Beim Automobilzulieferer Eto bestimmen seit einiger Zeit die Mitarbeiter, wo es langgeht – zumindest ein bisschen. Am Stammsitz des Stiftungsunternehmens, in einem Industriegebiet in Stockach nahe des Bodensees, gibt es seit einiger Zeit ein großes Regal. Darin stehen Kisten in der Größe einer Schuhschachtel. „Jeder Mitarbeiter, der eine gute Geschäftsidee hat, kann sich eine Schachtel herausnehmen“, sagt Michael Schwabe, Vorsitzender der Eto-Geschäftsführung.

Micheal Schwabe ist langjähriger Chef (CEO) der Eto-Gruppe. Der Automobilzulieferer wandelt sich unter seiner Regie immer mehr zum ...
Micheal Schwabe ist langjähriger Chef (CEO) der Eto-Gruppe. Der Automobilzulieferer wandelt sich unter seiner Regie immer mehr zum Technologieunternehmen, das Lösungen auch für andere Felder anbietet. | Bild: Eto

„Er bekommt dann ein Sachbudget, das er frei einsetzen kann, und ein Zeitbudget, um seine Idee auch während der Arbeitszeit umsetzen zu können.“ Nach einigen Wochen sind dann wieder die Mitarbeiter am Zug. In einer Online-Veranstaltung werden die ausgearbeiteten Ideen vorgestellt. „Geht nach einer Präsentation bei 40 Prozent der Juroren der Daumen nach oben, kann weitergeforscht werden“, erklärt der Eto-Chef.

Ideenwerkstatt für Mitarbeiter

Mehrere innovative Geschäftsideen – von der Aquariumsteuerung über intelligente Lade-Container bis hin zu neuartigen Auto-Verriegelungen – sind so mittlerweile entstanden. Demnächst wird sich das Eto-Management darüber beugen und entscheiden, ob der Mittelständler ein Geschäft daraus macht. Die Botschaft hinter den Schuhschachtel-Innovationen drückt Schwabe, selbst promovierter Maschinenbauer, so aus: „Du darfst, du kannst, du sollst als Mitarbeiter bei Eto kreativ sein.“

Produktion am Stammsitz. Spezialität von Eto sind präzise Schalter und Aktuatoren, mit denen Teile in Motoren mechanisch bewegt werden ...
Produktion am Stammsitz. Spezialität von Eto sind präzise Schalter und Aktuatoren, mit denen Teile in Motoren mechanisch bewegt werden können. | Bild: ETO Magnetic

Seit 2019 erfindet sich das 2500-Mitarbeiter-Unternehmen vom Bodensee neu. Die einstmals fast völlig vom Nutzfahrzeug- und PKW-Geschäft abhängige Firma soll weg von den klassischen Märkten und Neues entdecken. „Wir sind gezwungen, unser Geschäft umzubauen“, sagt Eto-Chef Schwabe. Mittlerweile hängen die Umsätze des Stiftungsunternehmens nur noch zu rund 35 Prozent am Verbrenner. Und Schwabe sagt: „Der Anteil wird infolge unserer aktuellen Strategie weiter zurückgehen.“

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Das Wendejahr 2019 kommt bei Eto nicht von ungefähr. Für die gesamte Automobil- und Zulieferbranche markiert es eine Zäsur. Nach Jahren des stürmischen Wachstums brachen die Märkte damals ein. Mit den weltweiten Zulassungszahlen für Automobile sanken die Gewinne der Firmen. Dazu kam der damals rasant Fahrt aufnehmende Trend zur Elektromobilität, der den Managern klassischer Zulieferer die Schweißperlen auf die Stirn trieb.

Mehr Kraft für Motoren

Bis vor Kurzem konnte sich auch Eto als solcher bezeichnen. Zur Spezialität des Hidden Champions – als solche bezeichnet man relativ unbekannte größere Unternehmen, die in ihrer Branche Marktführer sind – gehört nämlich mit das Feinste, was der deutsche Motorenbau zu bieten hat – sogenannte aktive Nockenwellenverstellungen, technische Meisterstücke, die aus Motoren entweder erheblich mehr Leistung herauskitzeln oder – bei anderer Anwendung – zu einer deutlichen Spritersparnis führen.

Seit 2007 hauchen die in Stockach produzierten Systeme insbesondere den Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns mehr Kraft ein. Das Problem ist, dass sie in Elektrofahrzeugen nicht mehr benötigt werden.

Firmensitz von Eto in einem Industriegebiet in Stockach, nahe des Bodensees.
Firmensitz von Eto in einem Industriegebiet in Stockach, nahe des Bodensees. | Bild: Eto

Das trifft für eine weitere Spezialität der Stockacher – Sensoren und Aktuatoren für Fahrsicherheitsysteme wie ABS oder ESP – zwar nicht zu. Für Eto war es trotzdem keine Frage, sich breiter aufzustellen. Mittlerweile hat das Unternehmen Lösungen für Elektrofahrzeuge und Wasserstoffantriebe sowie die Brennstoffzelle im Programm, außerdem Anwendungen fürs automatisierte Fahren. „Wir entwickeln uns gerade zu einem breit aufgestellten Technologieunternehmen“, sagt Schwabe.

Eto will Bauern das Leben leichter machen

Dabei kommen sogar ganz neue Märkte in den Blick. Einer der künftigen Wachstumsbereiche ist die Agrartechnik. Unter der Marke Farmunited versucht Eto seit Kurzem, Bauern die Arbeit zu erleichtern und ihnen beim Kostensparen zu helfen.

Auf Grundlage der hauseigenen Sensorkompetenz hat man vollautomatische Sprühsysteme für Wasser, aber auch für Pflanzenschutzmittel entwickelt, die nach Unternehmensangaben zu „extremen Effizienzsteigerungen“ führen. Für die von stetem Kostendruck geplagte Landwirtschaft ein ziemlich wichtiges Verkaufsargument. Geplant seien auch Apps für Endgeräte wie Handys, sagt Eto-Chef Schwabe.

Die Idee, die Landwirtschaft in den Fokus zu nehmen, ist übrigens nicht vom Himmel gefallen. Wieder waren die Mitarbeiter daran beteiligt. Mehr als 200 von ihnen haben einen landwirtschaftlichen Hintergrund, sagt Schwabe, und seien daher immer wieder mit Ideen um die Ecke gekommen. Genau wie seinen Mitarbeitern scheint auch dem 55-jährigen Schwabe die Innovationsfreude nicht auszugehen.

Neue Strategie: Beteiligung an Start-Ups

Ganz ohne externe Unterstützung geht es aber auch bei Eto nicht. Seit einiger Zeit hat man die Start-up-Szene ins Visier genommen und kauft sich Innovationen zu. An sechs Start-ups, etwa dem Stuttgarter Experten für künstliche Intelligenz, Swarm Logistics, haben sich die Stockacher beteiligt. Dadurch sei das traditionell patentstarke Unternehmen auch im Bereich der Digitalisierung unter „die Top-Patentanmelder für digitale Technologien in Deutschland“ vorgerückt, sagt der Firmenchef.

Luftaufnahme des Industriegebiets Hardt bei Stockach mit den Eto-Produktionshallen.
Luftaufnahme des Industriegebiets Hardt bei Stockach mit den Eto-Produktionshallen. | Bild: Stefan Hilser

Das alles kostet natürlich viel Geld. Wie immer ist Innovation Fluch und Segen zugleich, denn sie verspricht zwar neue Geschäftsfelder und technologische Führerschaft, ist aber potenziell auch mit Scheitern verbunden. Insbesondere ist sie teuer – zumindest, bis irgendein Produkt erfolgreich vermarktet werden kann.

Ingenieur Schwabe hält den Kurs dennoch für alternativlos und hat dafür vom Eto-Eigner – der Laur-Stiftung – auch grünes Licht bekommen. „Für unsere Innovationsstrategie sind wir bereit, jedes Jahr auf zwei bis drei Prozent Umsatzrendite zu verzichten“, sagt er. Außerdem halte man es aus, wenn ein Drittel der neuen Projekte nicht zum Ziel führe.

Auftragsbücher gut gefüllt

Sicherheit gibt, dass auch im Antriebsgeschäft die Kassen noch klingeln. Für Top-Produkte wie die variablen Nockenwellen-Systeme habe man noch „bis in die 2030er-Jahre“ Aufträge in den Büchern. Die Forschung gehe in dem Feld weiter. Schwabe sagt: Wie auch immer es laufe – „so schnell wird uns die Arbeit nicht ausgehen“.