Mike W. schweigt. Zu allem. Nicht nur zur Sache, nicht einmal persönliche Angaben wird er an diesem Tag machen, als ihn der Vorsitzende Richter Arno Hornstein danach fragt. Der kahlköpfige Mann in Kapuzenpullover und kariertem Hemd schweigt. „Wir haben ja noch ein paar Tage“, erklärt sein Pflichtverteidiger Marc Decker. Das hatte die Kammer anders geplant – und muss den ersten Verhandlungstag danach unterbrechen.

Der 49-jährige, vorbestrafte W. aus Kleve steht im Mittelpunkt eines spektakulären Kriminalfalls. Nach mehr als fünf Jahren könnte nun aufgeklärt werden, was mit Jan Heisig aus Gaienhofen-Hemmenhofen wirklich geschah. 32 Zeugen und drei Sachverständige sind geladen, 15 Verhandlungstage sind angesetzt. Vorerst. Denn vieles deutet darauf hin, dass es ein zäher Prozess wird.

Angeklagter soll drogensüchtig gewesen sein

Die Zuschauerreihen im großen Sitzungssaal des Konstanzer Landgerichts sind voll, als Oberstaatsanwalt Egon Kiefer die Anklageschrift verliest. Diese offenbart: Mike W. und die Halbschwester Jan Heisigs sollen an den Bodensee gereist sein, um Geld einzufordern, über das der damals 51-Jährige verfügte. W. und die Schwester seien beide arbeitslos und auf Sozialhilfe angewiesen gewesen, für ihre Sucht nach Kokain und Heroin hätte das Geld längst nicht ausgereicht.

Der Angeklagte mit seinem Pflichtverteidiger Marc Decker
Der Angeklagte mit seinem Pflichtverteidiger Marc Decker | Bild: Hanser, Oliver

Opfer soll Erbe verprasst haben

Die Frau suchte Jan Heisig daher schon Ende Mai am Bodensee auf. Heisig soll laut Anklage selbst arbeitslos und alkoholsüchtig gewesen sein. Er lebte mietfrei im Haus der Mutter, die in einem Pflegeheim untergebracht war. Heisig hatte eine Vollmacht über die Finanzen der vermögenden Witwe.

Die Halbschwester, die seit Jahren keinen Kontakt zu ihrer Familie gehabt hatte und in Nordrhein-Westfalen lebte, sei neidisch gewesen. Ihr Bruder verprasse das Erbe. Sie hätte immer wieder einen Anteil eingefordert, sei aber nur mit geringen Beträgen abgespeist worden.

Vor der Tat besuchten sie Heisigs Mutter

Am 2. Juni kehrte die Schwester mit Mike W. zurück. Zuvor soll der Angeklagte in der Drogenszene nach Unterstützern gesucht haben, um eine Person „verschwinden zu lassen“. W. und die Frau schalteten ihre Handys aus, und machten zunächst Halt im Pflegeheim der Mutter, um ihr ein Dokument vorzulegen, dass der Tochter die Vollmacht übertrage. Das wollte die betagte Frau aber nicht, da es ihrer Tochter laut Anklage nur um das Geld gegangen sei.

In Hemmenhofen lebte Jan Heisig zuletzt.
In Hemmenhofen lebte Jan Heisig zuletzt. | Bild: Küster, Sebastian

Vier Stunden später, um 22.58 Uhr, klingelte es dann an der Tür des Wohnhauses auf der Höri. Der Mitbewohner Heisigs öffnete, Mike W. sei wortlos an ihm vorbeigegangen und ins Obergeschoss gelaufen, wo sich das Schlafzimmer des Hausherren befand.

Heisig soll nichts geahnt haben

Die Staatsanwaltschaft wirft Mike W. vor, den nichts ahnenden Heisig in seinem Bett mit mehreren massiven Faustschlägen mit „beringten Fingern“ in das Gesicht und gegen den Rumpf geschlagen zu haben. Das Opfer habe innere und äußere stark blutenden Verletzungen erlitten, an denen es „in einem Zeitraum von bis zu zwei Tagen“ verstorben sei.

Fahndungsplakat SOKO Hase
Fahndungsplakat SOKO Hase | Bild: Küster, Sebastian

Heisigs Schwester soll im Erdgeschoss geblieben sein und sich dem Mitbewohner vorgestellt haben. Als der Mitbewohner hörte, was sich oben abspielte, sei er von W. geschlagen und daran gehindert worden, in dem Zimmer nachzusehen, in dem der 51-Jährige dann starb.

Falsche Fährte gelegt?

Nach jener Nacht hätten Mike W. und die Schwester dann im Ort eine erfundene Geschichte verbreitet, Jan Heisig hätte sich nach Afrika abgesetzt. In dieser Zeit hätten sie auch den Teppichboden herausgerissen, die Wände und den Boden geschrubbt, das Bett entsorgt. Das gesamte Anwesen hätten sie ausgeräumt, mehrere Luxus-Uhren und Schmuck dabei entdeckt und versetzt, um sich harte Drogen davon zu kaufen.

Mike W. und die Frau hätten nicht nur die Autos des Geschädigten genutzt, sondern auch damit begonnen, sich häuslich einzurichten. Ihr Plan sei es laut Staatsanwaltschaft gewesen, die Mutter wieder ins Haus zu holen, um die Kosten fürs Pflegeheim zu sparen und von ihrem Geld zu leben.

Den Leichnam habe der Angeklagte mit Thermit und Kalk verbrannt. Thermit ist eine Mischung aus Aluminium und Eisenoxid. Wird es entzündet, kann es über 2000 Grad heiß werden. Es wird zum Schweißen von Eisenbahnschienen verwendet. Eine Suche nach den sterblichen Überresten erscheint damit aussichtslos. Ob Mike W. dabei Hilfe hatte, ist noch unklar.

Die Ermittlungen dauerten lange

Der Angeklagte ist ein 49-jähriger Mann aus Kleve, der im Juni 2024 durch ein Spezialeinsatzkommando festgenommen wurde. Er geriet schon 2019 ins Visier der Ermittler und saß wegen des Falls bereits in Untersuchungshaft. Der Verdacht gegen ihn ließ sich aber trotz vieler Hinweise nicht erhärten.

Hundertschaften der Polizei hatten zu Fuß, mit Hubschraubern, Booten und Tauchern die gesamte Umgebung und den Bodensee nach Jan Heisig abgesucht. Die Staatsanwaltschaft und die Kripo setzten eine Belohnung für Hinweise aus. Schmuck und Gegenstände aus seinem Besitz wurden unter anderem in Krefeld entdeckt, wo der Angeklagte und die Halbschwester lebten.

Erst durch den Einsatz von verdeckten Ermittler kam es zu einem Durchbruch, wie SÜDKURIER-Recherchen belegen. Der 49-Jährige soll den Tatablauf so geschildert haben, wie es nur der Täter in dieser Form hätte wissen können.

Die Polizei suchte mit Hundertschaften die Höri ab.
Die Polizei suchte mit Hundertschaften die Höri ab. | Bild: Sebasttian Küster

Mike W. wird jetzt wegen Mordes aus Heimtücke und Habgier angeklagt. Die Schwester des Toten wird weiterhin als Beschuldigte geführt. Auch sie saß bereits in Untersuchungshaft, wurde aber aus Mangel an gerichtssicheren Beweisen freigelassen. Sie ist in dem Prozess auch als Zeugin geladen. Außerdem ist auch die Rolle des Mitbewohners noch unklar. Das Verfahren wird am 23. Oktober fortgesetzt.