Demokratien leben davon, dass eine möglichst große Anzahl politisch Interessierter um die besten Ideen ringt und unsere Gesellschaft mitgestaltet. Dass Menschen, die keine Berufspolitiker sind, Lust haben, ihre Gedanken zu entwerfen und einzubringen. Immer in der Hoffnung, dass sie gehört werden von den Profis in der Politik. Von denjenigen Leuten also, die eine gehörige Portion Mitverantwortung tragen für unsere Gemeinschaft.

Doch die Lust geht im Moment rasend und gefährlich schnell verloren. Weil viele Menschen sich nicht mehr sicher sind, ob an den maßgeblichen Stellen der politischen Macht wirklich echte Profis sitzen und zuhören wollen oder aber nur Menschen, die sich für Profis halten.

Kindergarten statt Krisenbewältigung?

Nach einer Umfrage der Tageszeitungen in Baden-Württemberg fühlt sich jeder zweite Bürger in unserem Bundesland ohnmächtig, weil er sich in der Corona-Krise mit Kritik und Anregungen an niemanden wenden kann. Das heißt übersetzt: Die Menschen sind sich nicht sicher, ob ihre Auffassung überhaupt noch ernst genommen wird. Woher dieser Eindruck kommt, darüber lässt sich abendfüllend spekulieren. Ganz sicher spielt aber der verheerende Eindruck eine Rolle, den maßgebliche Politiker derzeit hinterlassen: nämlich eine Mischung aus Überforderung, Überheblichkeit und Selbstbeschäftigung.

Wenn aus Konferenzen der Bundesregierung mit den Ministerpräsidenten bekannt wird, dass Markus Söder den Finanzminister Olaf Scholz anraunzt mit den Worten „Da brauchen Sie gar nicht so schlumpfig herumzugrinsen“ und Ministerpräsidentin Manuela Schwesig einwirft „Ausgerechnet von Ihnen, Herr Söder“ – was ist das dann? Seriöse Krisenbewältigung oder Kindergarten? Und wenn sich im Fernseh-Spitzenduell vor der Landtagswahl Susanne Eisenmann und Winfried Kretschmann um das angebliche oder tatsächliche Versenden einer E-Mail streiten anstatt beispielsweise über die Zukunft unserer Schulen – was ist das dann? Kleine Kachel oder großes Kino?

Die vier Säulen des Erfolgs

Was derzeit auf dem Spiel steht, ist nicht mehr und nicht weniger als das Vertrauen in Politik und in unseren Staat. Die Corona-Krise macht Defizite ungeheuren Ausmaßes sichtbar – sowohl im Bund als auch in den Bundesländern und, ja, auch in Baden-Württemberg. So ungeheuerlich groß, dass sich Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus zu der Feststellung hinreißen ließ: „Deutschland braucht eine Jahrhundert-Reform – vielleicht sogar eine Revolution.“

Jahrzehntelang galt die Bundesrepublik als Organisations-Weltmeister – heute ist das Land nicht einmal mehr Organisations-Weltmeister der Herzen, sondern wirkt wie ein Amateurligist. Schon früh in der Pandemie war klar, dass die Bewältigung der Krise im Wesentlichen aus vier Säulen besteht: der Vernunft der Menschen, einer funktionierenden digitalen Kommunikationsstruktur, einer Impfstrategie und einem belastbaren Plan fürs Testen. Und wo stehen wir heute?

Am Rand des Staatsversagens

Die Corona-App – ein Schlag ins Wasser. Die Gesundheitsämter – nach zwölf Monaten Krise immer noch nicht mit einer einheitlichen Software verbunden. Die digitale Ausstattung an unseren Schulen – ein Desaster. Die Impfstrategie – ein hilfloses Durcheinander. Gesundheitsminister Manfred Lucha beispielsweise verteilt Impfdosen gleichmäßig auf die Landkreise Baden-Württembergs, anstatt die Bevölkerungszahl zur Grundlage zu nehmen. Und flächendeckende Schnelltests? Da wurde in dieser Woche eine sogenannte Task Force gegründet mit der Aufgabe, sich um die Anschaffung dieser Tests zu kümmern. Sie haben richtig gelesen: sich um die Anschaffung zu kümmern. In dieser Woche gegründet.

Kritiker verwenden für diese Umstände das große Wort des Staatsversagens. Folgt man dem Fraktionschef von CDU/CSU, ist es genau das. Die Verwaltungsstrukturen und die Entscheidungsprozesse in unserem Land sind nicht dafür gemacht, eine Krise zu managen. Da wird lieber monatelang um Kompetenzen gerangelt.

In der Umfrage der Tageszeitungen wurden die Menschen auch gefragt, welches die wichtigsten Aufgaben für eine erfolgreiche Zukunft unseres Bundeslandes sind. Erst auf Platz 14 kommt der Punkt „für eine effiziente Verwaltung zu sorgen“. Diese Einordnung muss man hinterfragen, denn die Trägheit unseres Landes hat auch sehr viel mit völlig veralteten Strukturen in den Verwaltungen zu tun. Dem nächsten Ministerpräsidenten und dem nächsten Kanzler mag man zurufen: Das Thema gehört nicht auf Platz 14, es gehört auf Platz 1. Denn wenn die Administration besser, effizienter und entscheidungsfreudiger läuft, dann geht‘s auch bei anderen Themen vorwärts. Auch, wenn eine Verwaltungsreform unsexy ist.