Herr Untersteller, was geht in Ihrem Kopf vor, wenn Sie gerade durch die dürren Lande in Baden-Württemberg spazieren?
Man sieht im Moment noch nicht so stark welch dramatische Situation sich abzuzeichnen droht, weil ja im April noch fast überall das frische Grün dominiert. Aber die Fakten weisen in eine eindeutige Richtung. Ein April, in dem in ganzen Regionen kein Tropfen Regen heruntergekommen ist, macht mir große Sorgen. Und es ist auch keine Eintagsfliege, denn in den vergangenen beiden Frühjahren sah es ähnlich aus. Durchschnitttemperaturen von an die zehn Grad Celsius im April, das gab es praktisch seit 1881 nicht.
Was befürchten Sie, wenn nicht doch noch viel Regen fällt?
Das wird massive Auswirkungen auf den Tourismus, die Landwirtschaft, die Forst- und auch die Wasserwirtschaft haben. Möglich ist auch, dass wir in eine Situation wie 2018 hineinlaufen, als die Versorgung des Südwestens über Wasserstraßen stark beeinträchtigt war. Damals schossen die Spritpreise in die Höhe, weil Raffinieren keinen Treibstoff mehr anlanden konnten. Klimawandel hat also auch etwas mit Versorgungssicherheit zu tun.
Lernen wir aus der Ausnahmelage etwas?
Wir sollten zumindest erkennen, dass man in der ganzen Corona-Diskussion die Klimakrise nicht vergessen darf. Corona- und Klimakrise sind ja fast ein bisschen artverwandt. Mit dem Unterschied, dass die unmittelbare Bedrohung bei dem Virus sofort augenscheinlich ist, und vor allem die Älteren trifft. Bei der Klimakrise trifft es mit einiger Verzögerung diejenigen, die heute jung sind. Die Debatte, wegen der Auswirkungen der Corona-Pandemie den Klimaschutz herunterzufahren, halte ich deshalb für grundfalsch. Wir brauchen jetzt sogar mehr Anstrengung beim Klimaschutz.
Die sich abzeichnende Wirtschaftskrise zeigt eines deutlich: Treibhausgasemissionen sinken nur substanziell, wenn die Wirtschaft herunterfährt. Warum gelingt es uns nicht Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch in Normalzeiten zu entkoppeln?
Weil die richtigen Ratschläge seit Jahrzehnten ignoriert werden. Es scheint, als höre die Politik bei der Coronakrise zum ersten Mal auf die Wissenschaft. Beim Klimawandel ist dies nicht der Fall. Seit Jahren warnen die Forscher vor den drastischen Auswirkungen, aber es passiert zu wenig.
Ein Beispiel?
Ein Passus im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), der sogenannte Photovoltaik-Deckel bei 52 Gigawatt, sorgt aktuell dafür, dass der Ausbau von Photovoltaik-Anlagen in wenigen Wochen bundesweit praktisch zum Erliegen kommen wird. Die Regierungskoalition in Berlin weiß das, tut aber seit Monaten nichts dafür, ihn rechtzeitig aufzuheben. Oder nehmen sie die Situation, dass im Bund seit Monaten Uneinigkeit darüber herrscht, wie viel Abstand Windanlagen zu Gebäuden haben sollten. Auch das bremst Investoren seit langem aus.
Auch im Land drehen die Mühlen langsam. Die Novelle des Klimaschutzgesetzes wird seit rund einem Jahr diskutiert…
Die Eckpunkte dafür liegen tatsächlich seit Mai 2019 vor. Immer wieder wurden kritische Punkte nachverhandelt. Ich kann unseren Koalitionspartner CDU nur ermuntern, jetzt schnell einen Knopf dranzumachen und die Dinge weiterzutreiben, damit wir das Gesetz nach der Sommerpause beschließen können.
Was wären die Folgen einer längeren Verzögerung?
Baden-Württemberg hat das Ziel, bei der Erzeugung von erneuerbarer Wärme ganz vorne mitzuspielen. Die 103 größten Städte im Land sollen mit dem Klimaschutzgesetz dazu verpflichtet werden, kommunale Wärmepläne zu erstellen, um damit die Grundlagen für eine erfolgreiche Wärmewende zu schaffen. Gelänge dies, würde ein wirklich entscheidender Hebel für eine funktionierende Energiewende umgestellt, weil wir so beispielsweise mit Nahwärmenetzen aus erneuerbaren Energien einen quartierbezogenen Klimaschutz erreichen könnten. Rund die Hälfte der Baden-Württemberger lebt in diesen Kommunen. Aber dazu brauchen wir das Gesetz. Kommt es nicht, droht Stillstand beim klimaschonenden Heizen.
Stillstand herrscht auch anderswo: Beim Thema Windkraft tut sich im Landkreis Konstanz fast nichts …
Ich will nicht mit dem Finger auf einzelne Regionen im Land zeigen, weil die Grundvoraussetzungen, etwa beim Windaufkommen oder dem Landschaftsbild, unterschiedlich sind. Wenn man beispielsweise die Landkreise Konstanz, Ravensburg, Sigmaringen und den Bodenseekreis zusammen nimmt, sind 31 Windräder in Betrieb, in der Planung oder im Genehmigungsverfahren. Das ist nicht nichts. Aber wir können natürlich überall noch besser werden.
Das Land hat jüngst entschieden, das Thema grüner Wasserstoff weiter anzuschieben. Ist das jetzt der Strohhalm, an dem man sich festhält, nachdem die Energiewende nicht so recht läuft?
Nein. In Baden-Württemberg gibt es 90 Unternehmen und 18 Forschungsinstitute, die zu den Themen Wasserstoffwirtschaft und Brennstoffzelle arbeiten. Es gibt Konzerne, viele Mittelständler und die Energiewirtschaft, die das Thema im Blick haben. Auch die Landesregierung investiert viele Millionen Euro in Demonstrationsprojekte wie „HyRivers“ in der Metropolregion Rhein-Neckar. Das sind Voraussetzungen, die sehr gut sind und auf die man aufbauen muss. Zumal Schätzungen davon ausgehen, dass der Wasserstoffmarkt in wenigen Jahren weltweit auf 100 Milliarden Euro anwachsen wird. Von dem Kuchen sollte sich der Südwesten ein Stück abschneiden. Klar ist aber auch, dass eine Wasserstoffwirtschaft nur Sinn ergibt, wenn der Ausgangsstoff zur Produktion Ökostrom ist.
Und daran hapert es im Moment ja gerade noch….
Wer Wasserstoff will, muss auch Ja sagen zu Erneuerbaren Energien. Auch deswegen muss die Energiewende vorangetrieben werden.
Ein Blick über die Grenze in die Schweiz zeigt: Die Energiewende kann funktionieren. Hat die Schweiz einfach bessere Voraussetzungen oder macht sie einfach etwas besser?
Was die Voraussetzung für eine Energiewende angeht, ist die Schweiz der Vorhof des Paradieses. Die Potenziale, die dort allein aufgrund der Wasserkraft ruhen, sind gewaltig. Da fällt die Umsetzung natürlich auch leichter. Andererseits gibt es in der ganzen Schweiz gerade einmal 37 Groß-Windanlagen. Da haben wir allein in Baden-Württemberg schon mehr als das Dreifache in einem Jahr gebaut. Man kann also keinen Eins-zu-Eins-Vergleiche zwischen der Schweiz und Deutschland vornehmen. Allerdings haben die Eidgenossen auch recht früh gute Grundlagen für einen echten Systemwechsel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft gelegt. Sie bepreisen den CO2-Ausstoß viel konsequenter als wir in Deutschland. Anfang 2018 kostete es Unternehmen umgerechnet 88 Euro, wenn sie in der Schweiz eine Tonne CO2 ausstießen. In Deutschland fangen wir im besten Fall mit 25 Euro pro Tonne im kommenden Jahr an und gehen dann bis 2025 auf maximal 55 Euro je Tonne. Folglich haben Schweizer Firmen einen viel höheren Anreiz, ihre Produkte oder Geschäftsmodelle auf grün umzuschalten. Damit werden sie auch einen Wettbewerbsvorteil gegenüber hiesigen Herstellern haben. Die Schweiz tauscht die alte Energiewelt viel effizienter als wir gegen die neue aus.
Das Thema Bienen-Volksbegehren und Pestizideinsatz ist immer noch nicht voll befriedet. Warum?
Die Landesregierung hat sich mit den einzelnen Interessengruppen auf einen Kompromiss verständigt, der insbesondere auch Landnutzern entgegenkommt. Die ursprünglichen Pläne der Initiative „Pro Biene“ sahen ja vor, dass Pflanzenschutzmittel in Natur- und Landschaftsschutzgebieten verboten gewesen wären. Das hätte natürlich zu massiven Problemen bei den Obst- und Weinbauern geführt. Auf der Hälfte unserer Weinbauflächen wäre der Anbau de facto nicht mehr möglich gewesen. Das ist jetzt aber alles vom Tisch. Ich halte es daher nicht für ausgeschlossen, dass wir ein entsprechendes Gesetz noch vor der Sommerpause verabschieden können. Es kann ja keinem dran gelegen sein, die Landwirte hier nachhaltig zu schwächen und die Waren dann von weit her zu importieren.
Muss nicht auch der Verbraucher akzeptieren, auch für einen etwas unansehnlicheren oder kleineren, aber ungespritzten Apfel, einen Preis zu zahlen, der heute für makellose Produkte fällig wird?
Der Verbraucher muss wieder lernen, dass sich die Willkür der Natur auch im Aussehen der Produkte niederschlägt. Wenn es eine Dürre gibt, ist der Apfel eben etwas kleiner. Wenn es feucht war, hat er dann vielleicht eine kleine Schadstelle, die man wegschneiden muss. Was passiert, wenn die Landwirtschaft industriell standardisierte Produkte liefern soll, sehen wir aktuell in ihren Auswüchsen. Da kostet ein Kalb dann plötzlich weniger als ein Kanarienvogel in der Zoohandlung. So etwas können wir nicht wollen, und daher muss der Verbraucher auch genauer hinschauen, was er kauft und was nicht.