Herr Schweizer, die Pandemie hat den Breitensport zum Stillstand gebracht. Wie ist die Situation in der Freiburger Fußballschule?

Wir fallen unter die Spitzensportverordnung, weshalb unsere U17-, U19- und U23-Mannschaften trainieren dürfen. Natürlich in Absprache mit dem örtlichen Gesundheitsamt und einem abgestimmten Hygienekonzept. Wir könnten auch mit der U15 und U16 trainieren, haben uns aber zum aktuellen Zeitpunkt noch dagegen entschieden.

Warum?

Wie in allen Bereichen müssen auch wir fast täglich Entscheidungen treffen, die sich rund um das Thema Corona und die entsprechenden Auswirkungen bewegen. Hier geht es immer um eine Abwägung verschiedener Blickwinkel. Was ist gut für die Spieler? Welchen Rahmen geben uns aktuelle Verordnungen und Beschlüsse vor? Wie ist die Lage in der Gesellschaft einzuschätzen? Vor dem Abschluss einer Entscheidung steht aber immer ein intensives Abstimmen mit dem Gesundheitsamt und unseren Medizinern.

Wie gehen die Jungs damit um?

Die freuen sich wahnsinnig, wenn sie sich wieder bewegen dürfen und ihre Kumpels treffen können. Wir thematisieren, dass es ein Privileg ist, dass sie durch die Spitzensportverordnung wieder trainieren dürfen. Bei den jüngeren Jahrgängen, die derzeit eben nicht bei uns trainieren dürfen, versuchen wir andere Modelle.

Zum Beispiel?

Natürlich gehört Ausdauertraining dazu, aber auch technische und kognitive Einheiten, wie etwa Jonglieren und gleichzeitig Rechenaufgaben lösen. Außerdem halten unsere Trainer mit den Spielern Kontakt per Videoanrufe, wo dann auch mal geflachst wird. Lachen bindet, auch das ist derzeit wichtig.

Sind solche Aktionen wirklich ein Ersatz?

Das hilft schon, aber natürlich sind das alles isolierte Sachen ohne Bezug zum eigentlichen Spiel. Man muss da keine Entscheidungen treffen. Und um das geht es ja eigentlich im Fußball.

Wie wirkt sich das aus? Entgeht den Jungs nicht ein Teil der Ausbildung? Muss man einen verlorenen Jahrgang befürchten?

Das ist momentan sehr schwer einzuschätzen. Wir versuchen gerade die Situation der jüngeren Jahrgänge mit Daten zu belegen. In einer Umfrage versuchen wir herauszufinden, wie viel Sport zu Hause möglich ist, wie viel Bewegungszeit am Ende dabei herauskommt. Mein subjektives Gefühl war zuletzt so, dass die Jungs einen Bewegungsdrang haben, der dafür sorgt, dass die, wann immer es möglich und erlaubt war, auf dem Bolzplatz gekickt haben. Etwas zurück zum Straßenfußball, wenn man so will. Das ist nicht das schlechteste Training.

Dennoch werden bei manchem Talent, bei manchen Eltern Sorgen ob der eingeschränkten Förderung vorhanden sein.

Das ist schon möglich, das nehmen wir auch ernst. Aber die Bedingungen sind für alle gleich. Auch in anderen Standorten findet derzeit kein reguläres Training statt.

SÜDKURIER-Sportchef Dirk Salzmann bei einem früheren Gespräch mit Martin Schweizer.
SÜDKURIER-Sportchef Dirk Salzmann bei einem früheren Gespräch mit Martin Schweizer. | Bild: Hahne, Joachim

Das trifft dann alle Vereine gleich, nicht aber die Spieler. Schließlich könnte man vermuten, dass es die nachrückenden Jahrgänge mit weniger Ausbildung schwerer haben dürften, die älteren Jahrgänge zu verdrängen. Gerade auch mit Blick auf den Übergang zu den Aktivklassen.

Ja, das kann man so sehen. Andererseits verläuft eine Ausbildung ja auch nicht so, dass ein Spieler X acht Jahre Input bekommt und dann alles auf der Festplatte gespeichert hat. Unsere Aufgabe ist es, Spieler in Richtung Bundesliga zu entwickeln, was in den älteren Jahrgängen durch die Spitzensportverordnung auch möglich ist. Da werden wir wenig verlieren. Aber wenn das alles noch ein Jahr so weitergeht, dann haben wir wirklich ein Problem.

Wie sehen Sie die Entwicklung im Leistungs-Nachwuchsfußball generell? Bei unserem letzten Interview kritisierten Sie, dass immer mehr Vereine bereits Talente abwerben, obwohl die kaum 14 Jahre alt sind. Ein Spielervermittler sagte vor Kurzem bei uns im Interview, dass in Portugal die Berater bereits Zwölfjährige unter Vertrag nehmen.

Nicht nur in Portugal, das ist hier nicht anders. Das kann ich leider bestätigen. Das ist wirklich traurig. Wir versuchen über unsere regionalen Ansätze gegen diesen Trend anzukämpfen. Wir hatten hier schon Spieler, die kaum elf Jahre alt waren, die hatten schon Probetrainings in anderen Nachwuchsleistungszentren hinter sich, obwohl sie gerade einmal 20 Kilometer von Freiburg entfernt wohnten. Da kann man nur noch den Kopf schütteln.

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Inzwischen gab mit Youssoufa Moukoko ein gerade erst 16 Jahre alt gewordenes Talent sein Debüt. Auch in Leipzig trainierte mit dem 15-jährigen Sidney Raebige zuletzt ein Teenager bei den Profis. Ist das auch beim SC Freiburg denkbar?

Vorstellbar ja, forcieren werden wir das nicht. Wir glauben, dass Ausbildung nicht mit 16 Jahren, sondern zwischen 20 und 24 Jahren endet – oder sogar nie. Das ist ein ganz schwieriges Thema. Moukoko ist eine absolute Ausnahmeerscheinung, ein 16-Jähriger, der Spielverständnis, Torriecher und vieles mehr auf allen Ebenen mitbringt. In dem Fall ist das schon in Ordnung. Bedenken hätte ich, wenn die Schraube weitergedreht wird. Die Altersgrenze, bei der wir jetzt sind, ist allein aus konstitutioneller Sicht grenzwertig.

Stärker als der Spitzensport könnte der Breitensport die Auswirkungen der Auszeit zu spüren bekommen. Viele Vereine fürchten, dass ein Teil der Kids den Spaß am Fußball verlieren könnte. Dass andere Hobbys derzeit dominieren, die auch nach dem Ende der Krise beibehalten werden, sodass diese den Fußball ablösen könnten.

Es kann schon sein, dass einige merken, dass es auch noch andere schöne Dinge auf der Welt gibt. Vielleicht werden einige aber auch erst jetzt merken, wie sehr ihnen der Fußball fehlt.

Schon vor Corona mussten Vereine immer häufiger Spielgemeinschaften bilden, weil immer weniger Kinder zum Fußball finden.

Ja, aber die Ursachen dafür sind vielfältig. Das ist ein riesiges Thema, das sich in wenigen Sätzen kaum darstellen lässt.

Was meinen Sie damit?

Ich denke, der Kinderfußball muss grundlegend reformiert werden, man muss das gesamte Spiel neu denken. Aktuell wird zu schnell in Richtung des großen Spiels 11 gegen 11 gedacht, weshalb viele Kinder zu wenige Ballaktionen haben und damit auch kaum zu Erfolgserlebnissen kommen. Im Südbadischen Verband sind wir hier auf einem sehr guten Weg. Zur kommenden Saison spielen die ganz Kleinen dann im 3 gegen 3 plus Torwart.

Zeit für eine neue Herangehensweise, oder?

Ja, das gilt generell, auch für die derzeitige Situation. Wir können ja alle nicht ändern, was gerade passiert. Wir können aber entweder damit hadern oder die Situation annehmen, das Beste daraus machen, vielleicht sogar versuchen, einen Vorteil daraus zu generieren. Wir haben beispielsweise den Kontakt zu unseren regionalen Partnervereinen intensiviert, da passiert viel mehr, als es normalerweise im Alltag möglich wäre. Wir wollen, dass unsere Partner merken, dass sich der SC auch in der Krise um sie kümmert.

Haben Sie Tipps für Trainer, die momentan nicht Trainer sein dürfen? Wie kann man die Kinder bei Laune halten?

Natürlich ist es wichtig, Kontakt zu halten. Aber da habe ich natürlich leicht reden, denn ich und meine Kollegen sind hauptamtlich angestellt oder haben zumindest eine halbe Stelle. Entsprechend ist das für uns einfacher als bei Amateurvereinen.

So soll es bald wieder aussehen beim SC Freiburg: Eine Trainingseinheit der U13. Aktuell befinden die jüngeren Jahrgänge in der ...
So soll es bald wieder aussehen beim SC Freiburg: Eine Trainingseinheit der U13. Aktuell befinden die jüngeren Jahrgänge in der Corona-Zwangspause. | Bild: Hahne, Joachim

Corona sorgt für Probleme, der Fußball hat sich einige aber auch selbst geschaffen. Die Fans klagen über die Kommerzialisierung, das Interesse an der Nationalmannschaft hat stark nachgelassen, der DFB ist mit internen Querelen beschäftigt – um nur mal einige Baustellen anzusprechen. Das hilft in der Krise nicht weiter, oder?

Ja, aber der Spitzensport hat das Privileg, dass weiter gespielt werden darf – mit einem sehr guten Hygienekonzept, da hat die Deutsche Fußball-Liga tolle Arbeit geleistet. Aber natürlich ist das dünnes Eis, auf dem wir uns bewegen.

Im ersten Lockdown argumentierten viele Eltern, dass es nicht einzusehen sei, dass Millionärskicker spielen, Kinder aber keine Spielplätze betreten dürfen. Auch wenn der Vergleich ungerecht sein mag, der Fußball spaltet derzeit eher die Gesellschaft, als dass er eint.

Man kann das meiner Meinung nach tatsächlich nicht miteinander vergleichen. Der Profifußball ist ein Wirtschaftszweig, an dem ganz viele Arbeitsplätze dranhängen – auch meiner. Wären wir nach der Zwangspause nicht wieder in den Spielbetrieb gekommen, hätten auch wir als Verein irgendwann Probleme bekommen. Bei anderen Vereinen wäre das noch viel früher passiert als bei uns. Aber natürlich ist auch mir klar, dass andere Wirtschaftszweige komplett lahmgelegt wurden. Von daher kann ich gut nachempfinden, dass in unserer Gesellschaft Unruhe herrscht.

Das Problem geht über den Fußball hinaus. Selbst Olympische Spiele fielen schon vor Corona in der Beliebtheitsskala nach unten. Es geht im Spitzensport ums Geld, das einst positive Image des Sports hat stark gelitten.

Ja, da ist was dran. Und trotzdem bin ich mir sicher, dass der Antrieb für die Spieler die Liebe zum Spiel ist.

Bleibt die Hoffnung, dass eine Gegenbewegung kommt. Dass vielleicht gerade durch Corona der Breitensport gestärkt wird, weil der Sport als Privileg empfunden wird, vielleicht sogar das Vereinsleben einen anderen Stellenwert erhält. Oder ist das zu naiv gedacht?

Ich hoffe nicht, ich würde es genauso sehen. In Pandemiezeiten gilt es, die Gemeinschaft zu stärken. Vielleicht müssen wir neu lernen, das wertschätzen zu können, was vor der Krise etwas verloren ging oder selbstverständlich war.

Und was muss passieren, dass 2021 noch ein gutes Jahr wird?

Dazu müssen wir Corona in den Griff bekommen, wozu es eine gesunde Politik mit Augenmaß und guten Maßnahmen brauchen wird. Dann können wir hoffentlich bald wieder Normalität leben. Vielleicht ja auch mit neuen Impulsen.