Der Chirurgie-Spezialist Aesculap aus Tuttlingen wächst in Deutschland und macht seinen Stammsitz mit einer Multi-Millionen-Investition zukunftssicher.
An allen deutschen Produktionsstandorten habe man im vergangenen Jahr Mitarbeiter eingestellt, sagte Aesculap-Vorstandsvorsitzender Jens von Lackum dem SÜDKURIER. Am Tuttlinger Stammsitz stieg die Beschäftigtenzahl um 200 Mitarbeiter auf 3700. Deutschlandweit arbeiteten zum Jahresende 4200 Menschen für das zum hessischen B.Braun-Konzern gehörenden Unternehmen. Tendenz steigend.
Aesculap ist führenden Krankenhausausstatter
Aesculap ist einer der führenden Krankenhausausstatter Europas und spezialisiert auf chirurgische Instrumente, vom Skalpell, über Prothesen bis zum Operationsroboter. Bei sogenannten Sterilcontainern für Operationsbesteck bezeichnet sich das 1867 gegründete Unternehmen als Weltmarktführer.

Anders als der Großteil der heimischen Industriebetriebe, der inländische Investitionen derzeit zurückstellt, baut Aesculap seine Standorte im Inland aus und erweitert und erneuert insbesondere die Produktion. In Tuttlingen baut man für 90 Millionen Euro ein neues, rund zwei Fußballfelder großes Werk für OP-Produkte. Wenn es Mitte 2027 in Betrieb geht, soll es eine CO2-neutrale Produktion ermöglichen und damit innerhalb des B.Braun-Konzerns eine Art Leitwerkfunktion einnehmen.
Neue Fabrik ist CO2-neutral
Grundlage der Fabrik sind über 90 Geothermiebohrungen, die 200 Meter tief in den Baugrund versenkt werden und dort Erdwärme abzapfen. Beim Ziel, den konzernweiten CO2-Ausstoß bis 2030 um 50 Prozent zu senken, werde das Projekt einen wichtigen Beitrag leiten, sagte Aesculap-Produktions-Chef Markus Weber. Seit 2019 habe Aesculap seine Investitionen am Tuttlinger Stammsitz verdoppelt – von damals 10 auf nun 20 Millionen Euro pro Jahr, so Weber.
Standort Deutschland hat Stärken
Aus Sicht von Aesculap hat der Standort Deutschland durchaus Stärken. Dazu gehört etwa ein funktionierendes Netzwerk aus Forschungseinrichtungen und Betrieben, aber auch ein nach wie vor gutes Ausbildungsniveau bei Fachkräften. In Baden-Württemberg und im Raum Tuttlingen gebe es „tolle Kompetenzen und Expertise“ bei den Arbeitnehmern, sagte Weber. Zudem gebe es eine große Bereitschaft bei den Mitarbeitern, flexibel auf Nachfrageschwankungen zu reagieren. Etwa durch Samstagsschichten oder durch die Nutzung atmender Stundenkonten.
Arbeitszeit 37,5 Stunden statt 35
Allerdings hat Aesculap seine Belegschaft auch zu Zugeständnissen verpflichtet. Im Gegenzug zum Bau der neuen Tuttlinger Fabrik sowie dem Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2030 steigt die Wochenarbeitszeit der Beschäftigten im selben Zeitraum um 2,5 Stunden, was einer jährlichen Mehrarbeit von 120 Stunden entspricht. Festgehalten ist alles in einem Zukunftssicherungsvertrag, der tarifliche Bestimmungen ergänzt und mit IG Metall, Südwestmetall sowie dem Betriebsrat ausgehandelt wurde.

Aber auch in der EU stehen die Zeichen auf Wachstum. Im spanischen Rubi, wo Aesculap vor allem Nahtmaterial herstellt, laufen ebenso Projekte zur Steigerung der Produktionsmengen wie in einem polnischen Werk, das Sterilisationsmaterialien produziert.
Tuttlinger trennen sich von Auslandsfirmen
Von anderen Bereichen trennt sich das Unternehmen dagegen. So hat Aesculap 2024 seine Reutlinger Unternehmenstochter Tetec, die Produkte zur Knorpelregeneration entwickelt, ebenso verkauft wie eine britische Firmentochter und ein Krankenhaus in Polen. Außerdem wurde der Verkauf von Implantaten in den USA eingestellt.
Als Folge der Verkäufe ist die weltweite Mitarbeiterzahl um 500 auf 12.000 gesunken. Man fokussiere das Geschäft auf Kernbereiche und besonders profitable Felder, sagte Firmen-Chef von Lackum. Es bleibe Aufgabe, die Profitabilität des Unternehmens zu erhöhen. Dazu gehöre neben dem Verkauf weniger gewinnträchtiger Bereiche auch ein anderer Produktmix sowie eine effizientere Produktion.
Als Wachstumsfelder gelten bei den Tuttlingern vor allem Digitalisierungslösungen, etwa für die Logistik in Krankenhäusern, Robotik-Anwendungen für OPs und bildgebende Verfahren und Software. Letztere sollen Chirurgen einen besseren Überblick bei Eingriffen geben und werden bei der Aesculap-Tochter Schölly Fiberoptic in Denzlingen bei Freiburg hergestellt. Auch Neurochirurgische Produkte und Hüftimplantate sowie Nahtmaterial werden immer öfter nachgefragt.
Aesculap ist Wachstumstreiber bei B.Braun
Der Zweiklang aus Investitionen und Fokussierung auf Kernbereiche scheint sich auszuzahlen. Innerhalb des 64.000 Mitarbeiter umfassenden B-Braun-Konzerns ist Aesculap der Wachstumstreiber. Mit 2,3 Milliarden Euro haben die Tuttlinger 2024 erneut einen Umsatzrekord erzielt. Seit Jahren gelingt es dem Unternehmen damit, die Erlöse jährlich um mindestens fünf Prozent zu steigern. Gewinnzahlen weist Aesculap als Sparte von B.Braun nicht aus. Allerdings sagt Firmen-Chef von Lackum, man sei „mit dem Gewinn zufrieden“. Ausdruck davon ist die Auszahlung eines Bonus an alle Tarifbeschäftigten sowie die Außertarifler fürs Jahr 2024. Zu dessen Höhe schweigt sich das Unternehmen aber aus.

Rüstung kein Thema bei Aesculap
Anders als der Tuttlinger Medizintechnik-Konkurrent Karl Storz, der sich als „Partner der Wehrmedizin“ sieht und insbesondere Bundeswehrkrankenhäuser ausstattet, will Aesculap im Rüstungssektor keinen neuen Schwerpunkt setzen. Die Bundeswehr sei ein wichtiger Kunde, gleichzeitig steige man aber nicht stärker in die Produktion von Gütern für diesen Bereich ein, sagte von Lackum. Eine erhöhte Nachfrage, die etwa aus dem Krieg in der Ukraine resultiere, spüre man nicht.