Corona hat den Fahrradboom zum Fliegen gebracht und hat der deutschen Fahrrad- und E-Bike-Industrie trotz oder wegen der Coronapandemie einen leichten Zuwachs beschert. Burkhard Stork, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbands (ZIV) und Claus Fleischer, Geschäftsführer der E-Bike-Sparte bei Bosch, gaben Pressevertretern beim Branchengespräch der Eurobike einen Einblick in ein schwieriges erstes Halbjahr, das die Hersteller auch weiterhin vor große Herausforderungen stellt.

Bis zu 35 Prozent Zuwachs konnte die Branche zwischen 2019 und 2020 verbuchen und die Nachfrage stieg in diesem Jahr weiter an. Die Menschen haben das Fahrrad als Alternative zum öffentlichen Nahverkehr entdeckt, genossen den geringen Straßenverkehr und haben mit Urlaub auf dem Rad manche Fernreise ersetzt. E-Bikes waren deshalb vor allem bei Pendlern, auch in diesem Jahr, besonders gefragt. Der ZIV schätzt, dass in der ersten Jahreshälfte 1,2 Millionen Elektrofahrräder verkauft wurden. Ein Plus von neun Prozent. Bis Ende des Jahres werden es etwa 1,9 Millionen Exemplare sein.

Ohne Elektromotor macht ein Cargo-Bike wenig Sinn, sagt die Firma Urban Arrow. Mit der entsprechenden Unterstützung spielt das Gewicht ...
Ohne Elektromotor macht ein Cargo-Bike wenig Sinn, sagt die Firma Urban Arrow. Mit der entsprechenden Unterstützung spielt das Gewicht der zu transportierenden Last keine Rolle mehr. | Bild: Anette Bengelsdorf

Die Nachfrage nach Fahrrädern ohne Tretunterstützung konnte dagegen nicht gedeckt werden, da die Hersteller die vorhandenen Kapazitäten in erster Linie für die Produktion von E-Bikes nutzten. Somit wurden 1,55 Millionen klassischer Räder verkauft, 26 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum.

Werkschließungen, Unterbrechungen der Produktion und von Lieferketten, wie zuletzt bei der Schließung des Suez-Kanals im März, setzen sich auch im Jahr 2021 fort. Die Knappheit von Rohstoffen, elektronischen Bauteilen und Batteriezellen hat sich sogar verschärft. Das, so sagt Stork, mache sich für den Endverbraucher in längeren Lieferzeiten und um fünf bis zehn Prozent gestiegenen Preisen bemerkbar. Aus Asien importierte Ware sei inzwischen etwa doppelt so lange unterwegs wie vor der Pandemie. Deshalb könne nur mit kurzem Vorlauf produziert werden. Zudem stiegen die Transportkosten für jeden Container entsprechend an.

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Trotzdem wurden insgesamt mehr Räder als im Vorjahr importiert. Das Statistische Bundesamt spricht von einem Plus von beinahe zwölf Prozent. Ein Drittel davon entfällt aufs Elektrorad. In Deutschland selbst wurden 1,4 Millionen Fahrräder produziert. Davon wurden elf Prozent mehr als im vergangenen Jahr ins Ausland verkauft.

Dass sich die Situation auf dem Weltmarkt in absehbarer Zeit verbessert, damit die Nachfrage auf dem heimischen Markt vollumfänglich gedeckt werden kann, erwarten die Fachleute nicht. Vielmehr werden die negativen Auswirkungen der angespannten Lage auch noch in der zweiten Jahreshälfte und voraussichtlich bis Ende nächsten Jahres zu spüren sein.

Die Infrastruktur muss mithalten

Mit einem Anteil von 40 Prozent ist das E-Bike in Deutschland auf der Überholspur angekommen. Claus Fleischer ist sicher, dass in naher Zukunft jedes zweite Rad ein Elektrisches sein wird. Doch ganz gleich ob E-Bike, klassisches Rad, Mountainbike oder Rennrad: hält die Infrastruktur nicht mit, sind dem Wachstum Grenzen gesetzt. Wie eine Umfrage in der europäischen Bevölkerung ergab, sind nur ein Prozent der Radfahrer furchtlos und ohne Sicherheitsbedenken unterwegs. 60 Prozent wären generell am Radfahren interessiert, fürchten jedoch um ihre Sicherheit auf den Straßen. Ganze 30 Prozent der Befragten würden sich niemals im Straßenverkehr auf ein Fahrrad setzen.

Dabei wäre das Fahrrad dem Auto in vieler Hinsicht überlegen. Während Autos die meiste Zeit im Stau, in der Garage oder auf dem Parkplatz stehen, macht das Fahrrad mobil. Doch gerade ältere Menschen und Mütter mit Kindern fühlen sich auf der Straße nicht wohl. Stork fordert daher mehr und deutlich bessere Infrastruktur, die auch dem wachsenden Anteil von Lastenrädern gewachsen ist. Diese werden nicht nur im Freizeitbereich, sondern inzwischen vermehrt für Lieferdienste und selbst im Handwerk genutzt.

Grüße von Merkel

Angela Merkel hatte es sich nicht nehmen lassen, per Videobotschaft die letzte Eurobike in Friedrichshafen zu grüßen. Sie versprach, Infrastrukturmaßnahen zu fördern, um das Radfahren attraktiver und sicherer zu machen. Dieses Thema soll auch im Rahmen der Eurobike zukünftig in den Vordergrund rücken. Wie Stefan Reisinger, Bereichsleiter Eurobike sagt, biete der Standort Frankfurt die besten Voraussetzungen dafür.