihr Gehalt denn sicher?
Ich habe keine Angst um meine Existenz. Mein Gehalt sollte sicher sein. Wir Fahrer zahlen alle in einen Fonds ein, der als Sicherheit dient, Gehaltsausfälle von bis zu einem Jahr zu kompensieren.
Was machen Sie denn jetzt zu Hause?
Das Schlimme ist, dass man keine festen Saisonziele hat. Fünf Stunden trainiere ich nicht. Aber ich fahre etwa zwei Stunden, aber nicht die gewohnten Runden auch durch die Schweiz. Das geht ja nicht. Danach mache ich Krafttraining, aber nur eingeschränkt. Mein Fitnessstudio ist ja geschlossen. Ich muss aber meine Grundfitness wahren.
Das Essen schmeckt besser Hause.
Genau das ist das Problem. Das Wichtigste ist jetzt, mein Gewicht zu halten.
Fragen: Gerd Welte