Heiner Finkbeiner schaut vom Eingangsbereich seines Fünf-Sternehotels auf die andere Straßenseite und weiß nicht so recht, wohin schauen und was sagen. Der 71-jährige Patron der Traube Tonbach in Baiersbronn blickt auf das, was einmal das Stammhaus des Familienbetriebs war. Dort, wo sein Ururururgroßvater Tobias Finkbeiner 1789 einst am Hang über dem idyllischen Tonbachtal eine Schänke für durstige Holzfäller, Köhler, Harzbrenner und Fuhrleute in Betrieb nahm und wohin zuletzt Feinschmecker aus aller Welt pilgerten, liegt nur noch eine massige verkohlte Brandruine.

Traurige Reste einer stolzen Geschichte: Der zerstörte Eingangsbereich mit dem Schriftzug „Traube Tonbach“ und den Resten ...
Traurige Reste einer stolzen Geschichte: Der zerstörte Eingangsbereich mit dem Schriftzug „Traube Tonbach“ und den Resten der Weihnachtsdekoration. | Bild: Andreas Rosar

Die Fassade vorne steht, doch das Dach des Schwarzwaldhauses ist zum Teil eingestürzt und übrigt bleibt nur ein schwarzes Gerippe, die Fenster sind aus den Rahmen geplatzt, dicke Balken bizarr durch die Hitze verbogen, der Innenraum ein schwarzes Trümmerfeld und die mehrstöckige Rückseite am Hang ein schwarzes Loch. Wo einst der Eingang war und stolz der Schriftzug „Traube Tonbach“ prangte, räumt ein Bagger einen Zugang für die Brandexperten der Polizei frei. Noch baumeln einzelne, verrußte Sterne der Weihnachtsdekoration herum. Der Greifarm nähert sich einem verkohlten Giebel, packt zu. Auf einem Eichenbalken steht: „Stammhaus“. Mit einem lauten Krachen landet er auf der Straße.

Bild 2: Trümmerfeld, Anteilnahme und Blick nach vorne: Wie es nach dem verheerenden Brand in der „Traube Tonbach“ weitergeht
Bild: Bäuerlein Ulrike

Finkbeiner, ganz Grandseigneur mit tadelloser Haltung, bewahrt trotz des traurigen Anblicks Fassung. „Dort habe ich mit meinen Eltern gewohnt, da bin ich geboren, Zimmer 4“, zeigt Finkbeiner hinüber. „Da unten war mein Büro, das kleinste von allen, aber ich habe von dort aus den Überblick über das ganze Geschehen gehabt.“ Der Bagger beißt zu, Giebel und Büro sind kurz darauf Geschichte. Wie so vieles andere auch. „Familienunterlagen, Fotos, Auszeichnungen, historische Gegenstände – alles verloren“, sagt Finkbeiner. „Das sind für uns alle ganz wichtige immaterielle Werte, die nicht zu ersetzen sind.“

Blick in die historische Bauernstube – ein Trümmerfeld.
Blick in die historische Bauernstube – ein Trümmerfeld. | Bild: Andreas Rosar

Vier Tage ist es an diesem Mittwoch her, dass der Gebäudeteil des Hotels, in dem die drei zum Hotelbetrieb gehörenden Restaurants sowie mehrere Büroräume untergebracht waren, in Flammen aufging, darunter der weltweit renommierte Drei-Sterne-Gourmettempel „Schwarzwaldstube“ und die im vergangenen Jahr erstmals mit einem Stern ausgezeichnete „Köhlerstube“. Ein Millionenschaden, noch ist die genaue Brandursache ungeklärt.

Ein Bagger räumt einen Zugang frei. Video: Bäuerlein Ulrike

Am frühen Sonntagmorgen, drei Tage nach seinem 71. Geburtstag, erreicht Finkbeiner die Alarmnachricht durch einen Anruf seines Sohnes. Wo das Stammhaus steht, sieht der Hotelchef hohe Flammen in den Nachthimmel schlagen und Blaulicht zucken. „Mir sind die Knie weich geworden bei dem Anblick“, sagt Finkbeiner. Als er kurz darauf vor Ort ist, steht der Restauranttrakt bereits voll in Flammen. Die Feuerwehr, mit 150 Mann angerückt, kann nur noch Schadensbegrenzung betreiben, einen angrenzenden Hotelanbau vorsichtshalber evakuieren und die umliegenden Gebäude sichern.

Die Männer wussten, was zu tun ist. „Das Szenario hier oben haben sie oft geübt, zum Glück“, sagt Finkbeiner. 700.000 Liter Wasser pumpen die Feuerwehrleute allein in den ersten drei Stunden auf den Brandherd. Was in den Gebäuden kein Opfer der Flammen wird, wird durch das Wasser zerstört – unter anderem einer der Weinkeller mit Tausenden kostbaren Flaschen, der vermutlich eingestürzt ist.

„Das Wasser schoss nur so den Hang herunter, bei uns ist der Keller vollgelaufen“, sagt Leandro Goncalves, der mit seinen Eltern in einem Häuschen direkt unterhalb des Komplexes wohnt und in der Nacht erst aufwachte, als schon die Feuerwehrleute mit den Spritzen und Schläuchen bei ihnen im Hof standen. „Es war wie in einem schlechten Film“, sagt er und zeigt seine Handyvideos, die den lodernden Brand aus nächster Nähe zeigen. Doch die Feuerwehr leistet ganze Arbeit, kein anderes Gebäude wird beschädigt, niemand verletzt. Ein kleines Wunder.

Patron Heiner Finkbeiner Video: Bäuerlein Ulrike

Der Hotelbetrieb der „Traube Tonbach“ selbst ist nicht betroffen, der mehrstöckige, weitläufige Komplex liegt am Hang auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Das Luxushaus ist zum Zeitpunkt des Brandes voll besetzt. Unter anderem ist Hollywood-Filmstar Nicolas Cage mit seiner Familie zu Gast, der in der „Schwarzwaldstube“ seinen Geburtstag feiern wollte, ein weiterer Hollywoodstar wurde erwartet. Viele Gäste des Hotels mit Zimmern zur gegenüberliegenden Seite bekommen den Brand, obwohl keine 100 Meter Luftlinie entfernt, in der Nacht überhaupt nicht mit – und reagieren am nächsten Morgen völlig geschockt. Manche brechen vor Hotelmitarbeitern in Tränen aus.

Der eigentliche Hotelkomplex auf der gegenüber liegenden Straßenseite ist unversehrt. Viele Gäste bekamen von dem Flammeninferno in der ...
Der eigentliche Hotelkomplex auf der gegenüber liegenden Straßenseite ist unversehrt. Viele Gäste bekamen von dem Flammeninferno in der Nacht gar nichts mit. | Bild: Andreas Rosar

Der Schock ist auch nach drei Tagen noch groß bei der Eigentümerfamilie, den Mitarbeitern und Gästen. Immer wieder bleiben Passanten, Gäste und Mitarbeiter auf der Straße stehen, starren auf die Trümmer, ringen um Fassung. „Es ist herzzerreißend“ sagt eine Service-Mitarbeiterin. Aber fast noch größer als die Erschütterung, so Finkbeiner, seien Anteilnahme und Hilfsangebote, die dem Haus und der Familie nicht nur aus der Region und dem Land, sondern aus aller Welt entgegenschlagen. „Das ist für uns alle sehr bewegend“, sagt Finkbeiner, der anhand der Rückmeldungen erfährt, welchen Ruf das Haus auch international genießt.

Die Hoteliersfamilie richtet den Blick nach vorn: Renate und Heiner Finkbeiner (Mitte) mit den Söhnen Sebastian (links) und Matthias.
Die Hoteliersfamilie richtet den Blick nach vorn: Renate und Heiner Finkbeiner (Mitte) mit den Söhnen Sebastian (links) und Matthias. | Bild: rene riis

Der Blick richtet sich in der Katastrophe nach vorne. Die Geschäftsführung um die Familie Finkbeiner sprach bereits am Tag nach der Katastrophe vom Wiederaufbau, der Gestaltung der Übergangsphase und versprach, die gleiche gastronomische Qualität anzustreben, für die die „Traube Tonbach“ mit der „Schwarzwaldstube“ unter dem Spitzenkoch Harald Wohlfahrt bekannt wurde und die Wohlfahrts Nachfolger als Küchenchef, Torsten Michel, fortführte, der seit 2017 ebenfalls drei Sterne im Goutmetführer Guide Michelin hält. Wohlfahrt war 2017 im Streit von der Eigentümerfamilie geschieden. Er lebt noch immer in Baiersbronn , wollte sich gegenüber unserer Zeitung aber nicht zum Brand äußern.

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„Er hat sich bei uns nicht persönlich gemeldet nach dem Brand“, sagt Heiner Finkbeiner zu seinem berühmten ehemaligen Küchenchef, „aber er hat sich wohl anderweitig voller Anteilnahme geäußert. Und manchmal ändern solche Ereignisse ja auch etwas.“

2015 lud Küchenchef Harald Wohlfahrt noch in die „Schwarzwaldstube“ der Traube Tonbach – die Eigentümerfamilie trennte ...
2015 lud Küchenchef Harald Wohlfahrt noch in die „Schwarzwaldstube“ der Traube Tonbach – die Eigentümerfamilie trennte sich 2017 im Streit von dem Drei-Sterne-Koch. | Bild: Bäuerlein Ulrike

Alle Mitarbeiter der Restaurants sollen gehalten werden, nicht zuletzt auch die gastronomischen Spitzenkräfte der Sternerestaurants „Schwarzwaldstube“ und „Köhlerstube“, von den beiden Sterne-Küchenchefs über Patissiers und Sommeliers – kein einfaches Unterfangen, denn selbst bei ambitioniertem Vorgehen wäre an Neubau und eine Wiedereröffnung der Restaurants unter Jahresfrist kaum zu denken.

Vier-Sterne-Team: Torsten Michel (links) und Florian Stolte – die Küchenchefs von „Schwarzwaldstube“ und ...
Vier-Sterne-Team: Torsten Michel (links) und Florian Stolte – die Küchenchefs von „Schwarzwaldstube“ und „Köhlerstube“. Stolte holte erst 2019 seinen ersten Michelin-Stern. | Bild: Traube Tonbach

„Länger darf es auf keinen Fall dauern“, sagt Finkbeiner. Was auch immer an Neubau kommt, soll auf jeden Fall in irgendeiner Form an das historische Gebäude, an die alte „Traube Tonbach„ erinnern. 

Ein Raub der Flammen: Die historische „Bauernstube“, wo die Geschichte der „Traube Tonbach“ im Jahr 1789 begann.
Ein Raub der Flammen: Die historische „Bauernstube“, wo die Geschichte der „Traube Tonbach“ im Jahr 1789 begann. | Bild: Tillmann Franzen

Auch eine einfache „Bauernstube“ soll es wieder geben – den Kern der alten Schänke und des Familienbetriebs. Und schließlich ist ja vielleicht doch nicht alles verloren an Erinnerung.

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Eines der für die Familie kostbarsten Stücke jedenfalls, das alte Gästebuch mit unzähligen Fotos und Einträgen aus vielen Jahrzehnten, konnte noch aus dem brennenden Gebäude gerettet werden. „Wir dachten, es ist hinüber, weil es so verkohlt aussah. Aber es ist vor allem nass, wir hoffen sehr, dass wir es aufbereiten lassen können“, sagt Heiner Finkbeiner. Vorerst lagert es zur Konservierung im Gefrierschrank.