An der Zukunft kann man schon mal vorbeilaufen. Sie ist schlicht, modern, zurückgenommen. Und die Schilder außen fehlen auch noch.

Das alles sieht so ganz anders als der zugehörige mächtige Hotelbau auf der gegenüber liegenden Straßenseite. Viele Hotelgäste auf der rückwärtigen Seite bekamen in der Nacht vom 5. Januar 2020 gar nichts mit von dem Inferno, das sich keine 150 Meter entfernt abspielte.
Aber am nächsten Morgen ragte dort, wo zuvor das eichenbalkengeduckte Stammhaus der „Traube Tonbach“ aus dem Jahr 1789 gestanden und Feinschmecker aus aller Welt angelockt hatte, hinter dem Rest der Fassade nur noch ein qualmendes Gerippe aus einem schwarzen Loch.

Im April 2022 ist das nicht mehr zu erahnen. Wo der Brand tobte, stehen nun zwei mehrstöckige, mit grauenbraunen Schindeln verkleidete Gebäude, klare Formen, viel Glas. Ein dritter Bau mit weißem Mauerwerk ist quer und tief in den steil abfallenden Hang gestellt. Er fußt auf dem alten Fundament.
Satt und fest sitzen die Gebäude im Hang, als ob der Lauf vieler Jahre den Fassaden ihre Patina verliehen hätte. Es ist ein Trick: Die nagelneuen handgefertigten Schindeln aus heimischem Lärchenholz wurden vorgegraut.
Der Großbrand des historischen Gebäudes im „Sternehimmel Baiersbronn“ war 2020 international in den Schlagzeilen. Beileidsbekundungen flatterten aus aller Welt in den Nordschwarzwald. Denn mit dem alten Schwarzwaldhaus gingen die drei darin befindlichen Restaurants in Flammen auf, dazu zwei Weinkeller mit zehntausenden Flaschen. Neben der „Bauernstube“ in der historischen Schankstube verbrannte auch die „Köhlerstube“, gerade erst mit einem Michelin-Stern dekoriert.

Aber vor allem verbrannte der legendäre Drei-Sterne-Tempel der „Schwarzwaldstube“. Dort hatte der junge Koch Harald Wohlfahrt einst die deutsche Spitzengastronomie mitbegründet.
Seit 1992 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Haus im Jahr 2017 hielt Wohlfahrt drei Michelin-Sterne. Ein einsamer Rekord. Gemeinsam mit den beiden anderen Gourmet-Destinationen vor Ort – dem drei-Sterne-Restaurant im Luxus-Ressort „Bareiss“ sowie dem Hotel „Schlossberg“ mit einem Stern – begründeten die Restaurants der „Traube Tonbach“ den kulinarischen Weltruf des 15.000-Einwohner-Städtchens Baiersbronn.
Seit dem 8. April ist die Katastrophe nun endgültig Geschichte, sind die neuen Nachfolge-Restaurants der „Traube Tonbach“ in Betrieb. Nach sechs Monaten Abriss- und Planungszeit und 21 Monaten Bauzeit. Alle 300 Mitarbeiter sind geblieben, trotz des eigentlich vernichtenden Doppelschlags aus zeitweiliger pandemiebedingter Hotelschließung und dem Großbrand.
Küchenchef Florian Stolte führt das neue „1789“ – nach dem Gründungsjahr des Stammhauses – mit asiatisch angehauchter französischer Küche in der Nachfolge der „Köhlerstube“, mit der er seinen ersten Stern geholt hatte, sowie das A-la-Carte-Restaurant „Schatzhauser“.
Es soll in der Tradition der „Bauernstube“ stehen, in die vor Jahrhunderten die Köhler nach ihrer schweren Tagesarbeit einkehrten. Hier gibt es auch künftig Maultaschen, Kutteln, Burger oder Steak.
Oder einfach nur ein Gläschen auf der Terrasse.
Auch Drei-Sterne-Koch Torsten Michel, seit 2017 Nachfolger von Harald Wohlfahrt in der „Schwarzwaldstube“ und inzwischen selbst längst eine Legende, hat den neuen Herd bezogen. Die „Schwarzwaldstube“ hat ihren Namen behalten.

Vor allem hat sie ihre drei Michelin-Sterne dank der Küchenperformance von Michel und seinem Team in der Übergangs-Restaurant-Lösung verteidigt. Manches ist unverändert: Die Menüs kosten knapp 300 Euro, die Reservierungsbücher sind auf Monate voll.

Auch sonst sollen sich die Gäste orientieren können. Lage, Grundriss und Größe der Gaststuben in dem neuen Gebäude-Ensemble sind exakt dort, wo sie vor dem Brand waren, selbst die Zahl der Plätze ist gleich geblieben. Das Interieur soll Tradition und Moderne verbinden.

Gneis, Granit, Holz, Lehmputz; die Räume großzügig und hell, die Formen klar, die Kunst an den Fänden farbig. Die talseitigen Fensterfronten mit den Schiebetüren auf die Terrassen sowie der Blick aus dem fast acht Meter hohen Giebelraum der „Schwarzwaldstube“ sind spektakulär. So weit, so schön. Nur: Aber was bleibt von einem 230 Jahre alten Traditionshaus, seinem Geist und seinem Flair, wenn es nicht mehr ist?
Seniorchef mit Wehmut
„Die Erinnerung. Sie lebt im Kopf. Ein Plagiat zu machen, wäre nicht gegangen“, sagt Seniorchef Heiner Finkbeiner beim Gespräch. Was die Flammen an Kleinodien verschont haben, hat die Familie in eine Kiste gepackt und im Fundament des Neubaus versenkt. „Die Tradition lebt im Kopf weiter“, sagt Finkbeiner. Manchmal scheint er sich zu zwingen, die Freude am Neuanafang zu betonen.

Er wurde hier im Stammhaus geboren, Zimmer 4, lebte es mit Leib und Seele. Bei der Eröffnung des Neubaus, bekennt der Hotelier, sei er sehr berührt gewesen. „Ich habe noch einmal Revue passieren lassen, was alles war. Da kam Wehmut hoch. Das war ein gewaltiger Einschlag“, sagt der Seniorchef.
Der tägliche Anblick der Ruine raubte ihm noch lange danach die Fassung. Finkbeiner führt das Familienunternehmen in siebter Generation seit 1993 gemeinsam mit Ehefrau Renate. Mit zwei erwachsenen Söhnen und einer der beiden Töchter ist bereits die achte Generation in Verantwortung.

„Aber man muss nach vorne schauen. Die nächste Generation hat nicht meine Erinnerungen, ist nicht im Stammhaus geboren, hat nicht mit dem Großvater noch Brezeln eingeschlagen und für die Oma Kohlen für den Herd aus dem Keller geholt. Es muss ja weitergehen. Und es musste etwas Neues sein. Kein Murgtal-Neobarock“, sagt der 73-Jährige.
Die Axt beim klaren Schnitt mit der Vergangenheit führte Heiner Finkbeiners Ehefrau Renate. „Mir waren die Materialien wichtig“, sagt sie zum Konzept der Neubauten, das ihre Handschrift trägt.

Regionale Bezüge, aber kein schwerer oder klischeebehafteter Schwarzwald-ballast mehr. Ihr Verhältnis zu Bollenhüten, Kuckucksuhren Schwarzwaldtorte ist durch die touristische Überfrachtung ohnehin gestört. Von Wehmut gepackt wird sie beim Gedanken an das verlorene Stammhaus nicht.
„Ich bin jemand, der überhaupt nicht zurückschaut. Ich habe nicht einmal unsere Hochzeitsfotos in ein Album geklebt.“Renate Finkbeiner
Über Schadenssumme und Neubaukosten schweigen die Familie und alle Beteiligten. Die Brandursache konnte letztlich nicht geklärt werden, aber mit der Versicherung gab es eine zufriedenstellende Einigung. „Es ist gelungen“, zieht Heiner Finkbeiner im April 2022 Bilanz, „das sagen auch die älteren Gäste. Gut, die ,Bauernstube‘ fehlt. Aber sie ist nicht rekonstruierbar“.
Die alte Inschrift, sie besteht fort
„Ein Neubau in alter Schwarzwaldoptik? Das wäre Disneyland geworden“, sagt auch Juniorchef Sebastian Finkbeiner. Ihm ist bei der Führung durchs Haus Freude und Stolz anzusehen. Die Vergangenheit ist dennoch präsent. Die frühere Balkeninschrift aus der „Bauernstube“ ziert nun in historischen Lettern die glattgraue Lehmputzwand des neuen Restaurants „1789“. An gleicher Stelle.
Ganz auf die verblassenden Erinnerungen in seinem Kopf muss sich Patron Heiner Finkbeiner aber nicht verlassen. Es gibt da ja noch das alte Gästebuch mit den Eintragungen von gekrönten Häuptern, Staatschefs, prominenten Gästen aus aller Welt aus sechs Jahrzehnten, eine echte Kostbarkeit.
Völlig durchnässt und halb verkohlt wurde es aus der Brandruine geborgen und gerade noch vor der Entsorgung bewahrt. Heiner Finkbeiner hat es mit größtem Aufwand erst gefriertrocknen und dann aufbereiten lassen. Er hütet es jetzt in seinem Büro, ganz für sich. Die Zukunft wird ein neues Gästebuch schreiben.