Es ist 6 Uhr morgens. Draußen wabert der Nebel durch das kleine Dörfchen Malsburg im Landkreis Lörrach. In der Backstube schichtet Rosi Vollbrecht-Oßwald Äste aus dem eigenen Waldstück in ihren urigen Holzofen und feuert knisternd mit einem Streichholz an. „So, jetzt muss er auf Temperatur kommen und wir machen uns an den Teig“, sagt sie und schließt knallend die schwere Metallluke.

100 Bauernbrote, Dinkel-Roggen-, Kartoffel-Nuss und Badische Sechskornbrote will Vollbrecht-Oßwald heute backen. Dazu noch Laugenweckle, Hefezöpfe, Bauernweckle und Schneckennudeln mit Nussfüllung. „Am Backtag geht‘s hier immer rund“, sagt sie und gibt Mehl, Salz, Wasser und aufgelöste Frischhefe in eine große Knetmaschine, die wummernd startet.

Rosi Vollbrecht-Oßwald ist Müllermeisterin in siebter Generation.
Rosi Vollbrecht-Oßwald ist Müllermeisterin in siebter Generation. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

Mit 25 Jahren übernimmt sie die Mühle

Eigentlich hat Rosi Vollbrecht-Oßwald Industriekauffrau gelernt. Doch als ihre zwei älteren Brüder die Tantenmühle, die schon seit 1790 in Familienbesitz ist, nicht übernehmen wollten, stand für sie fest: „Ich werde Müllermeisterin, trete in Papas Fußstapfen!“ Mit gerade einmal 25 Jahren hat sie im Jahr 2000 die Mühle übernommen. „Das war für mich Herzens- und Ehrensache – und ehrlich gesagt auch viel spannender als der langweilige Bürojob.“

Sie lernt Getreidesorten zu unterscheiden, Weizen, Roggen, Dinkel zu säubern, in verschiedenen Graden zu mahlen, in Säcke abzufüllen und die Auslieferungen zu organisieren. „Über Generationen lief das richtig gut – aber Haupterwerbslandwirte, die ihr Getreide mahlen lassen, werden immer weniger und größere Mühlen können Mehl viel günstiger anbieten.“ Also muss Vollbrecht-Oßwald den Familienbetrieb neu erfinden, um ihn am Leben zu erhalten.

Ihre Idee: „Wir veredeln unsere guten regionalen Mehle und bieten selbst leckere Bauernbrote an!“ Schon als kleines Kind stand sie bei ihrer Mama in der Küche, die stundenlang Teige für das Familienabendbrot geknetet hat. „Mamas Küche war quasi das Mühlen-Labor“, sagt Rosi Vollbrecht-Oßwald. „Wenn Papa gemahlen hat, hat er ihr eine Schüssel Mehl gebracht, damit sie die Qualität testen kann.“

Brotkultur in Deutschland

Damals in Schwarzwaldhäusern normal, hat schon Mama Vollbrecht in einem Holzofen gebacken. Und mit Mamas Tipps bringt sie sich das Backen selbst bei. „Anfangs ist viel schiefgegangen: zu weich, zu trocken, verbrannt“, gibt sie zu, „aber die Brote wurden von Mal zu Mal besser und ich sicherer!“

Die Macherin weiß: „Für jedes Problem gibt es eine Lösung!“ Heute mahlt sie noch ein Mal pro Woche rund 600 Kilo Getreide und verkauft selbstgemachte Backwaren, Müslis, Mehle und Backmischungen im über 120 Quadratmeter großen Mühlenladen, der ein Treffpunkt für das komplette 1450-Seelen-Dörfchen geworden ist. Außerdem bietet sie Brotbackkurse an, macht Holzofen-Pizza-Events, belebt den Platz rund um die Mühle mit Märkten, Freilichtkinos oder Theaterevents.

Vater ist stolz auf seine Tochter

Und wie hat ihr Vater Walter Vollbrecht (96) damals reagiert, als das Nesthäkchen Chefin wurde? Rosi Vollbrecht-Oßwald sagt: „Wir hatten schon unsere Kämpfe, mussten die Arbeitsbereiche klar trennen!“ Aber der Seniorchef sagt in der Rückschau selbst: „Ich bin richtig stolz auf meine Rosi, sie ist voller Tatendrang und Ideen – die Backstube aufzubauen war ein schlauer Schritt für die Zukunft!“

In den ersten Jahren hat der Seniorchef sie noch in der Mühle unterstützt, Landwirte und Restaurants mit Mehlsäcken beliefert. Und auch heute beklebt er noch Produkte mit Etiketten, übernimmt den Telefondienst. „Ich bin und war Vollblutmüller!“ Dass sogar Enkelin Lea (19) heute regelmäßig backt und verkauft, macht auch ihn stolz. „Meine Schwester Jana (22) und ich sind in der Mühle aufgewachsen“, sagt Lea. „Im Laden hing eine Schaukel und wir sind mit unseren Rollschuhen durch die Mühle gesaust, haben früh mitgeholfen.“

„Riechen Sie den Rauch? Herrlich, oder?“, fragt Rosi Vollbrecht-Oßwald und öffnet die wuchtige Ofenluke. Dann nimmt sie einen langen Aschekratzer, zerstößt die Glut und kehrt den Ofen aus. Zwei Stunden hat sie den Teig in der warmen Stube gehen lassen. In fließenden Bewegungen bestäubt sie die hölzerne Arbeitsfläche mit Mehl und formt mit angefeuchteten Händen Brotlaibe. „Viele denken, der Teig muss fest sein – aber richtig gut werden Buurebrote, wenn der Teig schmatzt!“

Im Dorf heißt sie „die schöne Müllerin“

Noch ein kurzer Blick aufs Ofenthermometer: 300 Grad! „Jetzt muss alles ganz schnell gehen, dass es schön heiß bleibt“, sagt sie und schippt schwungvoll mit einem hölzernen Brotschieber Laib für Laib in den Ofen. Eine Stunde später holt sie knusprig-braune Brote hinaus, bringt sie sofort hinauf in ihren Mühlenladen, wo schon die ersten Kunden Schlange stehen. Juniorchefin Lea bedient heute die Kundschaft. Brote, Weckle und Süßgebäck wandern über die Theke. Rosi wechselt stetig von der Backstube in den Laden. Und trotz all der Hektik hat „die schöne Müllerin“, wie sie im Dorf gerne genannt wird, Zeit für ein Lächeln und nette Worte.

Rosi Vollbrecht-Oßwald ist Müllermeisterin in siebter Generation. SÜDKURIER-Reporterin Sira Huwiler-Flamm durfte einen Tag in der ...
Rosi Vollbrecht-Oßwald ist Müllermeisterin in siebter Generation. SÜDKURIER-Reporterin Sira Huwiler-Flamm durfte einen Tag in der Backstube dabei sein. | Bild: Sira Huwiler-Flamm

In einer ruhigen Laden-Minute schneidet Rosi krachend ein frisches Bauernbrot an, streicht dick Butter auf die Scheibe, reicht Lea die Hälfte hinüber und beide beißen lustvoll in die knusprige Scheibe. „Mhh! Für mich gibt es nichts Besseres – das ist Kindheitsgeschmack pur“, sagt Rosi Vollbrecht-Oßwald schmatzend. „Das schmeckt wahrscheinlich genauso, wie einst bei meiner Ur-Ur-Ur-Ur-Oma!“

Die Tantenmühle in Malsburg-Marzell ist seit dem Jahr 1790 in Familienbesitz. Ein Stückchen weiter das Tal hinauf steht noch das alte ...
Die Tantenmühle in Malsburg-Marzell ist seit dem Jahr 1790 in Familienbesitz. Ein Stückchen weiter das Tal hinauf steht noch das alte Mühlenrad. | Bild: Monika Mansch/Privat

Ein Stückchen weiter das Tal hinauf, steht noch das alte Mühlenrad, das aus dieser historischen Zeit erzählt. „Ab und zu spaziere ich dort vorbei, um nach einem wilden Backtag Kraft in der Natur zu tanken“, lächelt Rosi, „dann denke ich an unsere lange Familiengeschichte und bin schon ein bisschen stolz!“