Herr Binder, während in der SPD die Abstimmung über den schwarz-roten Koalitionsvertrag für die nächste Bundesregierung läuft, hat sich der Juso-Landesvorstand dagegen ausgesprochen. Hat Sie das überrascht?
Binder: Mich überrascht ein solcher Vorstandsbeschluss. Wir machen schließlich ein Mitgliedervotum. Jedes Mitglied entscheidet eigenständig über den Koalitionsvertrag. Das ist ja genau der Sinn und Zweck eines Mitgliederentscheids.
Wie nehmen Sie die Stimmung in der Südwest-SPD insgesamt wahr?
Ich nehme sie überwiegend positiv wahr, weil jeder in der Partei weiß, dass wir uns an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch mehr gewünscht haben, aber insgesamt ein ganz guter Verhandlungserfolg vorliegt. Vor allem aber, weil allen klar ist, dass diese Koalition notwendig ist, um in die Zukunft zu investieren.
Die SPD hat im Wahlkampf stark auf soziale Gerechtigkeit gesetzt. Wie schlägt sich das im Koalitionsvertrag nieder?
Das Halten des Rentenniveaus ein wichtiges Signal für die Rentnerinnen und Rentner, aber auch für die junge Generation, die damit Sicherheit bekommt. Wir haben auch deutlich gemacht, dass wir in Bildung und damit in Bildungsgerechtigkeit investieren wollen. Dazu dient auch das kostenlose Mittagessen an Schulen, das ist eine Entlastung von vielen Familien im Land.
In Ihrer Partei gibt es Diskussionen um die Vorsitzende Saskia Esken. Selbst in ihrer Heimatregion wird nicht nur verlangt, dass sie das Amt abgeben soll, auch ein Ausweg als Ministerin soll ihr verbaut werden. Können Sie das nachvollziehen?
Ich kann bestätigen, dass es große Kritik gibt und große Teile der Partei diese Kritik auch teilen. Kabinettsposten müssen an diejenigen gegeben werden, die ein großes Vertrauen innerhalb der Partei haben, aber vor allem auch bei den Menschen draußen. Wir haben sieben Kabinettsposten. Ich gebe Saskia Esken Recht, dass vier davon an Frauen gehen sollen. Aber dann geht es danach, wer sind die vier Besten? Und darunter sehe ich Saskia Esken nicht.
Können Sie den Wunsch verstehen, dass die Namen derjenigen, die die SPD für ministrabel hält, vor der Abstimmung hätten bekannt sein sollen?
Zunächst einmal wird jetzt über Inhalte abgestimmt, da teile ich die Auffassung der Parteiführung. Ich nehme aber zur Kenntnis, dass die Einzige, die gerade über Kabinettsposten diskutiert, Saskia Esken selbst ist. Das sollte sie nicht tun. Wir brauchen am Ende eine Mannschaft, die ein klares Bild nach vorne abgibt. Auch für die vielen engagierten Mitglieder müssen es Leute sein, auf die sie stolz sein können und die sie nicht ständig verteidigen müssen.
Eskens männlicher Co-Chef, Lars Klingbeil, steht nach dem historisch schlechten Ergebnis nicht infrage, sondern hat sich den Fraktionsvorsitz gesichert und wird als Vizekanzler gehandelt. Unterschiedliche Maßstäbe oder unterschiedliche Qualität?
Ich glaube, dass diejenigen, die das gerade bewerten, klar sehen, dass es auch bei Parteivorsitzenden Unterschiede gibt. Lars Klingbeil hat sicher auch den ein oder anderen Fehler begangen. Sicher hat er die Kanzlerkandidaturen-Frage zu lange laufen lassen. Aber es wurde auch in den letzten Wochen deutlich, dass Lars Klingbeil ein starker Parteivorsitzender, auch derzeit ein starker Fraktionsvorsitzender ist. Ich kenne kaum jemanden in der Partei, der gerade sagt, Lars Klingbeil muss aufhören. Im Gegenteil: Das Vertrauen in Lars Klingbeil ist in den letzten Wochen und Monaten stark gestiegen.
Wen aus Baden-Württemberg sehen Sie künftig in Führungsverantwortung, an der Parteispitze und im Kabinett?
Es gibt viele Jüngere und Erfahrene in der Bundestagsfraktion, sicherlich auch aus Baden-Württemberg. Am Ende geht es nicht nur darum, wo jemand herkommt, sondern wo jemand hin will und was er dafür mitbringt. Das kann man an Boris Pistorius sehen: Manchmal macht es auch Sinn, mal zu schauen, wer bereits in den Ländern Verantwortung übernommen hat. Da kann das eine oder andere an Überraschungen sicherlich dabei sein.
Versuchen Sie gerade, Ihren Landeschef Andreas Stoch wegzuloben? Der war immerhin mal Kultusminister.
Quatsch. Wir geben Andreas Stoch nicht her. Er wird uns als Spitzenkandidat erfolgreich in den Landtagswahlkampf führen. Im Gegensatz zu Manuel Hagel und Cem Özdemir ist Stoch der Einzige, der schon einmal Verantwortung im Landeskabinett getragen hat und weiß, wie wir im Land wieder auf die Erfolgsspur kommen.