Es sind drei schockierende Vorfälle zwischen Sicherheitskräften und Geflüchteten innerhalb von wenigen Tagen: Zunächst soll ein 26-jähriger Mitarbeiter einer Securityfirma am 10. Mai einem 39-jährigen Bewohner in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) Sigmaringen bei einer Kontrolle mit einem Funkgerät ins Gesicht geschlagen haben.
Am Tag darauf kommt es dort in den späten Abendstunden zu einer regelrechten Revolte: Zwei LEA-Bewohner sollen drei Sicherheitsmänner unvermittelt angegriffen und teilweise verletzt haben. Nachdem die kurz nach Mitternacht alarmierte Polizei die beiden Angreifer in Gewahrsam nimmt, solidarisiert sich eine Gruppe von etwa 30 bis 40 Bewohnern mit dem Duo und bedrängt Polizei- und Sicherheitskräfte.
Verstörende Selbstverletzung
Die Situation droht völlig zu eskalieren, als ein Mann aus der Gruppe auf Polizeibeamte zuläuft und sich ohne Vorwarnung einen tiefen, stark blutenden Schnitt mit einer Rasierklinge in die Armbeuge selbst zufügt, wo mehrere Venen dicht unter der Haut verlaufen. Er muss von der Polizei überwältigt und später notoperiert werden. Erst als weitere Polizeieinheiten zusammengezogen werden, gelingt es den Sicherheitskräften die aufgeheizte Stimmung zu beruhigen und weitere Straftaten zu verhindern.

Nur wenige Tage später ereignet sich am 16. Mai der dritte verstörende Vorfall, diesmal im Ankunftszentrum für ukrainische Kriegsflüchtlinge in Meßstetten, rund 30 Kilometer von Sigmaringen entfernt. Ein 24-jähriger Sicherheitsmitarbeiter soll dort am helllichten Tag zwei Kinder aus der Ukraine sexuell missbraucht haben. „Das ist absolut inakzeptabel und wird die entsprechenden rechtlichen Konsequenzen haben“, sagt der zuständige Regierungspräsident Klaus Tappeser. Zu den beiden anderen Gewaltvorfällen äußerte er sich bislang nicht.
Fünf Anklagen gegen Securities
Ersten Ermittlungen der Kripo zufolge, habe der 24-jährige Mann die Mädchen im Alter von sechs und sieben Jahren in den Nachmittagsstunden in ihrer Unterkunft bedrängt und unsittlich berührt. Als die Kinder sich ihren Müttern anvertrauen, informieren diese den Chef der Sicherheitsfirma.
Dieser verständigt daraufhin die Polizei, welche den mutmaßlichen Täter noch im Laufe des Nachmittags festnimmt. Einen Tag später verhängt eine Richterin Untersuchungshaft gegen den aus dem Mittleren Osten stammenden Sicherheitsmann.

Fünf Anklagen gegen Securities
Auch in der Vergangenheit kam es in Sigmaringen immer wieder zu Übergriffen von Mitarbeitern von privaten Sicherheitsfirmen auf Geflüchtete: So sollen im August 2021 fünf Sicherheitsmitarbeiter im Alter von 25 und 50 Jahren auf einen Bewohner in der LEA Sigmaringen eingeschlagen und eingetreten haben. Die Staatsanwaltschaft Hechingen hat im Januar Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung gegen das Quintett erhoben. Eine Verhandlung fand jedoch noch nicht statt.
Was ist also los mit privaten Securityfirmen in Baden-Württemberg, die im Auftrag des Staates eigentlich für Sicherheit sorgen sollten? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen den drei Vorfällen?
Rivalitäten zwischen Nationalitäten
Der Südbadener Klaus Danner war unter anderem Polizeidirektor in Waldshut-Tiengen und ist heute für das zuständige Justizministerium ehrenamtlicher Ombudsmann in der Flüchtlingserstaufnahme.

Er ordnet die Revolte in der LEA Sigmaringen als einen ganz seltenen Vorgang ein, der aber in der Öffentlichkeit eine große Wirkung hinterlasse. „Die überwiegende Mehrheit der Asylwerber ist anständig, aber es gibt auch solche, die mit der Situation nicht zurecht kommen, möglichst schnell aus einer Einrichtung raus und alles anerkannt bekommen wollen“, so Danner. Vielen sei langweilig, es werde Alkohol konsumiert und es gebe Rivalitäten zwischen einzelnen Nationalitäten.
Organisierter Drogenhandel als Hintergrund?
Laut Polizei und Tübinger Regierungspräsidium waren bei den beiden gewalttätigen Auseinandersetzungen in der LEA Sigmaringen keine Ukrainer involviert. Beide Fälle sollen nach bisherigen Erkenntnissen trotz der zeitlichen Nähe nicht miteinander in Zusammenhang stehen.
Auf Nachfrage räumt das Regierungspräsidium jedoch im Gegensatz zur Polizei ein, dass ein Bewohner an beiden Gewaltaktionen beteiligt war. Laut SÜDKURIER-Informationen könnte es im Hintergrund um organisierten Drogenhandel gegangen sein. Die Polizei will sich dazu nicht äußern und verweist auf die laufenden Ermittlungen.
90 Sicherheitsleute für zwei Einrichtungen
Was die drei aktuellen Vorfälle jedenfalls miteinander verbindet, ist dass alle beteiligten Wachmänner in der LEA Sigmaringen und im Ankunftszentrum Meßstetten bei der selben Sicherheitsfirma angestellt sind: Fair Guards Security aus Eichenzell nahe Fulda. Mit 1. Januar hatte das Regierungspräsidium Tübingen die hessische Firma beauftragt, in der LEA Sigmaringen mit derzeit rund 60 Sicherheitsleuten für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Am 15. März kam das Ankunftszentrum Meßstetten mit etwa 30 Wachpersonen hinzu.

Von 2017 bis 2021 stand eine Ravensburger Sicherheitsfirma unter Vertrag. Diesen hatte das Regierungspräsidium Tübingen – wohl als Reaktion auf die Gewalteskalation der fünf nun angeklagten Securities – mit Jahresende 2021 nicht verlängert und dafür Fair Guards Security als Bestbieter mit dem kostengünstigsten Angebot ausgewählt.
„Menschenverachtende Repression“
Dabei hat es schon vor der Vergabe Gewaltvorwürfe gegen Mitarbeiter dieser Sicherheitsfirma gegeben. In einem Asylzentrum im bayerischen Bamberg sollen im Jahr 2019 mehrere Sicherheitsleute von Fair Guards Security einen Mann, der sein Mittagessen nach seinen kulturellen Gewohnheiten sitzend am Boden der Kantine einnehmen wollte, nach draußen gebracht haben. Nach Informationen des Bayerischen Rundfunks sind die Ermittlungen gegen die Bamberger Sicherheitsmitarbeiter im Januar 2021 jedoch aus Mangel an Beweisen eingestellt worden.
Dennoch gab es schwere Kritik: Die Firma sei für den Einsatz in einem Flüchtlingslager nicht geeignet, das Verhalten ihrer Mitarbeiter zeuge von Machtmissbrauch und menschenverachtender Repression, so Katharina Grote vom Bayerischen Flüchtlingsrat.
Strenge Zulassungsvoraussetzungen?
Für Stefan Ketterer, Geschäftsführer von Fair Guards Security, haben sich die Anschuldigungen als völlig falsch herausgestellt und seien im Rahmen der Ausschreibung für die LEA Sigmaringen auch nochmals überprüft worden.
Laut Katrin Rochner vom Regierungspräsidium Tübingen schreibt dieses den Auftrag für die Bewachung der LEA Sigmaringen regelmäßig aus. Die hessische Sicherheitsfirma Fair Guards Security sei mit „größter Sorgfalt“ ausgewählt worden und könne sein Personal selbständig rekrutieren. „Allerdings müssen sämtliche Mitarbeiter über einen Sachkundenachweis nach Paragraf 34a der Gewerbeordnung verfügen und vor Dienstantritt beim Regierungspräsidium zur Zuverlässigkeitsprüfung angemeldet werden“, so Rochner.
Wer in den vergangenen fünf Jahren wegen vorsätzlicher Körperverletzung, Menschenhandel oder Erpressung verurteilt wurde, wird als nicht zuverlässig eingestuft und muss ohne Job im Sicherheitsdienst bleiben.

„Können nicht in Köpfe gucken“
Der wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe auf ukrainische Kinder nun inhaftierte Sicherheitsmitarbeiter war laut Regierungspräsidium sicherheitsüberprüft und besaß ein einwandfreies Führungszeugnis.
Der 24-Jährige sei erst seit kurzem in seiner Sicherheitsfirma beschäftigt und zuvor noch nie auffällig gewesen, sagt Stefan Ketterer, Geschäftsführer der in Sigmaringen und Meßstetten eingesetzten Fair Guards Securityfirma dem SÜDKURIER. „Wir können denen nicht in die Köpfe gucken und haben rechtlich keine Möglichkeit etwas zu machen, wenn die etwas privat konsumieren oder unter starkem Medikamenteneinfluss stehen – damit müssen wir leben“, so Ketterer.
Regierungspräsidium prüft Zusammenarbeit
Aufgrund dieses dritten Vorfalls prüft das Regierungspräsidium Tübingen derzeit die weitere Zusammenarbeit mit dem in den beiden Einrichtungen beauftragten Sicherheitsunternehmen und betont, dass die Tätigkeit von Securities häufig konfliktbelastet sei.
Jedoch haben habe man alle denkbaren Vorkehrungen getroffen, um Übergriffe des Wachpersonals zu verhindern, so die Sprecherin des Regierungspräsidium. „Fehlverhalten einzelner Mitarbeitender wird konsequent geahndet“, so Rochner.
1000 Geflüchtete aus 43 Nationen in Sigmaringen
Das bestätigt auch Stefan Ketterer von der betroffenen Sicherheitsfirma Fair Guards Security. „Egal bei welchem Fehlverhalten – wir ziehen da sofort die Reißleine und trennen uns von solchen Mitarbeitern sofort – es gibt null Toleranz“, sagt Ketterer.
Er erzählt von mehreren verletzten Sicherheitsmännern nach der Revolte in der LEA Sigmaringen. Dort leben derzeit rund 1000 Geflüchtete aus 43 Nationen oft auf engstem Raum zusammen, davon etwa 280 Ukrainer. „Häufig müssen sie sich ein Zimmer mit anderen Bewohnern teilen, die sie vorher nicht kannten. Diese Umstände führen gelegentlich zu Konfliktsituationen, in denen allein reisende junge Männer aus afrikanischen Staaten überrepräsentiert sind“, erklärt Katrin Rochner vom Regierungspräsidium Tübingen.

Mit Ast auf Hinterkopf geschlagen
Wie sehr diese schwierigen Lebensumstände ausarten können, zeigt ein weiterer aktueller Vorfall vom Montagabend, 16. Mai: Zwei Bewohner der LEA Sigmaringen geraten außerhalb der Einrichtung miteinander in Streit. Der 20-Jährige schlägt seinen neun Jahre älteren Widersacher mit der flachen Hand ins Gesicht. Es kommt zur Rangelei, mehrere Zeugen versuchen die Streithähne zu trennen. Schließlich soll der alkoholisierte 29-Jährige zu einem Ast gegriffen und dem 20-Jährigen damit auf den Hinterkopf geschlagen haben. Dessen Platzwunde muss der Rettungsdienst versorgen, die Polizei nimmt den Verursacher kurzzeitig in Gewahrsam.
Wenige Stunde später, gegen 0.30 Uhr, sorgt der 29-Jährige auf dem Gelände der LEA Sigmaringen erneut für Streit. Wieder muss die Polizei ausrücken, diesmal verbringt der Mann die Nacht in einer Zelle im Polizeirevier Sigmaringen. Nun erwarten ihn Anzeigen wegen Körperverletzungsdelikten an die Staatsanwaltschaft.
Keine Häufung?
Zwar stechen die vier geschilderten Fälle auch für das Polizeipräsidium Ravensburg aus dem Alltagsgeschehen heraus. Dennoch könne man davon keine besondere Häufung ableiten. „Wir haben aufs Jahr gesehen immer wieder Phasen, in denen es zu mehreren Auseinandersetzungen in der LEA Sigmaringen kommt und dann wieder ruhiger ist“, sagt Christian Sugg vom Ravensburger Polizeipräsidium. Dieses betreibt eine eigene Wache auf dem LEA-Gelände in Sigmaringen, um die dauerhafte Präsenz von Polizeibeamten sicherzustellen.