Julian Kares und dpa

Manchmal lässt sich Komplexes wie der Brexit auf etwas ganz Alltägliches herunterbrechen: Auf ein Gemüseregal in einem deutschen Supermarkt. Hier nämlich könnte nach einem ungeordneten Austritt der Briten aus der EU ein harter Konkurrenzkampf ausbrechen – das ist zumindest die Befürchtung von deutschen Gemüseerzeugern.

Gemüse könnte deutschen Markt fluten

Der Blick geht ins Nachbarland Niederlande. Wo werden etwa Paprika und Tomaten, die dort eigentlich für den britischen Markt herangezogen werden, am Ende landen? Holländische Exporteure bereiten sich auf das schlechteste Szenario eines chaotischen Brexits vor. Dies könnte dazu führen, dass holländische Paprika nicht mehr nach Großbritannien geliefert werden und stattdessen den deutschen Markt flutet.

Reichenau-Gärtner nicht direkt betroffen

Über das Szenario wird auch bei der Gemüse-Genossenschaft auf der Reichenau diskutiert, wie Johannes Bliestle erklärt. Der Geschäftsführer befürchtet bei einem chaotischen Austritt der Briten einen deutschlandweiten Preisverfall: "Wenn es auf dem deutschen Markt nur fünf Prozent Überschuss an frischem Gemüse gibt, dann kann das den Preis für den Anbauer um bis zu 50 Prozent senken."

Direkt und hart würde es die Gärtner von der Reichenau nicht treffen, denn seit einiger Zeit gibt es Bestrebungen, sich von der Marktdynamik abzukoppeln. Mit den meisten Händlern seien Festpreise für das Gemüse abgesprochen, so Bliestle. Allerdings betreffe das nicht alle Gemüse-Geschäfte – dort droht der Reichenau der Preiskampf mit dem Konkurrent aus den Niederlanden.

Probleme an der Grenze könnte Export hindern

Für die geht es um viel, denn Großbritannien ist nach Deutschland und Belgien der drittgrößte Absatzmarkt. Die niederländischen Landwirte haben nach Angaben des nationalen Statistikamts im Jahre 2018 Obst und Gemüse im Wert von rund zwei Milliarden Euro nach Großbritannien exportiert. Detaillierte Auflistungen zu den Produkten liegen für diesen Zeitraum noch nicht vor. 2017 waren es Tomaten für rund 275 Millionen Euro, Paprika für 185 Millionen Euro und Gurken für 90 Millionen Euro.

Ärger könnte es vor allem an der Grenze geben. Sollte es zu langen Wartezeiten kommen, müssen die Lieferwagen umgeleitet werden. Frisches Gemüse kann nicht dauerhaft gelagert werden – es braucht einen schnellen Weg zum Absatzmarkt. Bei leicht verderblicher Ware zählt jede Stunde. Beispielsweise landen niederländische Tomaten oder Blumen innerhalb weniger Stunden auf den Londoner Märkten.

Schnelligkeit zählt auf dem Markt

Johannes Bliestle von der Reichenauer Gemüse-Genossenschaft erklärt, dass die Produzenten sehr kurzfristig entscheiden können, wo sie verkaufen. „Wenn die Ware steht, dann schicken sie ihre Lastwagen woanders hin." Auf dem Markt müsse schnell gehandelt werden. Und wenn es keinen festen Vertrag mit einem Abnehmer gibt, kann das Gemüse im Grunde überall verkauft werden. Kommt der Lastwagen dann über die deutsche Grenze, steht für Bliestle eines fest: Das Gemüse kann hier nur über den Preis verkauft werden.

Verband warnt: Obst könnte ebenfalls betroffen

Die Niederländer bereiten sich bereits vor. Exporteure strecken ihre Fühler nach alternativen Absatzmärkten in der EU aus. Dabei gehe es nicht nur um Deutschland, sondern auch um Frankreich, Polen oder Belgien. Ein weiteres Problem: Der Bundesfachverband für Gemüseanbau geht davon aus, dass die Ware aufgrund der Marktüberversorgung verderben könnte.

Und auch der Deutsche Fruchthandelsverband meldet sich zu Wort, auch der Obst-Handel könnte betroffen sein. Bei einem ungeordneten EU-Austritt sei zu erwarten, dass die Versorgung auf der Insel mit frischem Obst und Gemüse nicht mehr reibungslos verläuft. Hier führe das erhöhte Obst- und Gemüseangebot zu fallenden Preisen, heißt es seitens des Verbandes.

Ist der Gemüsehandel dauerhaft in Gefahr?

Bislang weiß keiner, welche genauen Folgen ein Austritt der Briten aus der EU nach sich ziehen wird. Großbritannien will die EU am 29. März verlassen. Doch noch immer ist kein geregeltes Abkommen unter Dach und Fach. Sollte es tatsächlich zu einem chaotischen Brexit kommen, sieht Johannes Bliestle für den deutschen Gemüsemarkt aber keine dauerhafte Gefahr. Zwei Argumente sind für ihn entscheidend. "Ich gehe davon aus, dass die Menschen auf der Insel gerne weiter frisches Obst essen wollen. Außerdem glaube ich nicht, dass die Niederländer ihr Gemüse dauerhaft auf anderen Märkten verramschen wollen."