Wie stressig waren die vergangenen Wochen? Konnten Sie noch Ihre Joggingroutine durchhalten?
Thorsten Frei: Am Ende der Koalitionsverhandlungen musste ich mein Sportprogramm schweren Herzens streichen, weil die Nächte zu kurz waren. Das war eine enorm herausfordernde Zeit.
Wie viele Stunden sind das, die man dabei so verbringt?
Frei: Das ging von morgens bis spätabends. Neben den eigentlichen Koalitionsverhandlungen mit der SPD gibt es die Vorbesprechungen, die Nachbesprechungen im Kreis der Verhandler, aber auch viele Rückkopplungsgespräche, die man mit Fachpolitikern führt. Das beginnt sehr früh am Morgen und endet in der Regel immer erst deutlich nach Mitternacht.
Wird das eigentlich im Kanzleramt besser, diese zeitliche Belastung?
Frei: Regieren ist etwas sehr Anspruchsvolles. Der Kanzleramtsminister koordiniert die Arbeit der Ministerien. Das bedeutet, er beschäftigt sich im Regelfall mit Problemen zwischen den Ressorts. Wer auch immer dieses Amt bekleiden wird: In den klassischen Bürozeiten allein ist diese Aufgabe nicht zu bewältigen.
Um gut zu regieren, braucht der künftige Kanzler Merz eine absolute Vertrauensperson auf diesem entscheidenden Posten Bundeskanzleramtsminister. Wie gut ist Ihr Verhältnis zu Friedrich Merz?
Frei: Der zukünftige Bundeskanzler braucht an verschiedenen Schaltstellen Personen seines Vertrauens. Ich persönlich habe in den vergangenen dreieinhalb Jahren sehr eng mit Friedrich Merz an der Spitze der Fraktion zusammengearbeitet. Ich kann daher sagen, dass wir ein absolutes Vertrauensverhältnis haben – und das beinhaltet eben auch, dass wir sehr offen miteinander umgehen und auch Kritik offen äußern.
Wer schimpft dann mit wem?
Frei (lacht): Schimpfen müssen wir wechselseitig nicht.
Merz redet gerne Tacheles, auch in Talkshows. Manchmal plaudert er vielleicht schon zu viel aus. Müssen Sie ihn bremsen?
Frei: Friedrich Merz ist ein sehr authentischer Politiker. Und ich bin mir ganz sicher, dass das etwas ist, was die Menschen schätzen. Er ist keiner, der um den heißen Brei herumredet.
Wenn man sich mit ihm unterhalten hat, weiß man hinterher sehr genau, was seine Position ist. Ich kenne auch viele Politiker, bei denen muss man zwei, drei Mal nachfragen und dann hat man mitunter allenfalls eine Ahnung.
Merz hat zuletzt mehrfach damit überrascht, dass er Positionen über Bord geworfen hat, nicht zuletzt seine Haltung zur Schuldenbremse. Tut er sich damit einen Gefallen?
Frei: Wenn sich die Sachlage fundamental verändert, muss man in der Lage sein, neue Antworten darauf zu finden. Richtig ist aber auch, dass man grundlegende Veränderungen immer kommunikativ begleiten muss.
Ein Phänomen, das man in der Politik häufig beobachtet, ist, dass man sehr tief in den Themen drinsteckt und deswegen glaubt, dass alle anderen den eingeschlagenen Wegnachvollziehen könnten. Das ist häufig eine Fehlannahme.
Die neuen Rahmenbedingungen wurden nach J.D. Vance‘ Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz klar. Aber hätte man das nicht ahnen können?
Frei: Was die Grundlinien anbelangt, haben Sie recht. Donald Trump ist nicht der erste amerikanische Präsident, der sich von Europa wegbewegt. Aber dass ein amerikanischer Vizepräsident in München seine Zuhörer über Demokratie belehrt, hat es noch nie gegeben.
Und die Ereignisse im Oval Office mit Selenskyj haben deutlich gemacht, dass das nicht nur ein perspektivischer Prozess ist, sondern dass wir sehr viel schneller, sehr viel substanzieller unsere Verteidigungsfähigkeit herstellen und eine Antwort finden müssen.

Der Koalitionsvertrag steht. Nach den Äußerungen der vergangenen Tage hat man aber den Eindruck, ganz so fix ist er nicht, weil über allem steht der Finanzierungsvorbehalt. Kann man sich noch auf irgendwas verlassen?
Frei: Ja, das kann man. Allerdings glauben manche, dass durch die Ausnahme für die Verteidigungsausgaben von der Schuldenbremse und das „Sondervermögen Infrastruktur“ die finanziellen Herausforderungen gelöst wären. Das sind sie aber für den Bundeshaushalt nicht, und das ist auch richtig so.
Wir wollen nicht, dass man alle Investitionen allein aus dem Sondervermögen bestreitet. Deswegen haben wir nach wie vor einen hohen Druck auf den Bundeshaushalt. Zugleich haben wir uns in den Koalitionsverhandlungen entschieden, dass wir keine Steuererhöhungen vornehmen. Alles andere wäre falsch und Gift für die Wirtschaft.
Und dann hat man zwei Möglichkeiten. Die eine Möglichkeit ist, wir müssen im Haushalt sparen. Wir haben eine knapp dreistellige Milliardensumme an Einsparungen über die Legislaturperiode vorgesehen. Unsere Politik ist auf der anderen Seite natürlich auch darauf ausgelegt, dass wir aus der Rezessionsspirale rauskommen, dass die Wirtschaft wieder wächst und dass dieses Wachstum uns auf der Einnahmenseite wieder Spielräume eröffnet.
Aber das muss dann auch kommen, damit Dinge finanzierbar sind, wie zum Beispiel eine Mütterrente?
Frei: Die Mütterrente ist fest vereinbart. Darüber hinaus wird im Koalitionsvertrag differenziert. Manche Vorhaben werden wir nur realisieren können, wenn wir weitere Einsparungen im Bundeshaushalt vornehmen und respektive die Wirtschaft wieder wächst.
Wobei man ganz ehrlich sagen muss: Wir sind derzeit in einer Rezession, wie wir sie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland noch nie erlebt haben. Das wird absehbar dazu führen, dass die Steuereinnahmen rückläufig sind.
Wir leben in einer alternden Gesellschaft. Wenn die Wirtschaft gleichzeitig schrumpft, werden wir uns manche soziale Wohltat, die wir heute haben, womöglich nicht mehr leisten können.
Trotzdem hat man das Gefühl, dass dann doch jeder Koalitionspartner ein bisschen was von seinem Wunschprogramm bekommt. Da sind auch Dinge drin, die nicht unbedingt in den Sparhaushalt passen oder zu diesen ernsten Zeiten. Was die CSU alles durchgedrückt hat...
Frei: In diesem Zusammenhang wird oft auf die dauerhafte Absenkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie auf sieben Prozent verwiesen.
Ich finde, das Thema können wir bei uns daheim direkt vor der Haustür mit den Händen greifen: Wir leben in einer wunderbaren touristischen Region, egal ob es der Bodensee ist oder der Schwarzwald. Und wir haben hier wichtige Tourismusdestinationen, die im Wettbewerb mit anderen europäischen Destinationen stehen.
Es ist eine existenzielle Frage für die Tourismusbetriebe, ob sie in der Lage sind, so viele Überschüsse zu erwirtschaften, dass sie regelmäßig in die Infrastruktur investieren können.

Wo profitiert die Region noch vom Koalitionsvertrag?
Frei: Wir zeichnen uns dadurch aus, dass wir, was es gar nicht so häufig gibt in Deutschland, ein wirtschaftsstarker ländlicher Raum sind. Die Entlastung bei den Energiekosten ist für die Unternehmen essenziell. Und wir haben natürlich bestimmte spezifische Interessen, wenn man bedenkt, dass bei uns vor allen Dingen der Anlagenmaschinenbau sehr stark ist, aber auch die Automobilzulieferer in unterschiedlichsten Bereichen von zentraler Bedeutung sind.
Deswegen ist das Bekenntnis zum Automobilstandort Deutschland und zu seiner internationalen Wettbewerbsfähigkeit für unsere Region von herausragender Bedeutung. Wir haben allen Bemühungen widerstanden, dass es im Bereich der Erbschaftssteuer Veränderungen gibt, insbesondere im Hinblick auf die Verschonungsregeln.
Das ist hoch relevant für die starken Familienunternehmen, die es bei uns in der Region zahlreich gibt und die nicht aufgrund steuerrechtlicher Erfordernisse zur Disposition stehen sollen.
Kann die CDU im Bereich Asylpolitik liefern, wo Sie die gedankliche Vorarbeit geleistet haben. Wird sich denn substanziell was verändern im Vergleich zum jetzigen Zustand? Auch heute gibt es ja schon Kontrollen.
Frei: Die Migrationspolitik wird sich deutlich verändern. Wir werden die Grenzkontrollen weiterführen und intensivieren, sie sind zwingende Voraussetzung für Zurückweisungen.
Für die Zurückweisungen wird der zukünftige Innenminister den richtigen rechtlichen Hebel finden. In Abstimmung mit unseren Nachbarn, wobei ich in diesem Zusammenhang keine Schwierigkeiten erwarte. Mit einer anderen Migrationspolitik reihen wir uns wieder bei unseren europäischen Partnern ein.
Wir werden eine Politik betreiben, wie sie im Grunde genommen alle anderen europäischen Länder heute schon machen. Wenn wir mit internationalen Partnern über unseren neuen Kurs sprechen, dann ernten wir Zustimmung.
Aus der Schweiz kommt keine Zustimmung.
Frei: Die Schweiz dringt auf die Einhaltung europäischen Rechts. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Wir werden nicht europäisches Recht brechen. Ehrlicherweise muss man sagen, dass die Zusammenarbeit mit der Schweiz schon heute gut funktioniert. In diesem Bereich gibt es keine unüberwindbaren Hindernisse.
Ich bin davon überzeugt, dass man zu einem fairen Interessenausgleich kommen kann. Aber es geht uns nicht nur um Zurückweisungen, man muss das Gesamtkonzept der Maßnahmen sehen: Dazu gehört ein Ausreisearrest, und die Beendigung der freiwilligen Aufnahmeprogramme, solange die illegale Migration nicht gestoppt ist.
Wir werden Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan durchsetzen. Und einiges mehr.
Bis wann erwarten Sie ein spürbares Ergebnis?
Frei: Wir müssen unmittelbar handeln. Das CSU-geführte Innenministerium wird unsere Politik konsequent umsetzen. Ich bin sicher, dass der neue Innenminister oder die neue Innenministerin bereit sein wird, rasch voranzugehen.
Ich glaube, es war auf dieses Thema gemünzt, dass Pistorius über Sie gesagt haben soll, Sie hätten kein Gewissen. Trifft Sie sowas?
Frei: Es hat mich schon etwas verwundert, zumal er mir in den Verhandlungen das Du angeboten hat. Seine Einlassung fiel in einer Fraktionssitzung, und er musste in einem solch großen Kreis damit rechnen, dass sie publik werden würde.
Zudem habe ich unsere Begegnungen anders wahrgenommen. Mit Boris Pistorius für die SPD und mit Alexander Dobrindt für die CSU habe ich den ganzen Komplex Innen- und Rechtspolitik sowie Migration verhandelt. In diesem Zusammenhang ist diese Äußerung gefallen.
Mit Pistorius habe ich auch den Bereich Außen- und Verteidigungspolitik verhandelt. Und ich habe diese Gespräche in einer sehr positiven Erinnerung – sie waren geprägt von einem hohen fachlichen Niveau, Pragmatismus und freundlich im Ton. Auch wenn wir unterschiedliche Positionen hatten. Kurz gesagt: Da ist nichts hängen geblieben.
Wir haben uns ausgesprochen, und wir können über alle Themen unbefangen reden. Es geht nicht um meine persönliche Befindlichkeit, sondern darum, eine große Aufgabe im besten Sinne unseres Landes zu erledigen.