Wer Mathias Miedreich, dem designierten Vorstandsvorsitzenden von Deutschlands zweitgrößtem Autozulieferer ZF, auf der Straße begegnet, könnte ihn glatt für einen Sportlehrer oder Fitness-Coach halten. Braungebrannt, die Kurzhaarfrisur leicht nach hinten gegelt und mit Muskeln bepackt, entspricht der 50-Jährige nicht dem Stereotyp des nüchternen Automanagers. Kein Wunder, der gebürtige Kemptener war früher Leistungssportler und rannte bei 400-Meter-Meisterschaften im süddeutschen Raum ganz vorne mit.

Geschwindigkeit ist wichtig

In seinem neuen Job könnte er Geschwindigkeit brauchen. Sein Vorgänger auf dem ZF-Chefsessel, Holger Klein, stürzte, weil es ihm nicht gelang, ZFs Probleme schnell genug zu lösen. Und davon gibt es derzeit viele.

Mit 10,5 Milliarden Euro Nettoschulden steht ZF bei seinen Gläubigern tief in der Kreide. Allein die Zinszahlungen belaufen sich auf mehrere Hundert Millionen Euro jedes Jahr. Dem gegenüber steht ein stotterndes Neugeschäft. Die globalen Fahrzeugmärkte befinden sich immer noch in der Krise, was auch dem Zulieferer zu schaffen macht. Hinzu kommt der Zollkonflikt mit den USA und die Konjunkturschwäche Chinas.

In seiner Antriebssparte sitzt ZF auf milliardenschweren Altverträgen, mit denen man Verluste einfährt. Im abgelaufenen Geschäftsjahr rutschte der Konzern daher tief in die roten Zahlen.

Holger Klein, Noch-Vorstandsvorsitzender der ZF Group, tritt Ende September zurück. Anfang 2023 trat er sein Amt an.
Holger Klein, Noch-Vorstandsvorsitzender der ZF Group, tritt Ende September zurück. Anfang 2023 trat er sein Amt an. | Bild: Oliver Dietze, dpa

Um sich finanziell Luft zu verschaffen, plant ZF, Unternehmensteile zu verkaufen oder organisatorisch eigenständig aufzustellen. Betroffen davon ist neben dem Airbag-Geschäft auch die Antriebs- und Getriebesparte. Diese ist mit gut 30.000 Beschäftigten und rund elf Milliarden Euro Umsatz die wichtigste Säule der ZF. Miedreich ist der Manager, der für diese sogenannte E-Division eine Lösung finden soll.

Sprintstart für den Neuen

Das kommt einem Sprintstart gleich. Erst seit Januar ist der 50-Jährige nämlich am Bodensee unter Vertrag und steht seit damals der Antriebssparte vor. Anfang Oktober nun soll er an die Konzernspitze aufrücken. Denn Job als Sparten-Chef, soll er so lange weitermachen, bis ein Nachfolger gefunden ist.

Der Aufsichtsrat um seinen Chef Rolf Breidenbach scheint dem Allgäuer das zuzutrauen, nicht nur, weil sich Miedreich als Leichtathlet mit Sprintstarts auskennen sollte. Mit ihm habe man einen Firmenchef gefunden, der nicht nur über tiefgreifende Erfahrung in der Industrie verfüge, sondern auch seit seinem Antritt als ZF-Vorstand mit einer Kombination aus Entscheidungsstärke und Kommunikationsfähigkeit die Restrukturierung der E-Division bedeutend vorangetrieben habe, sagte er.

Miedreich kommuniziert klar und offen

Auf der Habenseite hat Miedreich sicherlich seinen unprätentiösen Stil. Intern heißt es, es kommuniziere sehr offen und transparent. Der „FAZ“ sagte er: „Man kann sich selbst als Mensch schwer verstellen, und man sollte auch Leute, mit denen man arbeitet, nicht für dumm verkaufen. Wenn man am Ende des Tages die Wahrheiten nicht klar anspricht, dann verliert man die Leute.“

Seine Vergangenheit als Leistungssportler ist ihm anzusehen. In der Jugend lief Miedreich 400-Meter-Wettkämpfe.
Seine Vergangenheit als Leistungssportler ist ihm anzusehen. In der Jugend lief Miedreich 400-Meter-Wettkämpfe. | Bild: Felix Kästle

Und so redet er Tacheles, wo er kann. Bei einer Betriebsversammlung am Schweinfurter Leitstandort für E-Mobilität im Juli, schwor er die Belegschaft auf deutliche Härten ein und nannte den Wegfall der Eigenfertigung von E-Motoren und die Verlagerung von Geschäftsbereichen ins Ausland als Option, wie es von Betriebsrat hieß. In einem seiner ersten Interviews bei ZF sagte er dem SÜDKURIER bereits im Juni, der Druck auf die Beschäftigung werde auf künftig groß bleiben und sich in den kommenden Monaten „eher noch verstärken“.

Kosten runter, weniger Jobs

Vier Themen stünden für ihn oben auf der Agenda, wie er der „Wirtschaftswoche“ jüngst berichtete: Kosten runter, das Portfolio straffen, Fertigungsstandorte prüfen und Mitarbeiterabbau. „Schwierig, aber notwendig“, nannte er diese Schritte für die Antriebssparte. Sogar einen nochmaligen Abbau von Jobs über das bereits beschlossene Maß hinaus hält er für denkbar. „Wir müssen den Überhang abbauen, damit die Mitarbeiter, die auch in Zukunft bei uns in der Antriebssparte arbeiten, eine Zukunft haben“, sagte er der „FAZ“.

Kritiker sehen fehlende Erfahrung

Kritiker wenden indes ein, Miedreich fehle es an Führungserfahrung ganz oben in der Zulieferindustrie. Nach dem BWL-Studium in Erlangen-Nürnberg arbeitete er zwar in unterschiedlichen Positionen für Siemens, Continental und Faurecia in Europa und Asien, aber nie auf einem Chefposten. Den bekleidete er indes beim Rohstoffkonzern Umicore zwischen 2021 und 2024.

Um sein Hauptprojekt, mit dem Gemeinschaftsunternehmen Ionway eine Batterieallianz mit Volkswagen einzugehen, ist es zuletzt ruhig geworden. An die Umicore-Spitze rückte im Mai 2024 ein anderer Manager vor. Sein Bekanntheitsgrad bei den großen ZF-Kunden sei „ausbaufähig“, wie ein Beobachter der Branche konstatiert. Diese sind aber für ZF zentral, etwa wenn es um die Neuverhandlung nicht kostendeckender E-Aufträge geht.

ZF-Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats/Konzernbetriebsrat Achim Dietrich: Er stemmt sich gegen die Ausgliederung der E-Division bei ZF.
ZF-Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats/Konzernbetriebsrat Achim Dietrich: Er stemmt sich gegen die Ausgliederung der E-Division bei ZF. | Bild: ZFBR

Immerhin stößt er bei Arbeitnehmerseite nicht auf generelle Ablehnung. Der Gesamtbetriebsrat stehe für einen Schulterschluss mit dem neuen Vorstandsvorsitzenden bereit, sagte ZF-Betriebsratschef Achim Dietrich. Aber nur „sofern Beschäftigte, Technologie und Kunden wieder im Mittelpunkt der ZF stehen.“

Zeit, sich näherzukommen, gibt es indes wenig. Bis Ende September will der Konzern mit der Arbeitnehmerseite eine Lösung für die Jobs in der Antriebssparte finden. Miedreich, bis dahin formal noch in seiner alten Position, wird schnell verhandeln müssen.