Die Pandemie hinterlässt kulturelle Wüsten. Eine ist zweifellos die Fasnacht, auf die der Südwesten immer stolz war. Wenn die Bayern auf ihren Fußball und das Weißbier pochen, dann kann Baden-Württemberg auf eine Vielfalt an Larven und Motiven verweisen, die bis ins Mittelalter zurückreicht. Corona versetzte dieser Pracht einen herben Schlag. Was so gesetzt schien wie die „Tagesschau“, fand 2021 nur als Miniatur statt. Das Brauchtum wurde der Inzidenz unterworfen.
Auch Brauchtum steht unter den Corona-Regeln
Die Narren wollen es 2022 wissen. Die Herbsttagung der schwäbisch-alemannischen Narrenzünfte macht das deutlich. Die narrenlose, die schreckliche Zeit sei vorbei, hieß es. Bahn frei also für jene Zünfte, die bereits am 11. 11. starten und jene, denen es noch an Dreikönig für das Abstauben reicht?
So einfach wird es nicht. Auch das heiligste Brauchtum steht unter der Corona-Keule. Wenn die Zahlen nach oben schnellen, vergeht auch dem hartgesottenen Schellenträger schnell die Lust. Und es fehlt das Publikum, die Mitlaufenden, der volle Saal. Die Pandemie zeigt, wie zerbrechlich Traditionen sein können, die so fest verankert schienen. Auch die Fasnacht ist nur eine Konvention – eine Vereinbarung für die Zeiten des Überflusses und Übermutes, wo die Mark locker sitzt.
Mancher verglich 2021 mit den Kriegsjahren, als das Maskentreiben völlig untersagt war. Der Vergleich ist krass, hat aber einen wahren Kern. Er zeigt auf, wie hinfällig die verrückten Tage vor dem Aschermittwoch sind. Wie Schaumkronen treiben sie dahin, ebenso schillernd schön wie flüchtig. Die Narren mit Tand und Tamtam stehen nicht nur für Gaudi, sondern die eigene Flüchtigkeit.

Hat die alte Fasnacht eine Chance?
Nun gehören die Zunftmeister im Schwarzwald, auf der Baar oder dem Hegau nicht zu den Menschen, die über die Vergänglichkeit meditieren. Meistens sind das praktisch denkende Männer und Frauen, die überzeugen können, weil sie eine Überzeugung haben und etwas weitergeben wollen. Es sind Menschen mit Organisationstalent und ehrenamtlichem Schwung.
Eine andere Frage treibt diese Treuhänder der Tradition um: Kann die Fasnacht an ihre alte, gute Zeit anknüpfen? Wird es so sein wie früher? Man könnte doch gleich zuhause bleiben, das Sofa pflegen und sich von seiner Holden einen Piccolo kredenzen lassen.
Raus aus der aseptischen Welt
Kommen die Narren zurück? Diese Frage drängt sich nicht nur dem maskierten Brauchtum auf. Auch die Verantwortlichen für Theater, Konzerte oder Kinos rätseln, ob sich die Sitzreihen jemals wieder so füllen wie vor der Pandemie. Mancher Kulturmensch oder Cineast hat in den vergangenen 18 Monaten entdeckt, dass es bequeme Alternativen zur Kultur vor Ort gibt. Das Wohnzimmer wurde mittlerweile zum Livingroom hochgerüstet mit hochwertigen Boxen, die galaktische Klänge bis ins WC jagen. Das Internet erlaubt den viren- und feindfreien Genuss dieser Ereignisse. Kein Fremder schnäuzt sich neben dir, du bekommst keinen feuchten Händedruck. Prima, oder?

Diese aseptische Welt ist so ziemlich das Gegenteil der Straßenfasnacht. Dort geht es eng zu, heiß, fettig. Soziale Distanz ist deren exaktes Gegenteil. Fasnacht bedeutet unverhoffte Begegnung – der Horror aller an Karl Lauterbach geschulten Corona-Experten. Wenn 2022 wieder Masken getragen werden, dann sicherlich nicht als Mund-Nase-Bedeckung. Fasnacht ist das Gegenteil von gesund und vernünftig. Ein Blick auf die närrische Speisekarte genügt – ein schweinernes Gemetzel von Kasseler bis Kuttel, aber kaum gesund.
Sie soll im Triumph zurückkommen
Ob diese zugespitzte Form von Geselligkeit im kommenden Jahr sein darf, dürfte sich erst nach Weihnachten entscheiden. Dann liegen auch die Erfahrungen der Weihnachtsmärkte vor. Die Zünfte drängen verständlicherweise darauf, dass die Straßen nach der Pause wieder zur großen Bühne werden. Sie kämpfen um Präsenz und wollen die Stubenhocker ins richtige Leben zurückholen.
Fasnacht funktioniert digital nicht. Bei aller Originalität von Darbietungen am Bildschirm: Der Funken will nicht überspringen. So kann man nur eines wünschen kann: dass die Fasnacht im kommenden späten Winter im Triumph zurückkehrt.