Nach 42 Jahren überwiegend in leitenden Positionen bei der Polizei: Überwiegt Ihre Vorfreude auf den Ruhestand oder gibt es auch Wehmut, plötzlich nicht mehr Führungskraft zu sein?
Wehmut wäre der falsche Begriff. Was ich ein Stück weit vermissen werde, sind die Menschen, mit denen ich zusammengearbeitet und mich ausgetauscht habe, die zwischenmenschlichen Beziehungen. Auch die soziale Gemeinschaft, in der man sich mag, wird mir fehlen. Aber ich habe eine tolle Dienstzeit hinter mir, große Einsätze und auch Ermittlungsverfahren, die nicht so ohne waren, und freu mich auf die neuen Herausforderungen, die sich künftig mehr im privaten Bereich wiederfinden werden.
Zu diesen kommen wir noch. Welche großen Einsätze und Ermittlungsverfahren haben sich in Ihrer langen Laufbahn ins Gedächtnis gebrannt?
Von den größeren Einsätzen werde ich keinen vergessen. Die Tötungsdelikte waren die prägendsten in meiner Laufbahn, in der ich als einfacher Mitarbeiter begonnen habe und später auch Ermittlungsgruppen und Sonderkommissionen leiten durfte. Ein besonders belastender und anstrengender Fall war der Taximord von Hagnau mit Ausgangslage in Singen im Jahr 2010. Er hielt die Bodenseeregion in Atem. Der Druck, der auf den Kolleginnen und Kollegen lag, war unheimlich belastend, auch für mich. Wir haben einen gemeinsamen großen Einsatz mit der damaligen Polizeidirektion Friedrichshafen gefahren. Nach einigen Tagen konnten wir den Taximörder festnehmen.
Oder ein Jahr zuvor der Mord an einer Geschäftsfrau in Singen, wo ich die Verantwortung für die Sonderkommission selbst übernommen hatte. Das waren Kriminalfälle, die nehmen einen auch persönlich mit, weil man ja auch mit den Familien der Opfer zusammenarbeitet, das steckt man nicht so leicht in die Hosentasche, das macht etwas mit einem. Seit ich die Schutzpolizei leitete, war ich auch Polizeiführer beim Konstanzer Seenachtsfest einem eher angenehmen Einsatz, aber auch bei Rockerlagen, verschiedenen Demonstrationen im Präsidiumsbereich und bei einer Rechts-Links-Demo in Singen 2015, als politisch Rechte in der Stadt demonstrierten. Das empfand ich immer als sehr anspruchsvoll.

Was hat Sie nach dem Abitur in Albstadt, wo Sie auch aufgewachsen sind, zur Polizei geführt?
Damals, 1979, musste man noch verpflichtend zur Bundeswehr oder soziale Dienste leisten. Eine andere Möglichkeit war, bei der Polizei drei Jahre Dienst zu leisten. Dann wurde man nicht mehr eingezogen. Mein damaliges Schülerdenken war, nach drei Jahren bei der Polizei in Tübingen Jura zu studieren. Aber dann wurde mir ein anderer Studienplatz zugewiesen, den ich nicht wollte und den habe ich sausen lassen. Ich bin bei der Polizei geblieben. Der Beruf hatte mir von Anfang an gefallen und nachdem ich recht schnell in den gehobenen Dienst aufgestiegen bin, bin ich einfach dabei geblieben. Und den Wunsch, außerhalb der Polizei zu studieren, habe ich trotzdem nie aufgegeben. 1987 habe ich mich an der Fernuni Hagen eingeschrieben, um nebenberuflich Sozialwissenschaften, Geschichte und Rechtswissenschaften zu studieren. Um den Druck rauszunehmen habe ich mir Zeit gelassen und 13 Jahre gebraucht, aber der Studienabschluss war mir ein persönliches Anliegen und den hatte ich im Jahr 2000 auch geschafft.
Die Kriminalpolizei Konstanz haben Sie bis 2010 geleitet und dabei neu strukturiert. War das Ihre größte organisatorische Herausforderung?
Das war ein landesweites Projekt. Ich musste aus zehn kleinteiligen Dezernaten mit eben so vielen Führungskräften vier Inspektionen formen – das war eine menschlich große Herausforderung. Aber auch die Strukturreformen 2014 und 2020 im Polizeipräsidium Konstanz waren ähnlich anstrengend. Immer wenn Sie eine Organisation verändern, stecken Menschen dahinter, die sich unter Umständen nicht mehr am selben Arbeitsplatz wiederfinden und andere Aufgaben übernehmen müssen. Diese Menschen müssen so gut wie möglich mitgenommen werden.

Bei der polizeilichen EU-Auslandsmission in der nordmazedonischen Hauptstadt Skopje hatten Sie von 2004 bis 2006 Führungsaufgaben inne. Was haben Sie da erlebt und mitgenommen?
Die 16 Monate in Nordmazedonien waren eine berufliche Erfahrung, auf die ich auf keinen Fall verzichten möchte. Als Personalchef der Mission habe ich mit 26 oder 27 verschiedenen Nationen zusammengearbeitet und das war unglaublich spannend, weil der Polizeiberuf weltweit sehr viele Ähnlichkeiten hat, aber völlig unterschiedliche Mentalitäten zusammenführt. Unterm Strich mussten wir das hinbekommen. Wir haben teilweise Einsätze begleitet, haben die nordmazedonischen Polizisten geschult, um sie auf den Standard zu bringen, der von der EU vertreten wird. Wir haben unglaublich tolle Sachen erlebt, sind eingeladen worden von den nordmazedonischen Kollegen, im Land unterwegs gewesen, haben die Polizeistationen besucht und geschaut, wie es den Kolleginnen und Kollegen geht.
Das waren tolle menschliche Begegnungen, aber es gab auch Konflikte, die ich lösen musste. Zwischenmenschliche Probleme, Kolleginnen und Kollegen fern der Heimat und was damit alles einherging, da war die deutsche Pünktlichkeit, die sich nicht bei allen Nationen gleichermaßen widerspiegelt ein eher untergeordnetes Thema. Wenn man in eine Auslandsmission entsandt wird, sich mit dem Leben und der dort lebenden Bevölkerung aktiv auseinandersetzt und eingeladen wird bei ganz normalen Leuten, dann ist das etwas ganz anderes, als wenn man dorthin zwei, drei Wochen in Urlaub fährt.
Konnten Sie Ihre Familie nach Nordmazedonien mitnehmen?
Nein, das war bei mir persönlich kein Thema, weil ich mich in dieser Lebensphase von meiner ersten Frau getrennt hatte. Aber völlig unabhängig von meiner persönlichen Situation ist das bei Auslandsmissionen generell nicht vorgesehen. Auslandsmissionen in Krisengebieten sind üblicherweise „Non family missions“.Wir hatten mehrere Konstellationen, wo die Lage kritisch war. Zu der Zeit war das Land noch nicht stabil und es gab auch in der Zeit, als ich auf dem Balkan Dienst leistete, unter anderem einen Raketenangriff auf eine Polizeistation in Skopje und tödliche Anschläge auf Polizeibeamte im benachbarten Kosovo.
Es gab dort auch verschiedene Formen von Verbrechen, auch Organisierte Kriminalität, die für mich greifbar waren. Aber dazu hatten wir kein Mandat und ich musste manches Mal auf die Zähne beißen und aus dem, was mir rechtlich möglich war, das Beste machen. In einem Stadtteil von Skopje war die Lage so prekär, dass die Polizei dort nicht präsent sein konnte und keine Streife fuhr. Das mussten wir in den Griff kriegen und ohne auf Details einzugehen haben wir das auch hinbekommen.

Kritiker sagen, dass Sie in der Region bekannt seien für einen nahezu hierarchisch militärisch-stringenten Kurs, aber auch für durchaus radikale Methoden, etwa bei einer Hausbesetzung 2020 in Konstanz. Gibt es etwas, dass Sie rückblickend in Ihrer langen Laufbahn anders gemacht hätten?
Das gibt es sicher. Bei einigen Ereignissen würde ich rückblickend anders entscheiden oder an der einen oder anderen Stelle anders vorgehen. Aber das ist immer das Schwierige in unserem Beruf. Wenn Sie Verantwortung tragen für andere, zum Beispiel bei der Hausbesetzung in Konstanz – dann müssen Sie an einem Punkt eine Entscheidung treffen, so wie sie die Lage kennen, einschätzen und auch beurteilen können. Und wenn sie dann ein, zwei Wochen später draufschauen, können Sie das mit einem ganz anderen Wissen und Hintergrund sehen. Bezogen darauf, war meine Einsatzbewältigung sicher geradlinig. Radikal würde ich nicht sagen.
Ich war ein konsequenter Einsatzleiter und habe einen Spruch aus der Polizeihochschule mitgenommen: „Das Recht darf nicht dem Unrecht weichen.“ Das war auch meine Überschrift, unter der ich mein Leben lang beruflich tätig war. Und: „Einem jedem Recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann.“
Gibt es etwas, dass Sie gerne noch im Polizeidienst erreicht oder vollbracht hätten?
Ich bin mit mir im Reinen, auch mit meinen beruflichen Zielen weitergekommen, als ich das bei mir auf der Agenda hatte. Ich habe am Schluss die Aufgabe übernommen und noch ein Jahr länger gearbeitet, als ich hätte müssen, um die Schutzpolizei Tuttlingen aufs Gleis zu setzen, damit es funktioniert – da schadet Projekt- und Berufserfahrung ja nicht – und das läuft jetzt. Da ist nichts mehr offen.
Ich habe ein Aufgabe gehabt, die wichtig war, aber ich will nicht immer im Mittelpunkt stehen. Im Laufe meines Lebens habe ich das Wort Demut nicht nur vor mich hergetragen. Ich habe mich verändert und nehme mich heute nicht mehr so wichtig, wie ich meinte, mit 38 oder 40 zu sein.
Ist das ein Stück weit auch die Altersweisheit und Gelassenheit, die irgendwann kommt?
Wenn man älter wird, verfügt man über viel Erfahrung und weiß aber auch, dass man ein ganz kleines Rädchen ist, dass irgendwo in einem großen Ganzen mitläuft, und irgendwann wird man ausgetauscht. Das entscheidet der liebe Gott, an den ich glaube. Für immer jung, wie Wolfgang Ambros sang, den ich zweimal live erleben durfte, gibt es nicht.

Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie unter die Schriftsteller gegangen sind?
Ich habe eine ganz ungewöhnliche Familiengeschichte. Mein Urgroßvater Friedrich Stiefel wurde 1893 Opfer eines Raubmordes und sein Großvater, Johannes Stiefel, war 1843 auch Opfer eines Mordes geworden. Diese Geschichten habe ich recherchiert über mehrere Jahre, war in vielen Archiven zwischen Sigmaringen und Stuttgart unterwegs, auch im Staatsarchiv.
Nachdem ich den investigativen Teil hinter mir hatte nach fünf Jahren, hatte ich zwei Aktenordner voll an Informationen, das hätte ich alles schön dokumentiert in den Aktenordnern lassen können, aber die Veröffentlichung der beiden Romane „Stiefels Stein“ und „Via Bologna – Ein Toter in Hohenzollern“ hatte viele schöne Folgen: Ein öffentlicher Platz in Bietenhausen wurde nach meiner Urgroßmutter Karoline Stiefel benannt, darauf bin ich sehr stolz. Sie war weitestgehend von der Welt vergessen, musste – nachdem ihr Mann ermordet worden war – schwanger und mit elf Kindern, wo anders unterkommen.
Der Pfarrer der damaligen Enklave Bietenhausen, nahm die Großfamilie auf, um der schwindenden Gemeinde „frisches Blut zuzuführen“. Meine Urgroßmutter wurde damit zur ersten Hausmutter des dortigen Diasporahauses, das heute eine Jugendhilfe-Einrichtung der Evangelischen Kirche ist.

Ist Ihre Familiengeschichte nach zwei Büchern nun auserzählt oder folgt jetzt im Ruhestand ihr Urahn, der nach Bessarabien auswanderte, oder gar fiktive Krimis?
Mein Urahn in Bessarabien spielt keine Rolle mehr. Die Familiengeschichte ist auserzählt, aber ich würde nicht behaupten, dass ich nichts mehr veröffentliche. Ich schreibe gerne und beschäftige mich mit verschiedenen Themen. Momentan arbeite ich an einem Kriminalroman, bin aber in den Anfängen und lasse mich selbst überraschen, wohin die Reise führt. Ausschließlich genießen werde ich den Ruhestand nicht.

Wie gehen Sie den jetzt an, welche konkreten Ziele haben Sie noch?
Ich bin ein Mensch, der sportlich gerne aktiv ist und in die Berge geht. In nächster Zeit habe ich als ein Ziel, wieder auf die 4000er-Höhe zu gehen. Mein Wunsch ist, dass ich nächstes Jahr sowohl konditionell als auch psychisch in der Lage bin, das Matterhorn zu besteigen.
Außerdem habe ich Familie, zwei erwachsene Söhne, einen Hund und das große Glück, ein Haus mit Garten mein Eigen zu nennen – an Beschäftigung mangelt es mir nicht – aber ohne Druck. Meine Tage sind ausgefüllt, aber mit Dingen, die ich mir selbst aussuchen kann, und natürlich hat man auch in der Familie noch Pflichten, da freu ich mich drauf. Ich kann die Tage mit Kür gestalten und muss nicht mehr.