Auf dem rechten Auge sieht Dietmar Scherer kaum noch was, zwei Prozent Sehkraft, wahrscheinlich sind es weniger. Der Mann aus dem Kreis Tuttlingen glaubt, dass eine Impfung mit dem Biontech-Vakzin schuld daran ist. Also klagte der 58-Jährige – auf 150.000 Euro Schmerzensgeld gegen den Impfstoffhersteller aus Mainz. Doch die zuständige Zivilkammer in Rottweil hat die Klage am Mittwoch abgewiesen.
Komplizierte Verhandlungen um Impfschäden
Auserzählt ist die Geschichte damit aber noch nicht. Zumal die Entscheidung des Gerichts zeigt, wie schwer diese Prozesse für Betroffene sind – und wie kompliziert die Verhandlungen um Impfschäden.
Zwei Mal hatte Scherer, 58, sich impfen lassen. Gleich nach der zweiten Dosis des Biontech-Vakzins Comirnaty, im Juni 2021, habe er sich unwohl gefühlt, wie er schon bei einem Gespräch mit dem SÜDKURIER im Sommer dieses Jahres erklärte. Wochen später war der Familienvater aus dem Kreis Tuttlingen auf dem rechten Auge fast blind. Nach dem Bericht der Uniklinik Tübingen erlitt der Mann einen Augeninfarkt.
Für den 58-Jährige war klar, dass sein kaputtes Auge nur an der Impfung liegen kann. Das vor Gericht nachzuweisen, ist allerdings schwierig, wie sich in Rottweil zeigte. Scherers Fall, Aktenzeichen 2 O 325/22, war der erste deutsche Prozess, der damals, Auftakt war im Juli, gegen den Impfstoffhersteller Biontech begonnen hatte.
Nachdem der Richter schon zu dieser Zeit Zweifel an den Vorwürfen geäußert hatte, wurde der Prozess ins schriftliche Verfahren übertragen. Seither versuchten der 58-Jährige und sein Anwalt Joachim Cäsar-Preller, eine Beweisaufnahme zu erreichen. Genauer: Sie strebten ein medizinisches Gutachten an, das den Zusammenhang zwischen Impfung und Impfschaden belegen könnte.

Dass es diesen Zusammenhang gibt, bestritten wiederum die Anwälte des Mainzer Impfstoffherstellers. Sie sagten: Auch andere Faktoren wie zum Beispiel Übergewicht könnten den Augeninfarkt verursacht haben. Außerdem wies der Richter bei der ersten Sitzung auf ein „positives Nutzen-Risiko-Verhältnis“ der Impfung hin. Das bedeutet nichts anderes als: Wenn die guten Dinge die schlechten überwiegen – dann war die Impfung auch für Scherer sinnvoll.
Am Ende entschied sich das Gericht auch aus diesem Grund dazu, die Klage abzuweisen. Das Urteil des Richters kommt nicht völlig überraschend. Ähnlich hatten zwischenzeitlich andere Gerichte geurteilt – etwa in Mainz, Kleve oder Bayreuth. Zuletzt hatte das Landgericht Düsseldorf Schadenersatz- und Schmerzensgeldklagen gegen zwei Impfstoff-Hersteller als unbegründet abgewiesen.
Kanzlei Cäsar-Preller vertritt Hunderte Fälle vor Gericht
Man habe nicht allzu große Hoffnungen gehabt, sagt Joachim Cäsar-Preller, dessen Kanzlei Hunderte solcher Fälle in Deutschland vertritt. Der Anwalt sagt aber auch: „Das Urteil ist enttäuschend.“ Dass das Landgericht Rottweil nicht mal einer Beweisaufnahme zugestimmt habe, wundere ihn. „Das passiert anderswo massenweise. Da wollen die Gerichte aufklären und bemühen sich um einen Sachverständigen.“ Das sei in Rottweil offenbar anders.
Viele Betroffene reibt der Kampf um Anerkennung auf, auch Dietmar Scherer. Zeitweise, sagt er, habe er jede Motivation verloren. „Ich habe das Gefühl, es bringt nichts.“ Die Klagen, die gegen Biontech und andere Hersteller geführt werden, sind für ihn Scheinklagen. „Mit Null Chancen auf Erfolg.“
Was Biontech selbst dazu sagt? Bis heute hat der Impfstoffhersteller eigenen Angaben zufolge mehr als 1,5 Milliarden Menschen weltweit und mehr als 65 Millionen Menschen in Deutschland mit Comirnaty-Impfungen versorgt. Angesichts dessen hätte das Unternehmen nur eine geringe Zahl von Klagen wegen potenzieller Impfnebenwirkungen erreicht.
Das sagt Biontech zur abgewiesenen Klage in Rottweil
Jeder einzelne Fall, in dem Haftungsansprüche geltend gemacht werden, würde einer sorgfältigen Prüfung unterzogen. „Wir sind zum Ergebnis gekommen, dass diese Klage unbegründet ist“, sagt eine Sprecherin. Für den Kläger, Dietmar Scherer, habe man Mitgefühl.
Anwalt Joachim Cäsar-Preller kündigt bereits an, Berufung einlegen zu wollen. Dafür haben er und sein Mandant nun rund einen Monat Zeit. Dann würde der Fall in der nächsthöheren Instanz am Oberlandesgericht in Stuttgart verhandelt. In Bamberg ist einem Kläger ein solches Berufungsverfahren bereits gelungen.

Ob es wirklich dazu kommt, weiß Dietmar Scherer noch nicht. Er will die Gerichtsentscheidung erst einmal sacken lassen. Er sagt: „In Deutschland ist die Zeit noch nicht reif genug. Die Gerichte und die Richter verstecken sich immer noch hinter dem vermeintlichen Nutzen-Risiko-Verhältnis.“ Solange das nicht widerlegt sei, sei ein Impfschaden nicht als Klage anzuerkennen – auch wenn eine Ursächlichkeit vorliege.
Die Situation für ihn ist zermürbend. Sich selbst habe er immer als Schneepflug begriffen, sagt er. Als einer, der für andere Betroffene den Weg freiräumt. „Jetzt müssen andere ran.“ Andere, die darauf aufmerksam machen, dass nicht alles heile Welt ist, wenn es um die Impfung geht.