Ein Juniabend um 17 Uhr, Feierabendzeit in Basel. Aus den Gassen der Altstadt, den Pforten der Bürotürme, von überall her strömen Menschen ans Ufer des Rheins, dessen smaragdgrünes Wasser sich durch die drittgrößte Stadt der Schweiz schiebt. Sie laufen am Ufer entlang stromaufwärts, alle in dieselbe Richtung, als würden sie zum gleichen Konzert pilgern.
Hab und Gut im Wickelfisch
Sie tragen sogar das gleiche Outfit: Badehose oder Bikini, über einer Schulter ein Handtuch und über der anderen ein bunter Nylonsack, in den sie ihr Hab und Gut gepackt haben – der „Wickelfisch“. Er wurde in Basel erfunden, um den Leuten hier am Ufer das zu ermöglichen, was sie gleich vorhaben: den Rhein hinunterzuschwimmen.
Die Baslerinnen und Basler baden schon seit Jahrhunderten in ihrem Fluss. Vor der Industrialisierung wurden sogar vier Badehäuser am Ufer eröffnet. Dann kamen die Chemiewerke. Erst als in den 1980er-Jahren eine Kläranlage gebaut wurde, trauten sich die Menschen wieder vermehrt ins Wasser.
Nach der Jahrtausendwende wurde es dann richtig populär, sich morgens oder nach Feierabend im Rhein treiben zu lassen. Inzwischen wird der „Rheinschwumm“, wie das Stadtmarketing den Basler Volkssport nennt, international gefeiert. Großstädte wie London, Paris und Berlin wollen ihre Flüsse schwimmbar machen.
Im Rhein schwimmen – ist das nicht gefährlich?
Längst lockt das Rheinschwimmen auch Urlaubsgäste an, die sich die Wickelfische in der Touristeninfo ausleihen können. Und auch mich hat das Phänomen begeistert. Ich bin in einem Dorf in Süddeutschland aufgewachsen, von dem aus ich in einer Viertelstunde an den Rhein radeln konnte. Doch darin schwimmen? Viel zu gefährlich. Dachte ich.
Dann erzählten mir Freunde davon, wie selbstverständlich sie in Basel in den Rhein gestiegen und glückselig durch die Stadt getrieben sind. Das wollte ich auch mal erleben – und suchte mir eine Komplizin, die mich in die Kunst des Rheinschwimmens einführen könnte.
Start am Tinguely-Museum
Am Tinguely-Museum, wo der Rhein auf seinem Weg aus den Alpen in die Stadt eindringt, rollt Sophie Lardon auf ihrem Rennrad heran. Die 31-jährige Künstlerin, Designerin und Innenarchitektin kommt gerade von der Aufnahme des Podcasts „This is Basel“, in dem sie über Architektur und Kunst in der Stadt spricht. Sie ist hier aufgewachsen, zeitweise weggezogen – und bewusst wieder zurückgekehrt. Wegen des Lebensgefühls. Und wegen des Rheinschwimmens. Sie steigt im Sommer so gut wie jeden Tag in den Bach, wie sie den Rhein in Basel liebevoll nennen.

Am Ufer ziehen wir unsere Kleider aus, stopfen sie in den Wickelfisch und rollen ihn zu. Auf dem Weg hierher hatte ich noch ein leicht mulmiges Gefühl verspürt. Schließlich war ich noch nie in einem so großen Fluss geschwommen. Zudem hatte ich vorher bei der Schweizer Lebensrettungsgesellschaft nachgelesen, dass das Schwimmen im Rhein grundsätzlich lebensgefährlich sei. Immer wieder würden Menschen darin ertrinken.
Sicherheitszone innerhalb der Bojen
Es gibt jedoch ein paar Tricks, um das Risiko zu minimieren: Man sollte beispielsweise nur bei über 18 Grad Wassertemperatur schwimmen, innerhalb der Bojen am Rand bleiben, um nicht von einem Schiff überfahren zu werden, und am besten nicht alleine schwimmen. Doch als ich jetzt am Ufer die vielen Menschen sehe, die alle dasselbe tun, verfliegt das flaue Gefühl. Außerdem habe ich ja Sophie an meiner Seite.
„Sollen wir?“, fragt sie und grinst. Dann springt sie schon ins Wasser. „Uhhhh“, ruft sie, „frisch“. Ich lasse mich hinterher ins Wasser gleiten und spüre das kalte Wasser auf meiner Haut. 22 Grad soll es heute kühl sein, heißt es auf der Website des Kantons, der alle Daten zum Rhein erfasst. Sofort zerrt die Strömung an uns und schiebt uns am Ufer entlang: Es fühlt sich an, als würde das Wasser uns in Empfang nehmen, uns in seinen Bann ziehen.
Ein Moment der Freiheit
Für Sophie ist der Rheinschwumm ein täglicher Moment der Freiheit, in dem sie sich einfach nur dem Wasser hingibt und sich treiben lässt. Eigentlich hatte sie heute keinen guten Tag. Sie hat gestern ihre Ausstellung in einer Galerie abgebaut und fühlt sich, als sei sie in einem Loch, weil sie wieder neuen Antrieb für die nächsten Projekte finden muss. Doch jetzt im Rhein fängt sie an zu lachen und zu jauchzen. Um uns herum lachen ein paar andere Schwimmer. Der Alltag ist schnell vergessen.
Auf der rechten Uferseite sehe ich die beiden teils mehr als 200 Meter hohen, futuristischen Türme des Pharmakonzerns Roche, designt vom Star-Architekten-Duo „Herzog & de Meuron“. Auf der anderen Uferseite zieht das alte Rheinbad Breite von 1898 vorbei, mit seinen stählernen Stelzen. Diese Gleichzeitigkeit von Alt und Neu fasziniert mich bei jedem Besuch in Basel. Die von der UNESCO geschützte Altstadt, daneben moderne Häuser aus Sichtbeton und mit großen Fensterfronten. Design trifft Historie.
Die Copacabana von Basel
Sophie zeigt ans Ufer, wo ein älterer, nackter Mann in der Sonne sitzt. Manchmal, sagt sie, erinnere sie das Basler Rheinufer an die Copacabana, den ewig langen Sandstrand von Rio de Janeiro, wo jeder Abschnitt seine eigenen Leute anzieht. So sei das auch in Basel. Hier die Nackten, weiter unten die Familien und noch weiter unten die hippen Großstädter. Der Rhein ist für alle da.
Ich lehne mich entspannt auf meinen Wickelfisch, der mir als Luftmatratze dient, und beobachte das Wasser. Es sieht sehr sauber aus. In den Laboren des Kantons wird es während der Badesaison dreimal im Jahr mikrobiologisch vermessen. Das Ergebnis von 2025: bedenkenloses Erfrischen möglich.

Langsam treiben wir auf die Wettsteinbrücke zu, jetzt kommt Sophies Lieblingsabschnitt. Links das Münster, rechts die Buvetten; kleine Kneipen, in denen die Basler ihren Apéro einnehmen – das blühende Leben. Basel, sagt Sophie, fühle sich irgendwie mediterraner an als viele andere Teile der Schweiz. Das Klima sei milder und die Leute entspannter. Zwischen den Pfeilern der Brücke verstehe ich, was sie meint. Ein leichter Wind lässt kleine Wellen aufbäumen und peitscht mir die Gicht ins Gesicht. Wie am Mittelmeer, nur mit Süßwasser.
Zum Trocknen auf die Steinterrasse
„Sooo“, sagt Sophie, „jetzt versuchen wir mal, anzulegen.“ Gleich rechts nach der Brücke strampeln wir einem Steinufer entgegen, auf dem ein paar Leute mit Weingläsern sitzen. Zwischen einer Handvoll alter Weidlinge, die Basler Holzboote, die sie ähnlich wie die Gondolieri in Venedig im Stehen steuern, setzen meine Füße auf den Boden. Geschafft.
Wir kraxeln aus dem Wasser und stehen mitten auf der Rheinpromenade. Doch niemand scheint sich daran zu stören. Wir laufen in ein Bistro, ziehen uns auf der Toilette um und bestellen Bier. Dann setzen wir uns zum Trocknen auf die Steinterrasse mit Blick auf den Rhein und das Münster. Hinter uns spielt jemand auf der Gitarre „Bella Ciao.“
Ich blicke auf das Wasser, ein Schwimmer nach dem nächsten zieht vorbei. Rheinkino nennt Sophie das. Eine Stunde Basel und ich fühle mich wie im Urlaub. Auch Sophie konnte ihren Arbeitstag abschütteln. Vielleicht ist es die Strömung, die die Stadt ausmacht, sagt sie. Man sehe, dass es immer weiter geht. Dass man nie stehen bleibt. „Ich bin fest davon überzeugt, dass Menschen, die am Wasser leben, glücklicher sind.“ Und Menschen, die täglich sogar ins Wasser steigen, vermutlich noch viel mehr.