Herr Antes, wir haben uns schon einmal über die Infektionsschutzmaßnahmen unterhalten. Was halten Sie von den seit Dezember hinzugekommenen Ausgangssperren?
Das ist alles völlig kopflos. Die Wirksamkeit der Maßnahmen wurde an keiner Stelle gezielt überprüft. Dass der sogenannte weiche Lockdown keine Auswirkungen hatte, ist zudem schlicht falsch. Tatsächlich hat er viel gebracht, denn sonst wären unsere Zahlen wie derzeit in den USA oder in Großbritannien. Das Infektionsgeschehen stagniert, statt anzusteigen, das ist die Auswirkung.
Aber der harte Lockdown könnte, wenn er nach den Ausnahmen um die Weihnachtsfeiertage wieder konsequent gilt, diese Entwicklung doch fördern und die Zahlen nach unten drücken? Die jüngsten Infektionszahlen sind ja schon niedriger...
Nein, mal niedriger, mal höher hat keine Bedeutung und sollte nicht angeschaut werden. Der harte Lockdown entscheidet sich kaum von dem weichen, außer dass er ökonomisch noch mehr Existenzen vernichtet, ein stärkerer Effekt wird aber vermutlich kaum eintreten.
Wir haben kaum noch Spielraum für noch schärfere Maßnahmen. Um es ganz drastisch zu formulieren: Wir haben derzeit eine Situation, in der die Wissenschaft von unseren Ministerpräsidenten erklärt wird. Da kommen Forderungen wie: „Wir müssen die Mobilität und Kontakte einschränken – noch weiter, damit es besser wird.“ Wir haben diese Maßnahmen aber schon weitgehend ausgeschöpft. Und was soll besser werden?

Worauf führen Sie das zurück, dass die Zahl der Neuinfektionen nicht so schnell zurückgeht wie erhofft oder teils sogar stagniert?
Daran, dass man die Beachtung der Regeln durch die Menschen nicht berücksichtigt. Wenn man den Menschen droht, die Maßnahmen zu verschärfen, passiert so etwas wie am Wochenende: Die Straßen in die Berge sind verstopft, weil alle noch einmal in den Schnee wollen, bevor das auch nicht mehr erlaubt ist. Eine professionelle Risikokommunikation sieht anders aus!
Im März waren die Menschen von dem neuen Virus so eingeschüchtert, dass sie von sich aus großen Abstand gehalten haben. Dieses Verhalten ist heute fast verschwunden. Es fehlt an Kampagnen, die die Menschen erneut dafür sensibilisieren, wie wichtig das Abstandhalten ist.
Wie lässt sich das im Alltag umsetzen?
Jetzt gilt es, an den vielen kleinen Schräubchen zu drehen, die dann in der Summe viel bewirken können. Bei Supermärkten ganz einfach über eine kleine Anzahl der Einkaufswäge und Körbe.
Wenn jeder nur mit Korb oder Wagen hineindarf und gerade keine mehr verfügbar sind, sind nie zu viele Leute im Laden und die Abstände können eingehalten werden. Ebenso das Desinfizieren von Rolltreppengeländern und Einkaufswagen – nun kaum noch praktiziert. Beim Einzelhandel ähnlich, nur wenige Menschen einlassen, durch Körbe oder Ähnliches die Anzahl kontrollieren. Die Schließung wäre damit überflüssig.
Bräuchte es eine allgemeine Maskenpflicht, auch draußen?
Ja, aber gezielt, wo der Abstand nicht sicher einzuhalten ist, zum Beispiel in engen Altstädten. Aber es kann nicht sein, dass manche Bundesländern noch Anleitungen im Internet haben, wie man aus altem T-Shirt-Stoff eine Maske nähen kann. Vielmehr bräuchte es FFP2-Masken für die gesamte Bevölkerung und eine allgemeine Pflicht, sie zu tragen. Ausnahmen für Maskenverweigerer sollte es nicht geben.

Lässt sich das überhaupt umsetzen, so viele Masken zu organisieren? Es gab ja schon Probleme bei der Ausgabe von FFP2-Masken für Risikopatienten im Dezember.
Wir hatten zehn Monate Zeit, deutsche Betriebe einzurichten, dass sie heute in der Lage sind, Masken mit hoher Qualität zu produzieren. Auch dieses Potenzial ist ungenutzt geblieben, um neue Wege zu schaffen.
Zusätzlich hat man versucht, eine Verteilbürokratie aufzubauen und damit unnötig Zeit verloren. Bei den Apotheken wird im Einkauf vermutlich auch nicht immer auf die Qualität der Masken geachtet. Das alles ließe sich mit deutschen Produktionen schneller und qualitativer bewerkstelligen.
Was halten Sie von den Schulschließungen und der Diskussion, sie wieder zu öffnen ab kommender Woche?
Das ist ein völliges Chaos. Politiker wie Karl Lauterbach pflegen ihre Selbstinszenierung, indem sie die Schulen zu Infektionsherden erklären, um dann drei Wochen später eine teilweise Öffnung vorzuschlagen – aber auf Basis wovon? Und wo ist die Kompetenz, Unterrichtsorganisation beurteilen zu können? Und Bildungsministerin Eisenmann propagiert, die Schulen sollten wieder öffnen. Eher politischer Wille als eine auf Zahlen gegründete Forderung. Oder auf welche Zahlen beruft sie sich?
Was fehlt, ist eine Analyse, wie viele Lehrer sich im vergangenen Jahr infiziert haben und in welchem Umfeld. Waren dies Lehrer von Schulklassen, in denen es keine Maskenpflicht gab, wo der Unterricht geteilt oder gesammelt stattfand? Solche Daten müsste man erheben. Schweden hat einen solchen Versuch unternommen, der allerdings gescheitert ist.
Derzeit steht die Bundesregierung auch wegen der Beschaffung von Impfstoffen in der Kritik. Halten Sie das für gerechtfertigt?
Nein, übertrieben und realitätsfern. Die gegenwärtige Kritik und Debatte darüber ist skurril. Hinterher bin ich immer schlauer. Aber zu dem Zeitpunkt, an dem Entscheidungen fallen mussten, alles auf nur einen Impfstoff zu setzen, wäre absurd gewesen. Niemand konnte wissen, welcher Impfstoff als erster zugelassen wird und wie wirksam und unbedenklich er sein wird.
Ein gutes Beispiel dafür ist die jährliche Grippeimpfung. Manchmal entwickelt sich das Virus anders als erwartet. Dann ist aber schon ein Impfstoff entwickelt worden, der zwangsläufig weniger wirksam ist.
Bei den Covid-Impfstoffen muss man das Bundesgesundheitsministerium in Schutz nehmen. Vergleiche wie etwa mit Israel hinken. Wir sind in der EU in einer Solidargemeinschaft und als Bundesland zudem einer föderalen Struktur unterworfen. Beides ist bei Israel nicht der Fall. Hinzu kommt, dass das Land verschiedenen Berichten zufolge offenbar einen deutlich höheren Preis für die Impfdosen gezahlt hat.
Wie lautet Ihre Prognose für die kommenden Wochen und Monate? Wann können wir mit Erleichterungen rechnen?
Mit den aktuellen Maßnahmen ist es vorhersehbar, dass wir bis April in der Lage bleiben werden, in der wir jetzt sind. Dann wird das Wetter wieder weniger Personen in engen Räumen möglich machen, Lüften erleichtern und draußen mehr Abstand ermöglichen. Dazu kommen dann zunehmende Auswirkungen der Impfungen, wie sehr, muss sich zeigen. Bis dahin wird der Weg sehr schwierig.