Der Würzburger Volkswirt Peter Bofinger kann zwar nicht vorhersagen, wie das Rentensystem in 20 bis 30 Jahren aussieht. Aber er hat einen Plan, wie es gerettet werden kann.

Professor Bofinger, Regierungsberater haben diese Woche eine Erhöhung des Rentenalters auf 68 im Jahr 2045 gefordert. Das Institut für Wirtschaft setzt noch eins drauf und fordert 70. Das sorgt für viel Aufregung, aber ganz unwahrscheinlich ist das Szenario nicht, wenn man an die steigende Lebenserwartung denkt, oder?

Heute das Renteneintrittsalter im Jahr 2040 oder gar 2060 zu diskutieren, führt zu unnötiger Verunsicherung. Selbst wenn die Bundesregierung das heute beschließen würde – jede nachfolgende Regierung könnte das sofort wieder ändern.

Wenn dann beispielsweise das Institut der deutschen Wirtschaft die Rente mit 70 für das Jahr 2052 ins Schaufenster stellt, kommt das in den Medien so an, als sei das schon morgen.

Das heißt: Das ist nur unnötige Aufregung?

Grundsätzlich ist es natürlich so: Wenn wir in den nächsten Jahrzehnten alle länger leben, was ja sehr erfreulich ist, lässt es sich nicht vermeiden, dass wir einen Teil dieses längeren Lebens, die Berater sprechen von einem Drittel, in Arbeit verbringen. Das ist ja der Kern des Gutachtens.

Gleichzeitig muss man doch heute schon in die Zukunft planen. Man weiß doch heute schon, wie die Altersverteilung in 20, 30 Jahren etwa sein wird.

Aber man weiß nicht wirklich, wie die Bevölkerungsdynamik sein wird, wie sich die Erwerbstätigkeit und der Gesundheitszustand entwickeln. Laut dem Gutachten soll das Rentenalter zwischen 2030 und 2040 allmählich von 67 auf 67,8 Jahre ansteigen.

Wenn die Entwicklung tatsächlich so kommen wird, reicht es dann nicht aus, die notwendigen Entscheidungen erst gegen Ende des Jahrzehnts zu treffen? Konkret würde das dann beispielsweise bedeuten, man erfährt im Jahr 2029, dass man bei einem Renteneintritt im Jahr 2035 fünf Monate länger arbeiten muss. Das wird keine Begeisterung auslösen, aber man kann damit umgehen.

Senioren sitzen auf einer Bank. Arbeiten bis 68 – diese Idee der Berater des Wirtschaftsministeriums sorgt im Bundestagswahlkampf ...
Senioren sitzen auf einer Bank. Arbeiten bis 68 – diese Idee der Berater des Wirtschaftsministeriums sorgt im Bundestagswahlkampf für mächtig Wirbel. | Bild: Stephan Scheuer

Keiner möchte natürlich arbeiten bis zum Umfallen.

Natürlich muss eine längere Lebensarbeitszeit mit Maßnahmen flankiert werden, die Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen schützen. Die Regelungen Erwerbsminderungsrente müssen deshalb entsprechend angepasst werden. Darauf haben die Berater explizit hingewiesen.

Eine weitere alarmierende Aussage des Gutachtens war, dass künftig die Hälfte des Bundeshaushalts für Rentenzahlungen draufgehen könnte.

Dass ist eine Schätzung für das Jahr 2060, die zudem unter der Annahme gemacht wurde, dass keinerlei Anpassungen vorgenommen werden. Was die Gutachter jedoch gar nicht berücksichtigt haben, ist, dass man die Rentenkassen ja auch entlasten kann.

Vor allem indem man die Selbstständigen in die Rentenkasse mit aufnimmt (von der großen Koalition angedacht, aber nie umgesetzt, Anm. d. Red.). Wenn junge Selbstständige heute der Rentenversicherung beitreten, dann zahlen sie ja erstmal 30, 40 Jahre lang ein, bis sie einen Anspruch haben.

Und wenn sie dann einen Anspruch haben, sind wieder neue junge Selbstständige da. Berechnungen des Sachverständigenrats aus dem Jahr 2016 zeigen, dass man das System damit bis zum Jahr 2060 erheblich entlasten kann.

Müssten nicht auch die Beamten aufgenommen werden?

Bei den Beamten ist das Problem, dass das die gesetzliche Rentenversicherung entlasten würde, aber den Staat belasten. Für einen jungen Beamten zahlt der Staat erst in 40 Jahren eine Pension, aber für die Rentenbeiträge müsste er bereits jetzt Geld in die Hand nehmen. Und das Geld fehlt dann wieder an anderer Stelle.

Aber eine echte Entlastung wären die Selbstständigen. Zumal es ja auch kein Zustand ist, dass viele Selbstständige gar nicht fürs Alter abgesichert sind. Und die Rendite der gesetzlichen Rentenversicherung ist gar nicht so schlecht. Das Umlagesystem der Gesetzlichen Rentenversicherung ist ja im Prinzip ein genialer Mechanismus.

Ich zahle heute einen Beitrag aus meinem Arbeitseinkommen und erwerbe damit einen Anspruch auf die Arbeitseinkommen der Zukunft. Die Kosten sind sehr niedrig, es bietet eine breite Risikostreuung.

Für die Funktionsfähigkeit dieses Systems ist es aber auch zwingend, dass möglichst die Breite der Gesellschaft dazu beiträgt. Deswegen müssen die Selbstständigen mit rein, da die Trennungslinie zwischen selbstständiger und unselbstständiger Arbeit in der Zukunft immer schwerer zu ziehen sein wird.

Andere Länder um uns herum haben es geschafft, ihre Rente auf eine bessere Basis zu stellen. Österreich, zum Beispiel, oder Schweden. Wo können wir uns etwas abschauen?

Österreich hat höhere Rentenversicherungsbeiträge als wir. Das macht schon etwas aus, weil dadurch mehr in die Rentenversicherung reinkommt. Schweden setzt auf private Vermögensbildung, aber eine, die besser funktioniert als Riester. Mein Ansatz wäre ja, dass man die private Vermögensbildung offener gestaltet.

Im Moment genießen Sie staatliche Förderung nur, wenn Sie in die betriebliche Altersvorsorge einzahlen oder in die Riester-Rente. Wenn sich aber jemand zur Altersvorsorge eine Immobilie kauft, bekommt er für die Tilgungszahlungen keine steuerliche Begünstigung. Das sollte man öffnen.

Warum gibt der Staat nicht jedem einen steuerlichen Freibetrag von beispielsweise 4000 Euro für die Alterssicherung, egal ob die nun in Aktien, Immobilien oder die Riesterrente investiert werden?

In der Schweiz werden mehr Wochenarbeitsstunden gearbeitet und die Menschen haben weniger Urlaub. Dafür liegt das Renteneintrittsalter stabil bei 65. Wäre das auch ein Modell für Deutschland? Also mehr arbeiten, dafür früher in Rente.

Ich weiß nicht, ob das helfen würde. Nach unserer bisherigen Logik würde es kaum funktionieren. Denn danach erwerbe ich ja, wenn ich mehr arbeite, auch höhere Rentenansprüche. Das wird also nicht helfen. Ich find‘s aber auch nicht so dramatisch, wenn man in 40 Jahren womöglich mit 70 in Rente geht. Schau‘n wir mal, wie die Welt bis dahin aussieht.

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Wie haben Sie für die Rente vorgesorgt?

Ich hab‘s da einfach, ich bin Beamter. Ich bin ja bereits in Pension. Einen wichtigen Gedanken des Gutachtens fand ich übrigens, dass man den Renteneintritt flexibler gestalten kann. Dass man nicht mehr in Rente geschickt wird, wenn man ein bestimmtes Alter erreicht hat. Ich zum Beispiel hätte gerne weitergearbeitet als ganz regulärer Professor.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht nimmt 2016 das Gutachten zur Wirtschaftsentwicklung zwischen dem Vorsitzenden des Sachverständigenrates, Christoph M. Schmidt (3.v.r), Peter Bofinger (2.v.l), Lars P. Feld (r), Isabel Schnabel (2.v.r) und Volker Wieland (l). Inzwischen hat sich die Zusammensetzung der Wirtschaftsweisen geändert, außer Wieland ist keiner mehr dabei. | Bild: Michael Kappeler

Irgendwann kommt ja der Kipppunkt, wenn sich Alterspyramide wieder vom Kopf auf die Füße stellt, weil die geburtenstarken Jahrgänge nicht mehr die Rente dominieren. Wann ist das soweit?

Das Dumme ist: Es sind eigentlich zwei Faktoren. Erst mal kommen die Babyboomer in Rente. Etwa ab 2040 belasten diese die Rentenkassen nicht mehr so stark. Aber gleichzeitig steigt unsere Lebenserwartung.

Also sind wir dann trotzdem nicht fein raus. Noch eine letzte Frage: Mein 26-jähriger Kollege hat mir aufgetragen, Sie zu fragen, was los ist, wenn er mal in Rente geht. Bekommt er dann noch was?

Ja, sicherlich. 2061 ist er dann 66. Er wird vermutlich schon bis 67 und etwas arbeiten müssen. Aber wer weiß schon, wie sich die Welt bis dahin verändert? Wie die demografische Entwicklung ausseht, wie viel Zuwanderung es gibt. Ich habe sowieso Probleme mit diesen Langfristprognosen.

Wenn man 1960 prognostiziert hätte, wie sich die Welt bis 2020 verändert, weiß ich auch nicht, ob man das richtig vorhergesehen hätte. Die Welt verändert sich dramatisch, es passieren furchtbar viele Dinge.

Das Gute bei unserem Rentensystem ist ja, dass man da immer noch nachjustieren kann, wenn es soweit ist – vorausgesetzt, es gibt keine ganz dramatischen Veränderungen. Ich finde, entscheidender als das Rentenalter ist die Rentenhöhe. Die sollte stimmen, dann ist es nicht so wichtig, ob man vielleicht ein halbes Jahr länger dafür arbeitet.