Politiker beklagen sich in schöner Regelmäßigkeit darüber, dass über ihr Handeln vorschnell geurteilt wird. Dass ihnen kaum Zeit bleibt, eine Entscheidung mal in aller Ruhe zu erläutern oder sich irgendwer die Mühe macht, einen größeren Kontext herzustellen. Urteil, Fallbeil, Zack, nächstes Thema.
Das ist tatsächlich ein bedauernswertes Phänomen und es wird dadurch noch schlimmer, dass es ausgerechnet Politiker sind, die immer wieder diesem eigentlich beklagenswerten Reflex erliegen und verbal wüten, anstatt durchzuatmen. So wie in dieser Woche.
Zeichen gegen Politik Netanjahus
Bundeskanzler Friedrich Merz hatte verkündet, Waffenlieferungen an Israel zumindest in Teilen auszusetzen. Um ein Zeichen zu setzen gegen das Aushungern und Sterben im Gaza-Streifen. Mehr ist mit dieser Ankündigung des Kanzlers auch gar nicht drin, das Sterben wird jedenfalls nicht deshalb enden, weil aus Deutschland ein paar Waffensysteme weniger in den Nahen Osten geliefert werden.
Die Arsenale und Waffenkammern der Israelis sind voll. Aber ein Zeichen gegen die entfesselte Politik des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu sollte es sein.
Israel hat jedes Recht, sich selbst zu verteidigen
Nur, dass wir uns nicht falsch verstehen: Der Auslöser dieses Krieges war der 7. Oktober 2023, der barbarische Überfall der Hamas auf israelische Zivilisten mit mehr als 1100 Toten und mehr als 200 Verschleppten. Ein Vernichtungsfeldzug, wie ihn niemand für möglich gehalten hatte.
Israel hat jedes Recht der Welt, sich selbst zu verteidigen. Und das Ziel, eine Terrororganisation zu zerstören, die ihrerseits die Auslöschung Israels als Vorsatz hat, ist mindestens nachvollziehbar.
Aber sind dafür alle, aber auch wirklich alle Mittel legitim, recht und billig? Wer diese Frage in demokratischen Gefügen nicht stellt, verrät den Humanismus, dem sich unsere Gesellschaften verpflichtet haben. Und im übertragenen Sinne hat Friedrich Merz diese Frage in eine ganz konkrete Handlung übersetzt, dem teilweise Aussetzen von Waffenlieferungen eben.
Auf Israels Straßen regt sich Protest
Merz wird Israel und sein Volk weiter unterstützen, daran lässt er keinen Zweifel. Aber eben nicht die israelische Regierung, die ihre Ziele aus verschiedenen Gründen hart definiert. Merz, so heißt es in Berlin, hat genug davon, dass Netanjahu immer wieder zusagt, dass mehr Hilfe nach Gaza gelangen kann – dann aber doch kaum etwas passiert. Und im Übrigen regt sich auch auf Israels Straßen mehr und mehr Protest.
Merz ist Kanzler. Er ist Regierungschef. Er hat gehandelt. Das ist weder Verrat an der Staatsräson gegenüber Israel, noch das Einläuten einer Entwaffnung des Landes, wie es Botschafter Ron Prosor durch die Blume bei Spiegel Online durchschimmern ließ. Man muss nicht der gleichen Auffassung wie der Kanzler sein, man darf und muss ihn kritisieren. Aber ihm zu unterstellen, Israel bewusst in den Rücken zu fallen, ist boshaft. Ausgerechnet Friedrich Merz. Undenkbar.
Merz muss besser kommunizieren
Der Grund, warum so viele Politiker aus der eigenen Partei und vom Koalitionspartner den Kanzler reflexhaft scharf angegangen sind, ist wohl eher darin zu suchen, dass sie in die Entscheidung nicht eingebunden waren.
Das schmeckt bei Vorgängen dieser Tragweite keinem Partner und es kränkt die Eitelkeiten der politisch Mächtigen. Es ging also vermutlich weniger um die Sache selbst als um die Form der Kommunikation. Oder eben der nicht vorhandenen Kommunikation.
Merz hat die Folgen unterschätzt
Friedrich Merz hat die Wucht der Folgen wiederholt unterschätzt. Natürlich darf und soll ein Kanzler einsame Entscheidungen treffen dürfen. Wer davon allerdings zu häufig Gebrauch macht, verprellt enge Weggefährten und zerstört Vertrauen in die Absicht, wirklich und im Wortsinn gemeinsam regieren zu wollen.
Merz ist offenkundig zu sehr von seinen eigenen Überzeugungen eingenommen und schätzt die Stimmung in seiner eigenen Fraktion und der des Koalitionspartners falsch ein. Und der Preis dafür ist hoch.
Regierung wirkt zerstritten
Denn nicht nur, dass die neue Regierung rund 100 Tage nach dem Start bei wichtigen Fragen zerstritten wirkt. Mehr noch schmerzt der Umstand, dass politische Entscheidungsträger durch das Übergangenwerden geradezu herausgefordert sind, ihre Meinung schnell und lautstark auf den Markt zu tragen.
Damit überhitzen Meinung und Meinungsmache ganz automatisch. Etwas, was Politiker vorschnellen Journalisten beispielsweise zu Recht vorwerfen. Aber wie heißt es so schön: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Merz muss das künftig besser einkalkulieren.