„Ich weise die Vorwürfe entschieden zurück.“ Mit einer teils sehr emotionalen Rede wehrt sich Ipek Demirtas – die frühere Finanzchefin des untergegangenen Küchenherstellers Alno – gegen die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft. Konkursverschleppung, Kreditbetrug und Untreue sind die wichtigsten Säulen, auf die sich die 57 Punkte umfassende Anklageschrift aufbaut.
Die Vorwürfe richten sich gegen die 57-Jährige wie auch gegen den 78-jährigen Max Müller, den ehemaligen Vorstandschef des einst größten Küchenherstellers Europas, der 2017 Insolvenz anmelden musste und 2021 endgültig geschlossen wurde.
Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft war Alno bereits 2013 zahlungsunfähig. Davon geht auch Insolvenzverwalter Martin Hörmann aus, der ein entsprechendes Gutachten erstellen ließ. Das weist Demirtas mit erregter Stimme vor der Großen Wirtschaftskammer am Landgericht Stuttgart vehement von sich. Die Anschuldigungen seien unfair vorbereitet und verursachten für sie einen großen Schaden.
Viele Kontakte in ihrem Netzwerk seien durch die Ermittlungen zerstört worden. „Ich habe immer für dieses Unternehmen gekämpft“, beteuert Demirtas. So habe sie kaum Urlaub genommen und an vielen Wochenenden durchgearbeitet. Insgesamt seien zwischen 2011 und 2016 gut 700 Tage ohne Entlohnung zusammengekommen, was einem Gegenwert von 1,2 Millionen Euro entspreche.
Seit Jahren Geldsorgen
Alno sei während ihrer Zeit als Finanzvorständin nie in Gefahr gewesen, zahlungsunfähig zu sein, beteuert Demirtas. Die Staatsanwaltschaft habe sich nie die Mühe gemacht, ein Gutachten zu studieren, das dies bestätige. Die Vorwürfe seien „völlig unbegründet“, denn das Zahlenwerk wurde von Wirtschaftsprüfern in vollem Umfang testiert.
Wie schon Müller zuvor betont auch Demirtas, dass die beiden 2011 ein marodes Unternehmen vorgefunden haben, dem keine Bank trotz bereits hoher Sicherheiten mehr Geld geben wollte. „Alno gehörte kein Stuhl mehr“, so Demirtas.
Über Müllers Finanzgesellschaft Comco und den Küchengerätehersteller Bauknecht sei es gelungen, das Unternehmen zu stabilisieren und sogar die Bankkredite zurückzuzahlen. So habe der Konzern auch die Sicherheiten wie die Firmenzentrale in Pfullendorf, mehrere weitere Immobilien wie auch die Markenrechte auslösen können. Das habe die Anklage mit keinem Wort gewürdigt.
Den schwäbischen Küchenhersteller plagten aber auch in den Jahren immer wieder Geldsorgen. Demirtas spricht von saisonbedingter „Zahlungsstockung“. Umsatzschwankungen seien im Küchengeschäft üblich, relativiert die ehemalige Finanzchefin die Tatsache, dass der Konzern immer wieder mit Zahlungen im Verzug war und sie von den Lieferanten stunden ließ.
Nie seien gesetzliche Fristen missachtet worden, wonach man eine Insolvenz hätte anmelden müssen. Die Lieferanten hatten auch großes Vertrauen in das Pfullendorfer Unternehmen bewiesen und nie den Warenstrom an den Küchenbauer gestoppt, so Demirtas. Nur so sei es möglich gewesen, dass Alno Jahr für Jahr 250.000 Küchen ausgeliefert habe.
Finanzlöcher rechtzeitig gestopft?
An dieser Stelle zeichnet sich bereits ab, dass das Gericht in den folgenden Monaten untersuchen muss, ob Müller und Demirtas immer rechtzeitig gelungen ist, alle Finanzlöcher so zu stopfen, wie es das Insolvenzrecht vorschreibt. Zu klären ist dann auch, ob zwischen 2013 und 2017 jemand Schaden genommen hat.
Demirtas berichtet dem Gericht, wie sie in einem entlegenen Bergdorf in Anatolien aufgewachsen ist. Mit sechs Jahren holen sie die Eltern nach Deutschland. Seit sie 17 Jahre alt ist, steht Demirtas, die seit 1994 die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, auf eigenen Füßen. Karriere hat sie erst als IT-Spezialistin und später als Finanzprüferin in verschiedenen Unternehmen gemacht.
Vorwurf Kreditbetrug
Der Vorwurf des Kreditbetrugs basiert auf einer Klage der Investmentgesellschaft Tahoe, die zur Prevent-Gruppe der bosnischen Familie Hastor gehört. Demnach hätten sich Müller und Demirtas mit geschönten Zahlen ein Darlehen erschlichen.
Die ehemalige Finanzchefin weist das entschieden zurück. Die Bosnier wollten unbedingt bei Alno einsteigen und den Konzern übernehmen. Für nähere Finanzangaben hätten sie sich nicht interessiert, was bei einer Übernahme ausgesprochen ungewöhnlich ist. Die erfahrenen Bosnier hätten genau gewusst, worauf sie sich einlassen.
Die Rolle von Prevent?
„Das war ein hochriskantes Investment in ein Unternehmen in Schwierigkeiten“, betont Demirtas. „Prevent verfolgt immer das gleiche Muster“, erklärt die 57-Jährige. Schrittweise werde die Kontrolle über ein angeschlagenes Unternehmen übernommen.
Dann verlagerten die Investoren die Fertigung ins Ausland und sicherten sich die Vermögenswerte. Diese Strategie habe bei Alno dazu geführt, dass das Unternehmen unter der neuen Führung erst die Lieferanten verprellt und später die Insolvenz des Konzerns 2017 anmelden musste, meint Demirtas.
In den kommenden Wochen sollen Ermittler des Bundeskriminalamtes, des Aufsichtsrates sowie Geschäftspartner als Zeugen vernommen werden.