Philipp von Michaelis hat wenig Zeit. Gerade war er geschäftlich in der Schweiz. Und da muss er auch nachher wieder hin. Die ukrainische Botschafterin erwartet ihn und will mehr über die tonnenschweren Spezialfahrzeuge wissen, die seine Firma baut und die gerade hinter der ukrainischen Front im Einsatz sind.

Sowieso ist der Unternehmer das halbe Jahr auf Achse, irgendwo in Krisen- oder Kriegsgebieten. „Sobald es die Sicherheitslage zulässt, sind wir da und räumen auf“, sagt von Michaelis.

Phillipp von Michaelis leitet seit 2015 die aus der Insolvenz der Minewolf Systems AG entstandene Schweizer Firma Global Clearance ...
Phillipp von Michaelis leitet seit 2015 die aus der Insolvenz der Minewolf Systems AG entstandene Schweizer Firma Global Clearance Solutions, die ihre Minenräumraupen in Stockach am Bodensee produziert. Im Hintergrund eine Raupe mit Schaufel-Arm. | Bild: Walther Rosenberger

Der 48-Jährige ist Chef des Fahrzeugbauers Global Clearance Solutions (GCS). Das Schweizer Unternehmen, das im deutschen Stockach am Bodensee seine sandfarben oder olivgrün getünchten High-Tech-Produkte fertigt, gehört zu den weltweiten Marktführern für Minenräumfahrzeuge.

In der Ukraine sei man im Moment sogar „der mit Abstand größte Lieferant für Minenräumtechnologie“, sagt von Michaelis, der das Unternehmen zusammen mit Finanzchef und Mitgründer Markus Zurkirchen führt.

Ukraine-Krieg sorgt für hohe Nachfrage

Er steht in der zentralen Fertigungshalle des Unternehmens im Stockacher Industriegebiet, und fast ist ihm das Gewusel hier unangenehm. Normal gehe es geordneter zu, sagt er. Aber seit die russische Armee in der Ukraine in großem Stil Minen verlege, komme man mit den Räumanfragen fast nicht mehr hinterher.

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Ohne Räumfahrzeuge geht es nicht

Fast ein Drittel des Landes sind nach Angaben ukrainischer Regierungsstellen nach eineinhalb Jahren Krieg durch Munitionsrückstände, Minen oder Sprengfallen verseucht. Fast täglich kommt es zu Zwischenfällen mit Toten und Verletzten, gerade auch in der Zivilbevölkerung.

Pioniertrupps sind überall im Land unterwegs, um Felder und Straßen zu räumen. „Aber per Hand und Sonde suchen – das reicht nicht“, sagt von Michaelis.

Produktion der Minenräumraupe GCS 200 in Stockach: Sie ist bis zu zehn Tonnen schwer und ferngesteuert.
Produktion der Minenräumraupe GCS 200 in Stockach: Sie ist bis zu zehn Tonnen schwer und ferngesteuert. | Bild: Walther Rosenberger

Zehn Räumraupen samt Zubehör und Ersatzteilen hat GCS daher in den vergangenen Monaten in das Land geliefert. Weitere zehn sollen bis Ende 2023 vor Ort sein. 40 Systeme seien für die Ukraine fest beauftragt, heißt es von GCS.

In der zweiten Oktoberhälfte soll auch ein Minewolf geliefert werden – einer jener 26 Tonnen schweren Minenräum-Ungetüme „Made in Südbaden“, denen selbst Mehrfach-Detonationen von Panzerminen nichts anhaben können.

Philipp von Michaelis steht in Stockach vor einem Minewolf-Minenräumpanzer. Das 26 Tonnen schwere Gefährt wird nicht mehr gebaut und ist ...
Philipp von Michaelis steht in Stockach vor einem Minewolf-Minenräumpanzer. Das 26 Tonnen schwere Gefährt wird nicht mehr gebaut und ist eines der letzten Exemplare, die derzeit noch am Markt sind. Demnächst soll es in der Ukraine zur Minenräumung eingesetzt werden. | Bild: Walther Rosenberger

Das weiß getünchte Exemplar, das latent an einen überdimensionierten Fahrschul-Panzer der Bundeswehr erinnert, steht bei GCS gerade auf dem Hof und wird für den Transport gen Osten fertig gemacht. Es ist eines der letzten lieferbaren Exemplare weltweit.

Seit der Insolvenz der Firma Minewolf Systems AG im Jahr 2015 hat das Nachfolgeunternehmen GCS seine Produktpalette noch einmal deutlich ausgeweitet. Ein Alleinstellungsmerkmal sei, dass sie flexibel und „gegen unterschiedlichste Bedrohungen“ eingesetzt werden könnten, so von Michaelis.

Auch der legendäre Minewolf wurde in Stockach gebaut

Tatsächlich hat GCS jahrelange Erfahrung im Minenräumgeschäft. 2004 war der Betriebswirt von Michaelis einer der Gründer der mittlerweile insolventen Minewolf Systems AG. „Damals waren wir eine Art verrücktes Start-up“, sagt der 48-jährige. „Wir haben eine Marktlücke gesehen und getüftelt.“

Aushängeschild wurde bald der stark gepanzerte Winewolf-Minenräum-Panzer, den man in Zusammenarbeit mit dem Südtiroler Pistenraupenbauer Prinoth auf Grundlage einer Forstfräse im Stockacher Hinterland entwickelte und der den Ruf der badischen Maschinenbauer als „Pioniere der mechanischen Minenräumung“ begründete.

Spezialisten von GCS trainieren Mitarbeiter des staatlichen Notdiensts der Ukraine sowie der ukrainischen Polizei in der Ukraine an ...
Spezialisten von GCS trainieren Mitarbeiter des staatlichen Notdiensts der Ukraine sowie der ukrainischen Polizei in der Ukraine an einer GCS-Minenräumraupe. | Bild: GCS

Für frisches Kapital sollte in diesen Jahren ein Private-Equity-Fonds sorgen. Hohe Gewinnerwartungen der neuen Minewolf-Eigner und ein von Staatsaufträgen abhängiges Nischengeschäft passten aber wohl nicht so recht zusammen. Als zudem Konflikte wie im Irak und in Afghanistan, die zuvor für Umsatz gesorgt hatten, ausliefen, rutschte Minewolf 2015 in die Pleite.

Die Maschinen wurden verkauft, den Namen Minewolf und Patente sicherte sich eine britische Rüstungsfirma. Nur das Team blieb an Bord und begann neu zu entwickeln. „Das war ein harter Schnitt“, sagt der Firmenchef. „Aber er hatte auch etwas Gutes, denn wir haben die Produkte noch einmal ganz neu gedacht.“

Statt klobiger Räum-Monster wie dem Minewolf konzentrierte man sich auf kleinere, nur leicht gepanzerte Geräte, die alle in Norm-Container passen und daher viel schneller und günstiger zu transportieren sind. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um kettengetriebene Raupen zwischen zwei und zehn Tonnen Gewicht, die sich ferngesteuert und mit Sensoren ausgestattet bewegen.

Ein YouTube-Video von GCS zeigt das Gerät im Einsatz:

Im Schritttempo überfahren sie das zu räumende Gebiet. Spezielle Schlegel oder Fräsen vor den Maschinen bringen im Boden verborgene Minen oder Munition zu Detonation. Das unterscheidet die Geräte von klassischen Räumpanzern – etwa der Keiler der Bundeswehr, der zwar ebenfalls minenfreie Gassen erzeugt, aber die Sprengsätze nur nach rechts und links wegschleudert, damit die Infanterie auf einem sicheren Weg vorrücken kann.

Unscheinbar, aber derzeit für die Ukraine enorm wichtig: das GCS-Produktionswerk im Stockacher Industriegebiet.
Unscheinbar, aber derzeit für die Ukraine enorm wichtig: das GCS-Produktionswerk im Stockacher Industriegebiet. | Bild: Lukas Leertaste

„Wir konzentrieren uns auf die vollständige Beseitigung der Sprengsätze, meist hinter der Front“, sagt von Michaelis. Eine einzige Raupe schaffe dabei bis zu 10.000 Quadratmeter am Tag, das ist ungefähr so viel wie eineinhalb Fußballfelder. „Schneller kann es keiner“, sagt der Firmenchef.

Investoren-Familie Piëch-Nordhoff an GCS beteiligt

Seit 2017 geht es bei den Minenräumern vom Bodensee auch wieder bergauf. Damals stiegen ein Cousin und eine Cousine des legendären ehemaligen Volkswagen-Vorstands- und Aufsichtsratschefs, Ferdinand Piëch, mit 25 Prozent bei GCS ein.

Bei wichtigen Unternehmensentscheidungen reden sie seither ein Wörtchen mit und lassen sich dem Vernehmen nach regelmäßig übers Geschäft informieren. Die Familie Piëch-Nordhoff, die anders als die übrigen Porsche-Piëch-Familienstämme keine Anteile mehr am Stuttgarter Autoimperium hält, investiert seit Jahren in Unternehmensbeteiligungen.

Im Aufwind dank verschwiegener Investoren

„Es geht ihnen bei ihren Beteiligungen in erster Linie um die Sache“, sagt Michaelis. „In unserem Fall ist das unsere Mission, die Welt von Minen zu befreien.“ Mehr will der GCS-Manager zu den Investoren mit dem klingenden Namen nicht sagen. Die Familie scheut das Licht der Öffentlichkeit und gilt als verschwiegen.

Nur das sagt der 48-Jährige dann doch: „Dass es GCS nach der Insolvenz gelungen ist, wieder ein tragfähiges Geschäftsmodell auf die Beine zu stellen“, habe man „in besonderem Masse auch der Familie Piëch Nordhoff zu verdanken“.