Weil er eine nicht angemeldete öffentliche Versammlung abgehalten haben soll, hat das Amtsgericht Sigmaringen einen 52-jährigen Mann zu einer Geldstrafe von insgesamt 30 000 Euro verurteilt. Der Angeklagte gilt als Anstifter und Anführer einer Gruppe von Corona-Impfgegnern, die vergangene Woche vor das Privathaus von Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Sigmaringen-Laiz gezogen waren. Doch von seiner Strafe bekommt der Angeklagte zunächst nichts mit: Er war nicht anwesend.
In aggressiver Stimmung vor dem Wohnhaus
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft betreffen konkret den 13. und 14. Februar. Damals waren rund 60 beziehungsweise 350 Mitdemonstranten mit Trillerpfeifen lärmend, in aggressiver Stimmung in Protestzügen vor Kretschmanns Wohnhaus marschiert. Dabei überwanden die Demonstrierenden auch eine Absperrung der Polizei. Sie legten zeitweilig den Verkehr auf der Hauptstraße lahm, sangen die Nationalhymne, ehe sie sich nach ihrem halbstündigen Auftritt auf den drei Kilometer langen Rückweg nach Sigmaringen machten.

Der Angeklagte soll über das soziale Netzwerk Telegram zu den Aufmärschen aufgerufen und diese persönlich an vorderster Front vor Kretschmanns Anwesen geführt haben. Der 52-Jährige lebt nach SÜDKURIER-Recherchen in einer kleinen Nachbargemeinde nahe der Kreisstadt, sein Vater aber ist in Laiz wohnhaft. Bundesweite Demonstrationen von Impfgegnern vor Privathäusern der Politiker hatten die Staatsanwaltschaft Hechingen veranlasst, umgehend auf die Zwischenfälle vor dem Haus des Ministerpräsidenten zu reagieren. Der Polizei war es rasch gelungen, den 52-Jährigen als mutmaßlichen Rädelsführer zu ermitteln.
Das am gestrigen Montag anberaumte Schnellverfahren vor dem Amtsgericht Sigmaringen löste ein gewaltiges Medienecho aus. Ein halbes Dutzend Pressevertreter aus Baden-Württemberg und zwei Fotografen warteten im Gerichtssaal indes vergeblich auf den Angeklagten. Schon zwei Stunden vor Verhandlungsbeginn hatten sich die Fotografen in Stellung gebracht. Die aufgrund der Corona-Vorgabe reduzierten Besucherstühle waren bis auf den letzten Platz besetzt. Umso enttäuschter reagierten sie auf das schnelle Ende der Verhandlung.
Aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend
Schon im Vorfeld informierte der Erste Staatsanwalt Ronny Stengel die Medienvertreter, dass der 52-Jährige wohl nicht erscheinen werde. Richterin Kristina Selig verlas im Gerichtssaal dann ein Schreiben, in dem der Angeklagte mitteilte, aus gesundheitlichen Gründen am Prozess nicht teilnehmen zu können. Für den gestrigen Montag war nach Angaben der Richterin wohl auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt und eingereicht worden. Zudem teilte der Sohn des Beschuldigten dem Amtsgericht schriftlich mit, dass sich der Gesundheitszustand seines Vaters verschlechtert habe und sich dieser in die Notaufnahme eines Krankenhauseses begeben musste.

Staatsanwalt Ronny Stengel beantragte deshalb „nach Aktenlage“ eine Sitzungsstrafe gegen den abwesenden Angeklagten mit 150 Tagessätzen zu je 200 Euro. In ihrem Urteil schloss sich Richterin Kristina Selig diesem Strafmaß an – die Höhe der Geldstrafe: 30 000 Euro. Zwei Wochen hat der 52-Jährige nun Zeit, um gegen den Strafbefehl Einspruch zu erheben.
Kretschmann hatte bereits öffentlich erklärt, dass das Demonstrationen zwar zu den elementaren Rechten, aber auch hier müsse man sich an die Gesetzte halten. Demonstrationen seien illegal. Wolfgang Querner, Ortsvorsteher von Laiz, zeigte sich über die Protestaktion vor dem Wohnhaus des bekannten Mitbürgers empört. „Da ist einfach eine rote Linie überschritten“, gab es vom Ortsvorsteher eine klare Aussage.
Mittlerweile hat das Landratsamt Sigmaringen die sogenannten Spaziergänge rund um das Privathaus des Ministerpräsidenten untersagt. Die Verfügung des eingeschränkten Versammlungsrechts gilt bis 15. März.