Herr Rottler, Herr Hiltner, sollten alle Haus- und Wohnungsbesitzer vorsorglich beginnen, sich bei der Volkshochschule für Heimwerkerkurse einzuschreiben?

Wieso denn das?

Es besteht die Gefahr, dass irgendwann kein Handwerker mehr kommt. Zumindest spricht Handwerkspräsident Jörg Dittrich davon, der Fachkräftemangel werde in den kommenden Jahren in „einen kritischen Bereich“ gelangen. Da sollte man als Kunde doch vorbauen…

Rottler: Nein, die Handwerker kommen schon noch vorbei. Und das auch so schnell wie möglich. Richtig ist aber, dass wir den Fachkräftemangel deutlich spüren. Das hängt damit zusammen, dass die Demografie auch bei uns zuschlägt und in den kommenden Jahren viele Handwerker in Rente gehen und der Betriebsübergang nicht immer gewährleistet werden kann.

Welche Wartezeiten haben Kunden derzeit?

Hiltner: Das lässt sich pauschal nicht beantworten. Im Extremfall kann es aber in verschiedenen Ausbaugewerken schon mehrere Wochen dauern, bis ein Termin frei wird. Das Problem war aber schon größer. Im Moment spürt das Handwerk die konjunkturelle Abkühlung in der Gesamtwirtschaft. Das hat den Nebeneffekt, dass schneller mal ein Termin frei ist.

Wo sind die Engpässe am größten?

Rottler: Das Lebensmittelhandwerk ist stark betroffen, also etwa Bäckereien und Metzgereien. Insbesondere im ländlichen Raum haben wir hier schon heute Versorgungslücken, die sich immer schwerer schließen lassen. Grundsätzlich zahlen sich unsere Bemühungen, dem Handwerk ein besseres Image zu geben, aber langsam aus. Das betrifft etwa das Thema Berufsanfänger. Die Zahl der neu eingetragenen Lehrverträge ist zwischen Schwarzwald, Hochrhein und Bodensee 2023 deutlich um 6,5 Prozent gestiegen. Damit ist der negative Trend bei den Ausbildungszahlen, der sich seit Corona gezeigt hat, gebrochen.

Hiltner: Wir spüren frischen Wind vor allem bei Energiewendeberufen, also wenn es darum geht, die Folgen des Klimawandels zu bekämpfen. Da kommt zum Tragen, dass sich junge Menschen bei der Berufswahl auch nach dem Sinn ihrer Arbeit richten. Auch immer mehr Abiturienten sind bereit, in diese Berufen hineinzugehen. Und das ist eine positive Botschaft.

Flüchtlinge gelten als große Hoffnung auf dem Arbeitsmarkt, gerade im Handwerk. Bewahrheitet sich das?

Rottler: Zum Teil. Im gesamten Kammerbezirk haben wir, Stand Ende 2023, genau 214 Azubis mit Staatsangehörigkeit aus den Asylzugangsstaaten beschäftigt. Grob gesagt gewinnen die Kammerbetriebe so jedes Jahr etwa Hundert neue Auszubildende. Das ist bei knapp 1700 neuen Azubis jedes Jahr nicht nichts, aber sicher noch zu wenig.

Woran liegt das?

Hiltner: Mangelnde Sprachkenntnisse sind nach wie vor für viele eine Hürde. Umso wichtiger ist es, die Sprachförderung zu stärken und die Menschen gut durch die Ausbildung zu begleiten. Dazu kommt, dass es schwer ist, Ausländern die Vorzüge der dualen Ausbildung schmackhaft zu machen.

Wieso?

Rottler: Unser Arbeitsmarkt gibt es her, ohne Ausbildung einen Helfer-Job zu bekommen. Da macht es aus Sicht vieler keinen Sinn, erst drei Jahre ein Ausbildungsgehalt zu beziehen. Dass die Verdienste als Ausgelernter oder sogar als Meister später ungleich höher sind als als Ungelernter, erschließt sich diesen Menschen schwer. Wir müssen das aber an den Mann und an die Frau bringen, weil wir Fachkräfte benötigen, nicht bloß Arbeitskräfte.

Nicht mehr viel los: Das Bauhauptgewerbe hat schon bessere Zeiten gesehen.
Nicht mehr viel los: Das Bauhauptgewerbe hat schon bessere Zeiten gesehen. | Bild: Silas Stein, dpa

Das Bürgergeld steht bei Kritikern im Ruf, aufgrund eines zu hohen Versorgungsniveaus in manchen Fällen den Eintritt in den Arbeitsmarkt zu verhindern. Sehen Sie das auch?

Hiltner: Es gibt immer wieder Fälle, in denen uns Handwerker ähnliches berichten. Allerdings können wir kein Massenphänomen erkennen. Man muss aufpassen, dass man in der Debatte nicht jedem Arbeitsunwilligkeit unterstellt. Generell ist es aber richtig, dass mehr Anreize geschaffen werden sollten, um Arbeit aufzunehmen und auch der, der arbeitet, am Monatsende deutlich mehr hat, als der, der nicht arbeitet.

Rottler: Man darf Arbeit nicht immer nur als Zumutung empfinden, sondern es auch als Chance begreifen, dass man arbeiten kann. Denn Arbeit stiftet Sinn und integriert in die Gesellschaft. Das kommt mir bei der Debatte oft zu kurz.

Wenige Fachkräfte heißt auch hohe Preise. Wie haben sich die Stundenlöhne für Handwerker im letzten Jahr entwickelt?

Hiltner: Die sind gestiegen. Grob würde ich sagen um 10 Prozent, unterschiedlich nach Gewerk.

Wo liegen wir jetzt netto?

Rottler: Jedes Gewerk hat unterschiedliche Stundensätze. Im Durchschnitt bewegen sich die Löhne für einen Meister aber netto zwischen 60 und 80 Euro, für Gesellen deutlich darunter. Wenn sie das in Relation mit anderen Stundensätzen setzen, etwa von IT-Fachleuten oder Anwälten, finde ich, liegen wir nicht zu hoch.

Hiltner: Die Firmen erhöhen die Preise ja nicht ohne Grund. Die Energiepreise sind deutlich hochgegangen, es gibt Knappheiten und Preissteigerungen bei Produkten, die unsere Firmen einbauen. Und nicht zuletzt haben wir sehr teure Tarifrunden hinter uns. Das alles macht auch Handwerksdienstleistungen teurer.

Wie ist denn die Gewinnsituation der Betriebe?

Hiltner: Die meisten Branchen haben in den vergangenen Jahren ganz gut verdient, aber es gibt durchaus Gewerke, die es schwer haben, etwa das Lebensmittelhandwerk und da besonders auf dem Land. Das ist ein generelles Problem, dass man sich in Deutschland zu lange auf die urbanen Zentren fokussiert hat und die ländlichen Räume vernachlässigt hat. Dort sind es auch oft die kleinen, inhabergeführte Betriebe, die sich schwer gegen große Ketten behaupten können.

Das Gebäudeenergiegesetz hat 2023 viel Unruhe ausgelöst. Entscheiden sich die Kunden für Wärmepumpen oder bauen sie sich konventionelle Heizungen ein?

Rottler: Wärmepumpen liegen maximal auf Halde. Meine Erfahrung ist, dass bis zum Jahresende 2023 wirklich jeder versucht hat, sich eine herkömmliche Heizung einbauen zu lassen. Und der Trend wird wahrscheinlich dort anhalten, wo dies aufgrund der Übergangsfristen noch weiter möglich ist. Die Lage erinnert mich stark an die Einführung des Erneuerbare-Wärme-Gesetzes in Baden-Württemberg vor 15 Jahren. Auch damals hat der Gesetzgeber versucht, dem Bürger vorzuschreiben, was in den Heizungskeller kommt, und auch damals gab es eine Gegenreaktion, die dazu geführt hat, dass Alt-Systeme viel länger weitergelaufen sind. Die Politik muss begreifen, dass Zwang zu nichts führt. Wir brauchen Pragmatismus und Technologieoffenheit im Heizungskeller und gleichzeitig klare finanzielle Anreize für ökologische Systeme.

Wärmepumpen erfreuen sich als Heizungsalternative offenbar keiner großen Beliebtheit mehr. Die Kunden warten ab.
Wärmepumpen erfreuen sich als Heizungsalternative offenbar keiner großen Beliebtheit mehr. Die Kunden warten ab. | Bild: Daniel Reinhardt, dpa

Hiltner: Die Verunsicherung der Bürger ist noch immer sehr groß. Es ist einfach ein unglaubliches Durcheinander, das entstanden ist, etwa unter Eigentümergemeinschaften oder in Mehrparteienhäusern. Da ist oft nicht klar, ob Wärmepumpen technologisch gehen. Und es gibt behördliche Vorschriften, die alles verkomplizieren, etwa in Städten Denkmalschutzvorschriften.

Geht das etwas genauer?

Hiltner: Die Betriebe ersticken an Bürokratie. Verfahrensverordnungen, Fördermittelbeantragungen. Es ist völlig unerklärlich, warum Betriebe manche Dinge drei oder vier Mal ausfüllen müssen, obwohl der Quelldatensatz bei den Behörden schon vorliegt. Das geht von Ausschreibungen für Aufträge bis hin zu Investitionsanträgen. Und an einer Vielzahl der Dokumente hängen mittlerweile Haftungsfragen, die Entscheidungen sehr komplex machen. Da alles findet vor dem Hintergrund eines digitalen Bruchs in den Behörden statt.

Was ist das?

Hiltner: Unsere Behörden sind vielfach noch in der digitalen Steinzeit. Das Fax ist da nicht so unüblich. Digitale Schnittstellen, etwa um Anträge zügig einzureichen, gibt es oft noch nicht. Das ist der alltägliche Wahnsinn, dem sich viele Betriebe gegenübersehen. Am Ende stehen massive volkswirtschaftliche Schäden, die aus einer unsäglichen Regulierungswut bei gleichzeitig unzureichenden technischen Möglichkeiten entstehen.

Ist das ein Problem, das durch die Ampelregierung auf Bundesebene entstanden ist?

Rottler: Nein, das gibt es schon länger. Aber während der Ampel ist es sicher nicht kleiner geworden.

Wie sind die Betriebe derzeit ausgelastet? Wie stellt sich die Konjunktur dar?

Hiltner: Die Stimmung der Betriebe ist insgesamt eingetrübt. Die Erwartungen an 2024 sind nicht gerade hoffnungsvoll. Es fehlen klare und verlässliche Richtungsentscheidungen der Politik. Dazu kommt die allgemeine Eintrübung der Konjunktur, etwa in der Industrie. Wir sehen auch eine weiterhin hohe Kauf- und Investitionszurückhaltung der privaten Auftragsgeber, was natürlich mit der hartnäckigen Inflation zu tun hat. Im Moment ist die Hoffnung, dass die Delle 2025 wieder überwunden sein wird.

Rottler: Aktuell haben die Betriebe noch gut zu tun. Aufgrund von Bürokratie, der grassierenden Deindustrialisierung und der allgemein schlechten Stimmung sind die Sorgen aber groß. Daher ist es erfreulich, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Firmen an ihrem Personal festhält. Für junge Menschen, die im Handwerk anfangen wollen, ist das die beste Botschaft, nämlich, dass die Jobs hier sicher sind.

Gibt es eine Sonderkonjunktur wegen der Schweiz?

Hiltner: Ganz klar. In der Gastronomie und im Handel ist das massiv sichtbar. Die Schweizer kommen wieder in großer Zahl nach Deutschland, um hier einzukaufen, zu essen oder für den Friseurbesuch.

Auch viele Handwerker haben sich beispielsweise mit den demonstrierenden Bauern solidarisiert. Wie groß ist der Unmut und wogegen richtet er sich?

Rottler: Der Unmut ist sicher da. Er richtet sich gegen Dinge, die wir zum Teil schon erwähnt haben, etwa die unglaubliche Bürokratielast oder das Hin und Her beim Heizungsgesetz. Das allgemeine Gefühl ist das der Gängelung durch die Politik. Es ist in Deutschland im Handwerk ja nicht so, dass man irgendwen auf die Menschheit loslässt, der dann irgendwas macht. Wir Handwerker sind hoch qualifiziert und lange geschult und ausgebildet. Wir wissen alle, was wir tun. Wir wissen zum Beispiel selbst sehr gut, welche Heizung wir den Kunden empfehlen sollten und natürlich wollen wir auch, dass es eine möglichst klimaneutrale Lösung wird. Deswegen brauchen wir nicht noch Tausende Vorschriften, die das alles noch einmal regeln. Es ist ja zum Glück nicht so wie in England hier, dass jeder alles machen darf.

Handwerkskammerpräsident Konstanz Werner Rottler 2024 Bild: Oliver Hanser