Der 20. März 2013 ist ein besonderer Tag im Leben von Monika Escherich. „Den glücklichsten Tag“ nennt sie das Datum, an dem sie ihre zweite Lunge bekam. Ein zweites Leben. Wie einen Geburtstag feiert sie das Datum dennoch nicht. „Ich habe noch mal viele neue Jahre bekommen, aber Geburtstag habe ich da nicht“, sagt die Frau aus Bad Dürrheim nüchtern.
Wie viele Jahre es sein werden? Wer weiß das schon. Ein Inder habe ihr mal aus der Hand gelesen und gesagt, dass sie älter als 80 Jahre werden würde, erzählt sie. Jetzt ist sie 71. Sie genießt die geschenkte Zeit.
Mit 30 Prozent Lungenvolumen war Schluss mit Arbeiten
Bald sieben Jahre lebt Monika Escherich schon mit ihrer neuen Lunge. Man merkt es der zierlichen, eleganten Frau nicht an, wenn man sie vorher nicht kannte, aber, es muss ein völlig neues Leben sein, das sie seit der OP lebt. Seit 2001 fiel Monika Escherich das Atmen schwer, 2010 wurden ihre Beschwerden mit der COPD (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) massiv, 2013 dann die Transplantation.
Als es losging, arbeitete sie noch als Flugbegleiterin, auch noch dann, als ihr der Job mit dem abgesenkten Luftdruck, den Höhenwechseln und der körperlichen Anstrengung schwerfiel. Bei einem Flug nach Asmara in Eritrea war dann schließlich Schluss. Auf der Hochebene fiel ihr das Atmen so schwer, dass sie es während des Aufenthalts nicht mehr aus dem Zimmer schaffte. „Damals hatte ich keine 30 Prozent Lungenvolumen mehr“, erzählt sie. Es war noch nicht der Höhepunkt ihres Leidens.

Wenn Monika Escherich sich an den Verlauf ihrer Krankheit zurückerinnert, sind die Familienfeiern ihre Wegmarken. Wie die Hochzeiten ihrer beiden Söhne, die sie nur teilweise mitfeiern konnte. Irgendwann sei sie die Treppenstufen ihres Hauses – damals lebte das Ehepaar noch in der Nähe von Frankfurt – nur noch auf dem Po hochgerutscht. Zeitweise hatte sie Todesangst: „Ich habe gemerkt, wie es ist zu ersticken.“
Bei einem Klinikaufenthalt in Schönau bei Berchtesgaden sagte man ihr, dass sie sich an ein Leben mit Sauerstoff anfreunden sollte. Zwei Flaschen brachte sie pro Woche durch, erinnert sich Wolfgang Escherich. Irgendwann reichten auch die nicht mehr aus. Im Universitätsklinikum Gießen ließ sich Monika Escherich untersuchen und einstufen. In den Monaten vor der Transplantation wurde sie nachts beatmet, weil sie selbst das Luftholen zu sehr anstrengte.
2012 schafft es Monika Escherisch auf die berühmte Liste – die Warteliste der Organempfänger. Seit 2011 erfolgt die Zuteilung der Spenderorgane nach dem „Lung allocation Score“ (LAS): Dieser Zahlenwert setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen, wie dem Alter, dem Sauerstoffbedarf und der Grunderkrankung. „Je schlechter es einem geht, desto mehr Punkte bekommt man“, so formuliert es Wolfgang Escherich.
Der LAS habe zu einer gerechteren Zuteilung der Spenderlungen geführt, sagt Mathias Reyher, Oberarzt und Transplantationsbeauftragter Arzt am Schwarzwald-Baar Klinikum in Villingen-Schwenningen: „Vorher haben sie dort wie bei der Post angestanden. Wenn sie noch gelebt haben, wenn sie vorne ankamen, hatten sie Glück.“ Die Überlebensrate der todgeweihten Patienten habe sich seither erhöht, dennoch stehen viele zu lange auf der Warteliste. Jährlich werden laut Reyher in Deutschland 350 Menschen lungentransplantiert, aber 700 stehen auf der Warteliste.

Monika Escherichs LAS-Punktezahl war hoch. Dennoch vergingen 14 Monate von der Untersuchung bis zur Operation, einen Großteil davon verbrachte sie in der Klinik. Erst einmal musste sie zunehmen. „Ich wog nur noch 44 Kilo, musste aber hoch auf 51“, sagt sie. Da ihr die Kraft zum Essen fehlte, wurde ihr die Nahrung via Infusion verabreicht.
Sie wollte feiern, er bremste
Eines Abends, Monika Escherich war für ein paar Tage zu Hause, klingelt das Telefon. „Frau Escherich, wir haben eine Lunge für Sie.“ Das eben gekochte Abendessen geben sie den Nachbarn, machen sich auf den Weg nach Gießen. Dort läuft alles, „als wär‘s nix“, schildert Wolfgang Escherich, ruhig und geordnet. Monika Escherich wird gebadet, rasiert und mit Desinfektionsmittel übergossen, wie sie schildert. Ob sie Angst gehabt habe? „Im Gegenteil!“ Am schönsten sei das Aufwachen gewesen. „Ich hatte das Gefühl, ich schwebe wie auf Wolke sieben.“
Zwei gesunde Lungenflügel bekommt sie eingesetzt, der eine fängt schon an zu arbeiten, während der zweite transplantiert wurde. Wem diese wunderbar funktionierende Lunge zuvor gehört hat, hat sie nie erfahren. Ihr Mann vermutet, einer zierlichen Frau oder einem Kind. „Ich bin unendlich dankbar, das kann man in Worten gar nicht ausdrücken“, sagt Monika Escherich. Schuldgefühle plagen sie nicht, weil sie weiß, dass sie den Tod dieses Menschen nicht hätte verhindern können. Sie sagt: „Ich verspreche, dass ich mit der Lunge pfleglich umgehen werde.“
„Man konnte kaum den Gang hinunterschauen, so vernebelt war das.“Wolfgang Escherich über das Rauchen im Flugzeug
Die Escherichs haben in ihrem Arbeitsleben die ganze Welt bereist. Sie als Flugbegleiterin, er als Purser – der Chefsteward im Flugzeug. „Es war eine tolle Zeit“, sagt Monika Escherich mit leuchtenden Augen. Damals war Fliegen noch Luxus, in der Luft begegnete man den Reichen und Wichtigen, und die Lufthansa zahlte gute Gehälter.
Damals durfte an Bord noch geraucht werden, erst seit März 1998 ist bei der Lufthansa Schluss mit dem Qualmen. „Man konnte kaum den Gang hinunterschauen, so vernebelt war das“, erzählt Wolfgang Escherich. Auch sie beide waren starke Raucher. Sicherlich ein Grund für die Lungenkrankheit, an der auch Wolfgang Escherich leidet.

Nach der OP musste sich das Leben mit dem neuen Organ einspielen. Am Anfang nahm Monika Escherich täglich um die 40 Tabletten ein. Jetzt hat sie noch zwölf in ihrer Pillendose, die eher einem Pillenschränkchen gleichkommt. Darin, unter anderem, Immunsuppressiva, die Abstoßungsreaktionen verhindern sollen. In der ersten Zeit nach der OP plagten Entzündungen, Arthritis und hohe Zuckerwerte die Frau aus Bad Dürrheim.
„Es ist schon ein Berg, über den man geht“, sagt sie. Auch für ihren Partner sei es nicht einfach gewesen. Die jahrelange Sorge um sie habe ihren Mann vorsichtig gemacht. Während sie das Leben nach der OP feiern wollte, bremste er, mahnte zur Vorsicht. Keine Gartenarbeit, keine Pflanzen in der Wohnung (Infektionsgefahr), keine Erdbeeren (weil die Erde schlecht abzuwaschen ist), keine Rohmilch-Produkte, Pizza – die Liste der Verhaltensregeln für Transplantierte ist lang. Viel zu lang für Monika Escherich. „Ich hab von Anfang an gewusst: Das mach‘ ich nicht mit.“
Heute lebten sie ganz normal, sagt sie, mit einigen Einschränkungen, wie einem strengen Hygieneregime in der Küche. „Da passe ich ganz stark auf“, sagt Wolfgang Escherich, der Koch im Hause.
Enttäuscht von der neuen Organspende-Regelung
Die Debatte um die Reform der Organspende haben die Escherichs mit Interesse verfolgt. Niemand dürfe zum Spenden gezwungen werden. „Ich kann verstehen, dass jemand Nein sagt. Aber das wäre auch mit der Widerspruchsregelung möglich gewesen“, sagt Monika Escherich. Ihr Mann beklagt, dass sich Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und die übrigen Unterstützer der Widerspruchslösung nie um die irrationalen Ängste gekümmert hätten. Er sagt: „Man muss den Leuten erklären, was hirntot eigentlich bedeutet. Das verstehen sie nicht.“ Sie sagt: „Es geht darum, dass die Leute wissen, was passiert, wenn sie Spender werden.“
Ängste nehmen, informieren – und sich nicht darauf verlassen, dass die Menschen selbst einen Organspenderausweis ausfüllen. Dass sie das häufig nicht tun, sehen die Escherichs an ihrem eigenen Bekanntenkreis. „Über so ein Thema spricht ja auch keiner gern“, sagt Wolfgang Escherich.

Mathias Reyher stimmen die neuen Organspenderegeln wenig optimistisch. Der 47-Jährige glaubt nicht daran, dass sich die spendefaulen Deutschen nun massenhaft ins Zustimmungsregister eintragen lassen. Die Debatte habe zwar im vergangenen Jahr etwas ausgelöst, aber nach der Bundestagsentscheidung rücke sie wieder aus dem Fokus.
Verunsicherung ist ein Grund für die Zurückhaltung der Deutschen bei der Organ-Spende. Was bedeutet eigentlich hirntot?
Skeptisch sieht Reyher die neuen Informationspflichten durch Hausärzte: „Die haben in ihren überlaufenen Praxen dafür doch gar keine Zeit.“ Und erst die Organspende-Info auf den Ämtern: „Die städtischen Angestellten haben ja überhaupt keine Ahnung vom Thema.“
Reyher bedauert, dass Menschen wie Monika Escherich viel zu selten gehört werden. 2018 hat er die Meisterschaft der Organtransplantierten in Villingen-Schwenningen erlebt. Auch sonst gehen ihm Begegnungen mit diesen Patienten nahe. „Die wissen genau, warum sie noch auf der Welt sind.“