Als Fahrradhauptstadt hat das kleine Örtchen Vogt bisher nicht von sich reden gemacht. Hier, irgendwo zwischen Friedrichshafen am Bodensee, Ravensburg und Wangen im Allgäu, sind die Hügel noch zu flach, um so richtig stramm in die Pedale treten zu müssen. Aber irgendwie auch zu steil, um wirklich entspannt ans Ziel zu kommen. Kein optimaler Standort also für einen der am schnellsten wachsenden Fahrradbauer der Republik, könnte man meinen.

David Assfalg sieht das anders. Der Propain-Chef steht in der schon wieder viel zu klein gewordenen Montagehalle seines Unternehmens und grinst. „Uns gefällt es hier“, sagt er. „Das Plätzchen ist für uns optimal, aber leider schon wieder zu eng“. Daher ist er gerade in Gesprächen mit der Gemeinde, den vor drei Jahren komplett neugebauten Stammsitz deutlich zu erweitern. Es geht um mehr Logistikflächen, mehr Produktion und mehr Jobs für die Region.
Das Unternehmen wächst
Seit 2016 hat der Mountainbike-Spezialist in der 4500-Seelen-Gemeinde seinen Sitz. Und seit damals geht es für das Unternehmen bergauf. Das aktuelle Firmengebäude, auf dessen matt-schwarzer Fassade in großen weißen Buchstaben der Firmenname – Propain – prangt, ist in dem tristen Industriegebiet am Ortsrand Vogts das architektonische Highlight. Und der davor geparkte dunkelblaue Porsche 911 mit dem Nummerkürzel „PP“ zeigt, dass man mit Fahrrädern im Autoland Deutschland durchaus Geld verdienen kann, wenn man es denn richtig anstellt.

Bei Propain ist das offensichtlich der Fall. Von zwei Tüftlern Mitte der Nuller-Jahre aus einer Flause heraus auf die Spur gesetzt, ist das ehemalige Start-up heute zu einem der Top-5 Direktversender für hochwertige Mountainbikes und Gravel-Renner in Europa gereift. Und weil die fahrradverrückte Kundschaft auch Nachwuchs hat, sind seit einiger Zeit auch Kinder-Räder von den Baden-Württembergern zu haben.
Technologische Kompetenz als Schlüssel des Erfolgs
Was den Erfolg der Firma ausmacht, kann man im Ausstellungsraum von Propain in Vogt begutachten. Zwischen Fahrradintarsien minderer Bedeutung hängt dort ein ganz besonderer Mountainbike-Rahmen. Er hat eine Vollfederung, im Fahrradjargon Fully genannt. Propain-Gründer und Assfalgs Mitgeschäftsführer Robert Krauss hat ihn vor Jahren konstruiert und damit ein technologisches Alleinstellungsmerkmal erschaffen, dass in der technikverliebten Bike-Szene einschlug wie ein Blitz.
Anders als bei vergleichbaren Mountainbikes ist die Federkomponente am patentierten Pro10-Hinterbau schwimmend gelagert. Wer damit mit Höchstgeschwindigkeit einen Berg hinunterbügelt, soll – so das Versprechen – unten ankommen, ohne von kreuzenden Wurzeln, Felsen oder Bodenwellen aus dem Sattel gehebelt zu werden. „Baller-Bikes vom Bodensee“ hat ein Fahrradmagazin die Propain-Geschosse daher schon mal genannt.
Erfolge bei Red-Bull-Wettkampf in USA
Mehrere Produktzyklen später haben es die grobstolligen Rennmaschinen sogar ins Olymp der Fahrradverrückten geschafft – der Red-Bull-Rampage. Bei dem wohl irrsten Mountainbike-Wettkampf weltweit stürzen sich jedes Jahr handverlesene Extremsportler einen Berg im US-Staat Utah hinunter. Zwischendrin versperren tiefe Schluchten und turmhohe Felsen die Ruckelpiste.

Dass bei der letzten Ausgabe der Rampage gleich mehrere Athleten auf Propain-Rädern antraten, verbucht man in Vogt als Ritterschlag. Mit dem US-Profi-Biker Carson Storch landete sogar ein Propain-Fahrer auf dem Treppchen. „In den USA werden wir gerade richtig bekannt“, sagt Assfalg, der früher selbst fürs deutsche Rennrad-Nationalteam in die Pedalen trat.
Wachstumsmarkt USA
Daher pendelt der gelernte Schreiner in letzter Zeit mehr zwischen Kalifornien und Colorado als zwischen dem Allgäu und dem Bodensee. Bei seinem letzten Besuch im hauseigenen US-Produktionswerk in Vancouver habe er „jeden Tag selbst mit anpacken müssen, um Räder zusammenzuschrauben“. Den Nachfrageschub von zuletzt 300 Prozent monatlich hätten die US-Monteure alleine nicht mehr bewältigen können.
Corona-Phase war „keine schöne Zeit“
Geruckelt hat es bei den erfolgsverwöhnten Fahrradkonstrukteuren aber auch mal. „Die Corona-Phase war nicht schön“, sagt Assfalg. Mehrfach musste der Propain-Chef damals vor verärgerten Kunden Abbitte leisten, weil die bestellten Räder nicht ausgeliefert werden konnten. Die Seecontainer aus Asien, wo das Unternehmen seine Rahmen herbezieht, seien einfach nicht durchgekommen, sagt er.
Frisches Kapital und neue Investoren
Internen Zoff gab es damals auch. Nach Meinungsverschiedenheiten verließ Propain-Mitgründer Markus Zander, in dessen Keller Jahre zuvor die ersten Entwürfe für Mountainbikes gezeichnet wurden, das Unternehmen. In der Folge stiegen zwei bikeverrückte Privatleute bei den Oberschwaben ein. Die parallel durchgeführte Kapitalerhöhung spülte neues Geld in die Propain-Kassen. Den Charakter der Firma habe der Schritt nicht verändert, sagt Assfalg. Ins operative Geschäft mischten sich die Investoren nicht ein.
Und so kann das Unternehmen sein Konzept weiter vorantreiben. Anders als bei der Konkurrenz können sich Propain-Kunden nämlich nach der Auswahl des Rahmens ihr komplett individuelles Fahrrad zusammenstellen. Schaltkomponenten, Federung, Tretlager, Umwerfer, Design, Farbe – alles sei über ein Online-Tool im Internet frei wählbar, sagt Assfalg.
Mit der Strategie hat es Propain, dessen Name an Muskelkater nach einem Fahrradtag erinnern soll, geschafft, auf Tuchfühlung mit den Branchengrößen im Fahrrad-Direktversand wie Canyon, Radon oder Rose zu gehen. Um 47 Prozent sei man im vergangenen Jahrzehnt im Durchschnitt jährlich beim Umsatz gewachsen. „Der Erfolg gibt uns recht, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, sagt Assfalg.
Mehr Investitionen, mehr Jobs
Das Ende der Fahnenstange soll das aber nicht sein. Fürs laufende Jahr peilt man eine Umsatzsteigerung um zehn Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr auf 45 Millionen Euro an. Bis Anfang 2025 soll die Mitarbeiterzahl am Vogter Stammsitz um „100 bis 150 Beschäftigte“ ansteigen. Bis zu fünf Millionen Euro will man in die Hand nehmen, den Standort auszubauen. Assfalg sagt: „Ich sehe, dass es nur bergauf geht.“