Am Anfang steht eine Bemerkung von Felix Klein. Bei der Vorstellung des Lagebilds Antisemitismus berichtet der Beauftragte für jüdisches Leben in Deutschland von seiner in Konstanz studierenden Tochter, die aus Solidarität eine Israel-Flagge aus ihrem Fenster gehängt hatte – woraufhin die Leiterin des Modegeschäfts darunter forderte, sie zu entfernen.
Dann folgt Aufregung: Hat die Stadt Konstanz ihr zweites Flaggen-Problem seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober? Aber der Reihe nach.
Vermieter fürchtet Stress mit anderen Mietern
Anfang November hängt Katharina Klein eine Israel-Flagge aus einem Fenster ihrer Wohnung in der Konstanzer Innenstadt. Drei Tage später klingelt der Vermieter bei der 24-jährigen Studentin und bittet sie, die Flagge abzunehmen – sonst bekäme er Stress mit dem Laden im Erdgeschoss. So berichtete es Klein dem SWR, aktuell will sie sich nicht weiter zu dem Thema äußern.
Die Leiterin des Ladens äußert sich. Sie ist erst einmal wütend. So, wie Felix Klein sich in der Pressekonferenz geäußert habe, sei das Tatsachenverdrehung, findet sie. Klein sagte da, seine Tochter hätte die Flagge im Fenster belassen; das stimme aber nicht, sagt die Frau. Sie bleibt anonym, um die Privatsphäre der Bewohner des Hauses zu schützen.
Katharina Klein sei bei ihr im Laden gewesen, habe gesagt, sie hätte die Flagge aus Nettigkeit dem Vermieter gegenüber abgenommen. „Wir hatten dann ein ganz tolles Gespräch miteinander“, berichtet die Ladenleiterin.
Sie sorgt sich um ihren Sohn in Israel – und um den Laden
Ohnehin, sie sei die letzte, die etwas gegen Israel hätte: Ihr Sohn lebe dort, „ich habe jeden Tag Angst um ihn“, sagt sie dem SÜDKURIER. Aber ein ungeschriebenes Unternehmergesetz sei nun mal: „Wir sind politisch und religiös neutral, egal wie wir das privat sehen. Bei uns ist jeder Mensch willkommen, der sich respektvoll verhält.“
Sie habe sich auch Sorgen um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter gemacht, berichtet sie weiter. Fünf oder sechs Anrufe habe sie wegen der Flagge über ihrem Laden bekommen, sie sei gefragt worden, seit wann sie sich so positioniere. Eine Person hat ihr am Telefon „empfohlen, die abzunehmen“, sagt sie. Das habe sie als bedrohlich empfunden.
So schätzen Sicherheitsbehörden die Lage ein
Aber wie steht es um die Sicherheit jüdischen Lebens in Konstanz? Und ist in Gefahr, wer sich solidarisch zeigt? Die Polizei spricht von einer abstrakten Gefährdungslage – die für jüdische Menschen und Einrichtungen quasi immer gilt, seit dem 7. Oktober aber besonders. Von einer konkreten Gefährdung könne in der Region aber keine Rede sein, heißt es weiter.
Das Landeskriminalamt (LKA), das antisemitische Straftaten zentral für Baden-Württemberg erfasst, berichtet auf SÜDKURIER-Nachfrage von etwa 120 antisemitisch motivierten Straftaten seit dem 7. Oktober. Darunter: Volksverhetzungen, Sachbeschädigungen und Diebstahlsdelikte.
Im Bereich des Polizeipräsidiums Konstanz – dazu gehören auch die Kreise Rottweil, Tuttlingen und Schwarzwald-Baar – hat das LKA in diesem Zeitraum bislang „eine einstellige Zahl antisemitischer Straftaten erfasst“. Auch wenn keine konkrete Gefährdung vorliegt, werden jüdische Einrichtungen in Baden-Württemberg derzeit verstärkt bestreift.
Der private Flaggen-Fall aus der Konstanzer Innenstadt ist aber nicht der einzige. Bereits Mitte Oktober stand die Frage im Raum, weshalb am hiesigen Rathaus keine Israel-Flagge gehisst wurde – während das andernorts ganz schnell ging. Eigentlich wollte die Stadtverwaltung Mitte Oktober darüber entschieden haben. Ein Ergebnis ist aber bis heute nicht bekannt; außer, dass nach wie vor keine solche Fahne vor dem Rathaus weht.
Die Flaggen-Frage beschäftigt die Stadt weiter
Gesichert ist: Der Ältestenrat des Gemeinderats der Stadt hat sich am 16. Oktober gegen eine Beflaggung und für eine Resolution mit der Überschrift „Solidarität mit Israel“ entschieden. Die wurde am 26. Oktober beschlossen – ist offenkundig aber ein weniger sichtbares Signal. Die Flaggen-Frage beschäftige die Verwaltung aber weiterhin, hieß es von der Stadt. Und der OB setze auch andere Zeichen der Solidarität.
Für Ruth Frenk, unter anderem Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft in der Bodensee-Region, eine Katastrophe. Sie hatte die Stadt schon am 10. Oktober um eine Beflaggung angesucht, sagt sie. „Und wenn alle eine Flagge aufhängen, müsste sich die Ladenbesitzerin auch nicht fürchten“, so Frenk. Sie kann deren Bedenken jedenfalls verstehen. „Wenn an der Rheinbrücke Flaggen hingen und am Rathaus, dann werden die vielleicht heruntergerissen und verbrannt“, sagt sie. „Aber dann wissen wir wenigstens, wo wir sind.“