Die Haustür fällt mit einem Klicken ins Schloss, dann der Griff an den Kopf – der Schlüssel liegt noch in der Wohnung. Und nun? Menschen, die in der Nähe keinen Zweitschlüssel deponiert haben, bleibt nur der Anruf bei einem Experten, um das eigene Heim wieder betreten zu können. Das kann bei einem falschen Ansprechpartner richtig teuer werden, wie zwei Beispiele aus der Region zeigen. Im Sommer trieb eine Rechnung von 260 Euro – bar auf die Hand des Spezialisten – eine arbeitslose Markdorferin mit drei Kindern an den Rand des Ruins.

"Die Schamgrenze ist bei den Menschen gesunken"

Im Dezember der Schock für eine 27-Jährige aus Friedrichshafen: Stolze 410 Euro in bar verlangte der Handwerker für seine Dienstleistung. Die Frau erstattete Anzeige – und damit ist sie im Jahr 2018 bei weitem nicht alleine gewesen. Wie das InnenministeriumBaden-Württemberg auf Nachfrage dieser Zeitung mitteilt, stiegen bei der Polizei die Anzeigen der Wucher-Fälle im Handwerk im Jahr 2018 gut um das Dreifache an. 2017 waren es 151 Fälle, im vergangenen Jahr waren es rund 500 Anzeigen.

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Ein Sprecher des Innenministeriums erklärt einen Grund für den sprunghaften Anstieg: "Die Schamgrenze ist bei den Menschen gesunken." Sie seien durch die erhöhte mediale Berichterstattung über Abzock-Fälle für das Thema sensibilisiert worden, auch helfe die Aufklärungsarbeit der Verbraucherschützer. Er bestätigt, dass sich die Anzeigen verstärkt auf Schlüsseldienste und Rohrreiniger beziehen, die Menschen in ihrer Notlage ausnutzen – aber nicht nur.

Normaler Preis liegt zwischen 80 bis 150 Euro

Matthias Bauer aus der Verbraucherzentrale in Stuttgart fügt hinzu: "Elektronikdienstleister oder neuartige Notfall-Angebote wie die Insektenbekämpfung sind bei den Beschwerden mit dabei." Er und seine Kollegen hatte im vergangenen Jahr mit Anrufen über unseriöse Handwerker alle Hände voll zu tun, die Wucher-Preise hätten laut ihrer Marktbeobachtung im Jahr 2018 eine neue Dimension angenommen. Vor Weihnachten verlangte ein Schlüsseldienst 1900 Euro, der normale Preis liegt laut Bauer bei 80 bis 150 Euro. Der Verbraucherschützer sieht die Zahl des Innenministeriums von rund 500 Betroffenen sogar als untertrieben an: "Unsere Zahlen sind deutlich höher, wir haben eine enorme Dunkelziffer bei den Fällen."

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Was wird getan? Matthias Bauer sieht die Strafverfolgung relativ zahnlos gegenüber den Abzock-Unternehmen. Viele Anzeigen werden von der Staatsanwaltschaft nicht verfolgt, denn der Betrug sei schwer nachzuweisen – die Klagen der Betroffenen bleiben so zumeist auf der Strecke.

Leidtragende des Ganzen seien außerdem ehrliche Handwerker. Bauer sagt: "Es müsste den schwarzen Schafen stärker auf die Finger geklopft werden. Das Vertrauen in das Rechtssystem wird sonst massiv geschädigt." Die Verbraucher sieht er in der Pflicht, nicht den einfachsten Weg im Internet zu wählen: "Hinter den ersten Notdiensten in der Google-Suche versteckt sich meist ein dubioses Unternehmen. Die haben sich auf die ersten Plätze gekauft."

"Neue Qualität der Abzocke"

Ein persönlicher Kontakt zu einem Handwerker vor Ort sei wichtig. Außerdem sollte jeder Betroffene eine Quittung mit der Steuernummer verlangen, eine Barzahlung vor Ort muss nicht akzeptiert werden. Drängt der Handwerker auf das Geld, gibt Bauer einen Rat: "Standhaft bleiben oder die Polizei rufen."

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Die Verbraucherzentrale beobachtet eine "neue Qualität der Abzocke" – bei der Handwerkskammer Konstanz ist diese Beobachtung noch nicht angekommen. Zwar sei der Wucher-Vorwurf bekannt, allerdings habe es im vergangenen Jahr keinen Anstieg der Beschwerden in der Beratungsstelle gegeben, wie Petra Schlitt-Kuhnt auf Anfrage mitteilte. Die Sprecherin der Handwerkskammer bestätigt aber, dass die meisten Anrufer über hohe Preise bei Notdiensten berichten.

Vertrauen in das örtliche Handwerk haben

Diese Dienste gehören als Unternehmen allerdings meist nicht der Handwerkskammer an, sondern der Industrie- und Handelskammer. Schlitt-Kuhnt verweist darauf, dass der örtliche Schlosser als seriöses Handwerk mit Meisterpflicht zuerst gefragt werden sollte, bevor im Internet dubiose Firmen angerufen werden. Die Preise könnten an Feiertagen oder am Wochenende durchaus höher sein, denn dann gebe es einen tariflichen Zuschlag. Und auch bei den Rohrreinigern könne es bei einem schwierigen Einsatz hohe Gerätekosten geben, die zumeist zwischen 300 und 400 Euro liegen. Grundsätzlich rät die Pressesprecherin: "Wer stutzig wird, kann jederzeit den Verband anrufen." Oder die Polizei, wie das vergangene Jahr zeigt.