- Was ist los in Süddeutschland? Beeinträchtigungen auf wichtigen Schifffahrtswegen wie dem Rhein und bei einer Raffinerie in Bayern führen aktuell zu enormen Preisverzerrungen bei Sprit und Heizöl. "Die Versorgungslage in Süddeutschland ist angespannt und bleibt es wahrscheinlich auch erst einmal", sagte der Geschäftsführer des Verbands für Energiehandel Südwest-Mitte (VEH), Hans-Jürgen Funke dem SÜDKURIER. Allerdings gehe er auch nicht davon aus, dass sich die Lage weiter zuspitze. In einem außergewöhnlichen Schritt hat die Bundesregierung am Freitag eine Verordnung in Kraft gesetzt, die den Zugriff auf Treibstoff aus der strategischen deutschen Erdöl-Reserve erlaubt. Wie das Bundeswirtschaftsministerium im Bundesanzeiger angibt, geht es um begrenzte Mengen von Diesel, Benzin und Flugzeug-Kraftstoff. Strategische Treibstofflager, unter anderem in Baden-Württemberg und Bayern, dürfen nun angezapft werden. "Ein sehr außergewöhnlicher Vorgang", wie Funke sagte.
- Was sind die Auswirkungen? Weil Kraftstoffe wegen des Niedrigwassers nur noch in ungenügenden Mengen über Flüsse von den Nordseehäfen nach Süddeutschland transportiert werden können, ist Deutschland preislich derzeit zweigespalten. So sehe man eine "krasse Preisspreizung bei Heizöl", sagte VEH-Geschäftsführer Funke. In Hamburg sei Heizöl aktuell rund 20 Cent pro Liter günstiger als etwa in Stuttgart, sagte er. Derart große Differenzen habe er in 28 Dienstjahren noch nie erlebt, so Funke. In Süddeutschland seien Heizölnotierungen von "um einen Euro" pro Liter Heizöl derzeit keine Seltenheit. Nach Recherchen unserer Zeitung beträgt die Preisdifferenz bei Super E10 zwischen den beiden Städten rund zehn Cent. Auch das ist viel. Eine Rolle spielt auch der Ausfall einer wichtigen Raffinerie nahe Ingolstadt in Bayern.
- Wie sieht die aktuelle Lage beim Tanken aus? Tanken ist dieser Tage so teuer wie seit vier Jahren nicht mehr. Nach Daten der Preisplattform clever-tanken.de kostete ein Liter Super E10 zum Wochenende durchschnittlich 1,55 Euro. Ein Liter Diesel war für 1,44 Euro zu haben. Vereinzelt stiegen die Notierungen aber deutlich höher. In Konstanz kostete Sprit beispielsweise bis zu 1,78 Euro. In Villingen-Schwenningen bis zu 1,69 Euro. Anfang vergangener Woche hatte E10 nach ADAC-Daten noch 1,49 und Diesel 1,36 Euro gekostet.
- Warum ist Sprit gerade so teuer? Insbesondere die Angst, dass wichtige Öl-Lieferländer wegfallen könnten, treibt die Preise. Aufgrund von politischem Chaos liegt die Öl-Förderung vom OPEC-Mitglied Venezuela schon seit Monaten am Boden. Zudem treten Anfang November die US-Sanktionen gegen das Öl-Lieferland Iran in Kraft, was die Versorgung des Weltmarkts stark beeinträchtigen dürfte. Ein möglicher Ausfall des Iran sei ein "echtes Problem", sagte Frank Schallenberger, Chef der Rohstoffanalyseabteilung der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) unserer Zeitung. Gleichzeitig wächst die Weltwirtschaft ungebremst, so dass die Öl-Nachfrage 2019 nach LBBW-Daten um 1,9 Millionen Barrel (159 Liter) pro Tag zulegen dürfte. Und die meisten Lieferländer fördern schon jetzt am Limit. Nach Aussagen von Fachleuten verfügt neben Saudi-Arabien einzig Russland noch über gewisse Reserven, die Fördermengen auszuweiten.
- Welche Auswirkungen hat der Wechselkurs? Der Wechselkurs zwischen Euro und Dollar ist für die Benzinpreise an der Zapfsäule entscheidend, denn Rohöl wird in Dollar gehandelt, während wir beim Tankwart Euro auf den Tisch legen. Ein starker Euro dämpft daher die Preisentwicklung an der Zapfsäule – schlicht weil wir mit einem Euro sozusagen mehr in Dollar gehandeltes Rohöl einkaufen können, das dann in Europa zu Sprit raffiniert wird. Im Moment schwächelt der Euro gegenüber dem US-Dollar allerdings. Der Effekt: Obwohl die Rohölpreise seit Anfang Oktober um rund 14 Prozent zurückgegangen sind, spüren wir an der Zapfsäule davon nichts. Es bleibt teuer.
- Welchen Einfluss haben die niedrigen Pegelstände der Flüsse? Die Wechselkursproblematik wird derzeit vom Wetter überlagert. Extreme Niedrigpegel der deutschen Flüsse erhöhen die Frachtkosten enorm, weil Tankschiffe, etwa auf dem Rhein, nicht mehr voll beladen werden können. Teilweise ist es dadurch auch schon zu Versorgungsengpässen gekommen. So bekamen Autofahrer in Nordrhein-Westfalen zeitweise an rund einem Dutzend Tankstellen keinen Sprit mehr. "Das Problem schaukelt sich von Nord nach Süd auf", sagte LBBW-Analyst Schallenberger. Die Trockenheit führe zu deutlich teuren Preisen in Süddeutschland als im Norden. Nach Recherchen dieser Zeitung beträgt die Preisdifferenz zwischen Hamburg und Stuttgart aktuell rund zehn Cent pro Liter bei Super E 10. Um die Versorgungssituation speziell für Süddeutschland zu verbessern, hat die Bundesregierung ausnahmsweise den Zugriff auf Treibstoff aus der deutschen Erdöl-Reserve erlaubt. Insbesondere die Versorgung in Baden-Württemberg soll dadurch verbessert werden. In Bayer sei die Versorgungssituation insbesondere durch den Ausfall der Raffinerie bei Ingolstadt „angespannt“, sagte der Geschäftsführer des Verbands für Energiehandel Südwest-Mitte (VEH), Hans-Jürgen Funke unserer Zeitung. Nach dem Brand Anfang September sei die Produktion immer noch „stark beeinträchtigt“, sagte der VEH-Chef. Daher müsste Bayern mit Sprit aus anderen Landesteilen beliefert werden, was die Preise treibe.
- Wie entwickelt sich der Ölpreis langfristig? Kostete das Barrel der für Europa entscheidenden Nordsee-Sorte Brent Anfang 2016 nach Daten des Hamburger Energie-Informationsdienstes (EID) noch 26 US-Dollar (23 Euro) ist der Preis danach stetig gestiegen. Vor allem ab Herbst 2017 ging es steil bergauf. Die Entwicklung gipfelte vorerst Anfang Oktober mit rund 87 US-Dollar pro Fass Brent. Dass es so weiter geht, ist nicht unwahrscheinlich. Der Grund liegt in sehr geringen Investitionen der Öl-Multis in die Erschließung neuer Ölquellen. Die weltweiten Investitionen erreichten 2017 ein Zehn-Jahres-Tief. Bleibt die Öl-Nachfrage also weiter hoch, droht Rohöl mittelfristig noch knapper zu werden. Und das treibt die Preise.
- Tankt man besser in der Schweiz oder in Österreich? Das kommt darauf an. Diesel ist bei den Eidgenossen deutlich teurer als in Deutschland. In Österreich ist der Kraftstoff dagegen rund fünf Cent günstiger als hierzulande. Der Ausflug nach Österreich kann also für Dieselfahrer lohnen, der in die Schweiz nicht. Anders sieht es aus, wenn man Benzin braucht. Die Superpreise liegen in der Schweiz gut fünf, in Österreich sogar bis zu knapp 20 Cent unter dem deutschen Niveau. Allerdings sollte man nicht darauf vertrauen, denn auch bei unseren Nachbarn schwanken die Preise erheblich, wenn auch nicht ganz so heftig wie in Deutschland. Billig-Tanken ist also auch Glückssache.
- Wann ist der beste Tankzeitpunkt? Da sich die Preise im Tagesverlauf mehrfach ändern ist es wichtig, zum richtigen Zeitpunkt zu tanken. Die mit Abstand teuerste Zeit zum Tanken ist laut ADAC morgens zwischen sechs und neun Uhr und Abends zwischen 17 und 19 Uhr, sagt ein ADAC-Sprecher. In diesem Zeitraum lägen die Preise um bis zu sechs Cent über dem Tagesdurchschnitt. Besonders günstig ist es dagegen meist zwischen 15 und 17 Uhr sowie zwischen 19 und 22 Uhr.
- Gibt es eigentlich noch genügend Tankstellen in Deutschland? In Deutschland gibt es immer weniger Tankstellen. Von den rund 46 000 Stationen in den 1970er Jahren sind heute noch knapp 14 500 übrig. Die Multis Aral, Shell und Total kommen dabei auf rund zwei Fünftel aller Verkaufsstellen. Damit hat Deutschland nach Italien das größte Tankstellennetz Europas. Insbesondere in den Grenzgebieten, etwa zur Schweiz, aber auch zu Luxemburg oder Österreich, werden die Tankstationen knapp.
- Was ist mit den Raffinerien? In Deutschland gibt es nach Angaben des Mineralölwirtschaftsverbands (MWV) derzeit 14 Öl-Raffinerien, die jedes Jahr rund 60 Millionen Tonnen Kraftstoffe für Mobilitätszwecke erzeugen. Die einzige Anlage in Baden-Württemberg steht in Karlsruhe. Derzeit verdienen die Anlagen insbesondere im Süden Deutschlands, prächtig, was auch mit knapper werdenden Raffinerie-Kapazitäten in den vergangenen Jahren zusammenhängt. An einem Liter Kraftstoff verdienen die süddeutschen Raffinieren nach Daten des Hamburger EID derzeit rund zehn Cent mit.
- Was verdient der Staat am Sprit? Nach Angaben des MWV bestreitet Deutschland rund 15 Prozent des Bundeshaushalts aus der Mineralölsteuer. Je Liter Sprit werden gut 65 Cent Mineralölsteuer fällig, für Diesel liegt der Wert bei gut 47 Cent. Dazu kommt die Mehrwertsteuer von 19 Prozent. Zusammen mit dem staatlich festgelegten Erdölbevorratungsbeitrag gehen so bei einem Benzinpreis von 1,60 Euro für Benzin knapp 91 Cent an den Staat.
Mannheim/Stuttgart
Extreme Preisunterschiede bei Sprit und Heizöl – Warum Verbraucher in Süddeutschland viel mehr zahlen müssen als im Norden
