Im Handwerk gilt der Meisterbrief als Qualitätssiegel. Sieht der Kunde das eingerahmte Zertifikat, dann weiß er: Hier arbeitet jemand, der seinen Beruf gelernt hat. Frisöre, Stuckateure, Bäcker, Augenoptiker oder Dachdecker – insgesamt 41 Handwerksberufe – brauchen den Titel, um sich selbstständig machen zu können. In vielen anderen Gewerken ist seit dem Jahr 2004 die Pflicht für das Zertifikat aufgehoben. Die rot-grüne Regierung entband 53 Berufe von der Meisterpflicht. Seitdem müssen Fließenleger, Rolladenbauer, Gold- und Silberschmiede nicht die höchste Ausbildung im deutschen Handwerk besitzen, um ihre Dienste als Unternehmen anzubieten. In der Branche regt sich der Widerstand. Der Handwerkstag Baden-Württemberg (BWHT) spricht sich dafür aus, die Meisterpflicht in einigen Berufen wieder einzuführen. Die Politik zeigt sich offen. Die Forderung findet sich auch im Koalitionsvertrag von CDU und SPD wider.
Gründung ohne Meisterpflicht boomt
Aber warum die Rückwärtsrolle? Die Handwerkskammern des Landes verkünden Rekordzahlen, rund 132 700 Betriebe sind derzeit eingetragen. Was dort Sorgen bereitet: Die Zahl der Betriebe steigt ausschließlich im zulassungsfreien Handwerk – in den vergangenen zehn Jahren von 20 897 auf 28 938 Betriebe. Im handwerksähnlichen Gewerbe – Kosmetikerin, Klavierstimmer – wo schon immer keine Meisterpflicht gilt, sind rund 23 733 Betriebe eingetragen. Das politische Ziel aus dem Jahr 2004 ist mit dem Wachstumsschub erreicht worden: Die vereinfachte Betriebsgründung sollte die Arbeitslosenquote senken.
"Das macht uns Sorgen"
Der BWHT-Präsident ist mit der Entwicklung nicht wirklich glücklich. "Einerseits ist es schön, dass wir so viele Handwerksbetriebe im Land haben wie noch nie", sagt Rainer Reichhold, "andererseits gibt es am Markt immer weniger qualifizierte Meisterbetriebe. Das macht uns Sorgen." Tatsächlich zeigt die Statistik der Handwerkskammern im Land, dass die Anzahl der Betriebe mit Meisterpflicht zurückgegangen ist. Ende des Jahres 2008 waren 83 917 solcher Betriebe eingetragen, Ende 2017 nur noch 80 011. Die Handwerkskammer Konstanz liegt mit ihren Zahlen im Trend des Landes: Hier waren es im Jahr 2008 rund 7741 Meisterbetriebe, heute gibt es 354 Betriebe weniger. Die zulassungsfreien Betriebe sind derzeit mit rund 2295 gelistet – 807 Betriebe mehr als im Jahr 2008.
Dazu sieht Handwerkschef Reichhold zwei Probleme bei der Vielzahl an Solo-Selbständigen im Handwerk ohne Zulassung. Zum einen fehlt es an Qualität gegenüber dem Meister. Zum anderen bilden die Betriebe wenig bis gar nicht aus. "Ein Meisterbrief bietet einen Qualitätsstandard, an dem sich die Kunden orientieren können und sorgt so für Verbraucherschutz. Außerdem wissen wir, dass Betriebe, die von einem Meister geführt werden, durchschnittlich länger am Markt sind und mehr ausbilden", so Reichhold. Betriebe ohne Meisterpflicht seien schnell gegründet, hätten aber oft nur eine geringe Lebensdauer. Die Statistik gibt Recht: Im ersten Halbjahr 2018 mussten rund 2200 zulassungsfreie Betriebe schließen, auch das ist ein Höchststand.
Experte vertraut auf Verbraucher
Dirk Werner vom Institut der deutschen Wirtschaft überzeugen die Pro-Meisterbrief-Stimmen nicht vollständig. Zur fehlenden Qualität sagt er: "Bei allen Dienstleistung muss sich der Verbraucher Gedanken machen, welche Qualität er haben möchte. Er kann selbst entscheiden, ob er einen Ausbildungsbetrieb mit Meister nimmt oder das günstigste Angebot aus dem Internet." Weiter erklärt Werner, dass der Nachwuchs- und Nachfolgermangel den Rückgang der Meisterbetriebe bedingt. "Umso weniger Auszubildende, umso weniger Meister gibt es später." Viele Meister finden keinen Nachfolger für den Betrieb, wenn der Ruhestand ruft. Das schlägt sich in der Statistik nieder. "Es ist derzeit einfacher, als Nachfolger in einen Meisterbetrieb einzusteigen, als neu zu gründen", sagt der Experte vom Institut der deutschen Wirtschaft
"Ich sehe Erfolgschancen"
Am Ende wird die Entscheidung auf Bundesebene gefällt. Seit einige Monaten berät eine Arbeitsgruppe im Bundestag über eine Änderung in der Handwerksordnung. Erfreulich für Rainer Reichhold, doch der Präsident des Handwerkstags mahnt: "Entscheidend ist zum einen die Rechtssicherheit. Zum anderen muss klar sein, wie mit den aktuell am Markt vertretenen Betrieben verfahren wird." Dirk Werner vom Institut der deutschen Wirtschaft fällt es schwer, eine Tendenz auszumachen. Seine Einschätzung: "Das Handwerk hat eine starke Lobby. Ich sehe deshalb sicherlich gewisse Erfolgschancen."
Was kostet eine Stunde?
Eine Handwerkerstunde kostet ohne Umsatzsteuer zwischen 40 und 60 Euro, so die Deutsche Handwerks Zeitung. Der Stundensatz ist abhängig vom Gewerk, der Qualifikation des Arbeiters und dem Standort des Betriebs. Maler oder Fliesenleger berechnen ihren Preis meist nach Quadratmetern.