Frau Akli, wie verbreitet ist häusliche Gewalt in unserer Gesellschaft?

Etwa jede vierte Frau im Alter zwischen 16 und 60 Jahren wird laut einer Studie der Bundesregierung mindestens einmal in ihrem Leben Opfer häuslicher Gewalt.

Reden wir da von einer Ohrfeige?

Auch. Aber fast immer geht es um sehr viel schwerwiegendere Gewaltanwendung: um psychische, körperliche, sexuelle und finanzielle Gewalt. Gewalt hat viele Gesichter. Ein wichtiger Aspekt ist auch die soziale Gewalt, die zur Stabilisierung solcher Gewaltbeziehungen erst beiträgt. Diese drückt sich häufig dadurch aus, dass misshandelnde Partner ihre Frauen sozial isolieren und es ihnen dadurch erschweren oder unmöglich machen, sich Hilfe und Unterstützung zu suchen. Diese Isolation müssen Frauen unbedingt vermeiden und Kontakte aufrechterhalten, damit sie jemanden haben, der zu ihnen hält, wenn es hart auf hart kommt.

Kommt Gewalt in allen sozialen Schichten und in allen Altersklassen vor?

Die Studien sind sich häufig sehr einig, dass ohne Ausnahme alle Schichten der Gesellschaft betroffen sind und alle Altersschichten, die in festen Beziehungen leben. Sehr junge Frauen sind daher rein statistisch etwas weniger betroffen.

Warum warten Frauen in Misshandlungsbeziehungen oft so lange damit, sich Hilfe zu suchen oder überhaupt nur darüber zu sprechen?

Die Angst der Frauen vor einer Gewalteskalation des Partners ist einer der ganz wichtigen Faktoren, der die Hilfesuche verhindert. Diese ist häufig sehr konkret und mit konkreten Drohungen wie Kindesentzug verbunden, wenn der Partner erfährt, dass die Frau sich Unterstützung und Hilfe holt. Unter solchen Voraussetzungen und Drohungen ist eine unendlich hohe Hürde zu überwinden, bis es zur Hilfesuche kommt.

Was raten Sie den Frauen?

Ich rate immer grundsätzlich, sich professionellen Helfern anzuvertrauen. Das kann die Polizei sein, der Verein „Frauen helfen Frauen“ oder auch die Frauenhäuser. Es ist einfacher, wenn die Vorbereitung heimlich erfolgt. Die Frau sollte dem Partner und dem Umfeld, in dem er sich bewegt, nicht ankündigen, dass sie ihn verlassen will und wohin sie geht. Sonst weiß der Partner, wo er sie findet. In vielen Fällen mündet der Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung in ein Stalking. Frauen können ihre Gefährdungssituation in der Regel sehr gut einschätzen, und viele kommen zu der Erkenntnis, dass sie ihren Partner zwar verlassen können, er sie aber nicht in Ruhe lassen wird. Das führt zu Frustration und Verzweiflung. Ich kenne eine Studie, die besagt, dass in Deutschland auf 100 Stalkingfälle durch den Ex-Partner tatsächlich ein Tötungsdelikt kommt.

Das macht ja nicht gerade Mut, diesen Weg zu gehen…

Das ist genau der Punkt. Frauen brauchen ganz viel Vorbereitung, auch emotionale, um diesen Schritt dann auch zu wagen.

Gewalttäter äußern häufig nach ihren Übergriffen Bedauern und beteuern, dass es nie wieder vorkommen soll. Wie verlässlich sind Ihrer Erfahrung nach solche Beteuerungen?

Verlässlich ist meist nur, dass es der Einstieg in eine Gewaltspirale sein kann, wenn die Frau sich darauf einlässt. Der Partner verspricht, es nie wieder zu tun, entschuldigt sich, bringt Blumen mit. Und die Frau glaubt das, gibt ihm eine zweite Chance, dann die dritte, später die zehnte Chance. Irgendwann lassen die Entschuldigungen nach oder kommen gar nicht mehr. Dann steckt das Paar in einer Gewaltbeziehung.