Herr Lucha, es gab ja eine Phase in Ihrer Amtszeit, da hat man sich schon ein wenig Sorgen um Sie gemacht. War der Job gesundheitsgefährdend in der Corona-Pandemie?
Manfred Lucha: Der Job hat einfach gezehrt, auch an der Wampe. Und ich schaute dann im Gesicht immer schlechter aus.
Waren Sie da persönlich mal am Rand der Belastbarkeit?
Lucha: So habe ich es nicht empfunden. Meinen Medizinmann, der mich begleitet, den haben die Leute gelegentlich gefragt, ob ich Krebs hätte. Der hat dann immer gesagt: Weißt du, der muss jetzt das erste Mal in seinem Leben was Gescheites schaffen. (Lacht) Nein, ich habe das mit Haut und Haaren gemacht. Und es war ja auch objektiv schwierig. Es ging an die Substanz, weil die permanente Polarisierung anstrengend ist.
In der Zeit standen Minister mit Ihrem Ressortzuschnitt am meisten im Feuer. Wer hat Ihnen da Rückendeckung gegeben?
Lucha: Tatsächlich der Ministerpräsident. Und dann – das dürfen Sie nicht unterschätzen – waren da mein Ministerium, die Fachleute, die Gesundheitsämter, also all die, die die Augen offen gehalten haben, faktisch, epidemiologisch, aber auch strategisch und juristisch. Auch bei meinem Team ging diese Zeit an die Substanz, es gab Burnout-Fälle.
Ich hatte außerdem ein außergewöhnlich gutes, vertrauensvolles Verhältnis zum damaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Und am Ende, wie gesagt, der Ministerpräsident. Auf den konnte ich mich immer verlassen. Und er sich auf mich. Natürlich haben wir auch ab und zu unter vier Augen über Dinge geschwätzt, die mich schlecht haben schlafen lassen.
Bedauern Sie im Nachhinein irgendeine Entscheidung?
Lucha: Natürlich kann man Dinge bedauern. Ich wüsste aber nicht, was ich mit dem Wissen von damals heute anders machen würde. Mit dem Wissen von heute würden wir mit Schulschließungen anders umgehen. Im Abwägungsprozess würde ich heute sagen: Die sozialen Aspekte sind wichtiger als die Mobilität des Virus!
Sie haben gerade die gute Zusammenarbeit mit Jens Spahn betont. Der frühere Bundesgesundheitsminister muss sich aktuell heftiger Vorwürfe erwehren wegen seiner Maskenbeschaffung. Stehen Sie da auch hinter ihm?
Lucha: Minister Spahn wurde damals in Sachen Maskenbeschaffung nicht aktiv, weil er das wollte, sondern weil die Bundeswehr oder andere mit Katastrophenschutz befasste Ministerien nicht geliefert haben. Da musste er hemdsärmelig rangehen. Jetzt heißt es ja, er habe gegen den Rat der Fachabteilung gehandelt. Also jetzt sag‘ ich Ihnen mal was: Wenn man alles, was Ministerialbürokratien vorschreiben, in einer noch nie dagewesenen globalen Krisensituation haarklein einhält, dann hätten wir heute noch keine Maske.
Natürlich war das schwierig damals. Ich selber habe die ganzen Osterfeiertage mit unserem Disponenten in Shanghai telefoniert. Auch ich erhielt jeden Tag hunderte Mails, von Fraktionskollegen, Regierungen, Händlern. Hey, das war explosiv, und in so einer Lage musste der Kollege Spahn schnell Entscheidungen treffen. Der konnte nicht warten, bis die monatelangen Abwägungsprozesse abgeschlossen waren.
Warum er jetzt so angegriffen wird? Das hat vielleicht auch damit zu tun, dass er nach seiner Zeit als Minister wieder zum Wadlbeißer wurde. So wie man in den Wald hineinschreit... Ich behaupte, er war in der Zeit als Gesundheitsminister liberaler, offener. Er hat gesehen, wie notwendig im Pflege- und Gesundheitsbereich eine offene Gesellschaft ist. Dass wir ohne Geflüchtete und migrantische Menschen die Versorgung der Patienten gar nicht stemmen können. Er ist ja schlau genug, das zu erkennen.

Wären wir heute für so eine Pandemie besser gerüstet?
Lucha: Ja.
Was macht Sie da zuversichtlich? So dysfunktional wie unser Land oft wirkt.
Lucha: Erstmal sind wir digital besser aufgestellt. Wir haben jetzt einen digitalisierten öffentlichen Gesundheitsdienst. Es gibt bei uns keine Faxe mehr. Infektionsmeldungen erreichen uns viel schneller.
Was persönliche Schutzausrüstung betrifft, haben wir jetzt rollierende Systeme für Krisen. Kittel, Handschuhe, Masken oder Desinfektionsmittel lagern wir immer nur so lange, dass sie uns nicht zu alt werden. Gemeinsam mit unseren großen Unikliniken machen wir immer ein Vierteljahr Vorhaltung und ersetzen das, was die in Verkehr bringen, immer wieder neu.
Wir haben virologisch und epidemiologisch einiges dazugelernt, haben Medikamente weiterentwickelt. Und nicht zuletzt hat die Pandemie der Impfstoffentwicklung einen enormen Schub gegeben. Diese Solidarität und diese Disziplin, die wir 2020 im ersten Lockdown hatten, die war unglaublich. Die wieder zu erzielen, wird in Zukunft sicher schwieriger werden, weil wir mehr auseinanderdriftende Kräfte in unserer Gesellschaft haben.
Aber wir sind nicht so dysfunktional, wie es scheint. Wir bekommen schon noch was hin. Wir wenden aber zu viel Energie fürs Regulieren auf, für die Ausdifferenzierung in maximale Einzelfallgerechtigkeit. Wenn ich durch eine kleine Gesetzesnovelle beim Wohn-, Teilhabe- und Pflegegesetz wirklich mal konkret Bürokratie abbauen möchte, hagelt es gleich Vorwürfe.
Kriegt man diese Überregulierung überhaupt raus aus Deutschland?
Lucha: Ja, wir müssen, weil sonst sind wir am Ende. Wir brauchen diesen Paradigmenwechsel auch in unserer Wahrnehmung. Jeder will, dass wir Regulierung abbauen müssen, aber nur beim jeweils anderen. Und wenn einmal was schiefgeht, dann wird sofort von Generalversagen geredet.
Mein Ansatz ist, Vertrauensgemeinschaften und Verantwortungsgemeinschaften zu bilden, Empowerment (deutsch: Ermächtigung, Anm.d.Red.) zu geben, also die Menschen zu befähigen, zu stärken, sie selbstbewusster und handlungsfähiger zu machen. Ich bin halt auch eine Sozialtante. Hilfe zur Selbsthilfe, das ist mein Verständnis von Staat und Gesellschaft, auch in der Wechselwirkung.
Gehen wir mal zu den konkreten Problemen des Gesundheitssystems heute. Das Defizit der Kliniken wächst und wächst, auch in unserer Region. Sind solche Klinikverbünde kommunal überhaupt wirtschaftlich zu betreiben?
Lucha: Sie müssen es sein. Das ist mein Ziel bei der Krankenhausreform des Bundes: Dass wir am Ende Strukturen geschaffen haben, die passgenau und bedarfsgerecht sind. Und diese Krankenhäuser müssen dann auch die Entgelte erzielen, die man dafür benötigt. Das ist die Aufgabe, an der wir gemeinsam mit der neuen Bundesgesundheitsministerin Nina Warken dran sind. Wir verhandeln gerade die Gelder, das Sofortprogramm des Bundes, die Transformationsmittel.
Und letztendlich ist noch die Frage, wie der berühmte Landesbasisfallwert erhöht wird, damit die Krankenhausträger das Geld bekommen, das sie benötigen. Da sind wir auf dem richtigen Weg. Und Baden-Württemberg hat für diese Reform die besten Voraussetzungen, weil wir heute schon mit Abstand die geringste Bettendichte haben und somit Fehlsteuerung eingedämmt haben.
Wann arbeiten alle Kliniken in Baden-Württemberg kostendeckend?
Lucha: Da komme ich dann zu Ihnen zum Kaffeetrinken. Ich hoffe, in fünf Jahren. In fünf Jahren müssen die Kliniken befähigt sein, kostendeckend zu arbeiten. Das wäre mein Anspruch.
Also in fünf Jahren treffen wir uns. Müssen sich denn die Patienten in Baden-Württemberg darauf einstellen, dass der Weg zum nächsten Krankenhaus immer weiter wird?
Lucha: Nein, wir haben unsere Hausaufgaben im Land nun wirklich gemacht. Da ist alles abgeschlossen. Als ich 2011 Landtagsabgeordneter wurde, haben wir in Baden-Württemberg noch 271 Klinik-Standorte gehabt, jetzt sind wir bei 200. Wir haben unsere Konzentrationsaufgaben erledigt. Die medizinische Grundversorgung muss vor Ort gewährleistet sein. Für Spezialbehandlungen ist es aber zumutbar, auch mal ein paar Kilometer weiter zu fahren.
Was machen Sie eigentlich ab Ende März 2026?
Lucha: Mein letzter Arbeitstag ist sehr wahrscheinlich der 12. Mai. Am 13. Mai wird hoffentlich Cem Özdemir zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Und dann übergebe ich mein Ministerium hoffentlich grünen Nachfolgern.
Und danach?
Lucha: Meine Kinder leben in Oberschwaben und meine Enkel. Da gebe ich auch Family-Support. Meine Mitarbeiterin Anna Wiech ist meine Nachfolgerin als Landtagskandidatin, sie möchte ich natürlich unterstützen. Und auch sonst löse ich mich ja nicht in Luft auf. Ich habe ja Interessen, ich lese leidenschaftlich, ich werde mal wieder wirklich jeden Satz eines Wolf Haas aufnehmen und wirken lassen.
Und dann tu ich echt gerne Radl fahren, sporteln, kochen, geh gern ins Theater. Engagieren ist sicher eine Idee. Mir wird es nicht langweilig werden. Dass ich 2026 aufhören werde, haben meine Frau und ich schon 2021 entschieden.
Ich bin jetzt zehn Jahre Minister und ich gehe mit dem guten Gefühl, etwas geschafft zu haben. Ich habe aus einem früher eher wenig beachteten Katzentisch-Ministerium ein starkes, selbstbewusstes, im besten Sinne Empowerment-Ministerium gemacht. Wir gehen bundesweit bei Gesundheit und Pflege voran, haben gute Integrationsergebnisse, haben 750 Quartiersprojekte ins Leben gerufen. Das ist meine Handschrift. Ich gehe in Dankbarkeit und Demut, aber habe auch das Gefühl: Du hast mit deinem Team was hingekriegt.
Aber gab einen Moment, von dem Sie sagen, den hätte es wirklich nicht gebraucht?
Lucha: Den mit Christoph Sonntag zum Beispiel.
Wegen zwei Einladungen zum Abendessen ermittelte die Staatsanwaltschaft, stellte sie aber wieder ein. Gab es den Moment, von dem Sie sagen würden: Den hab ich irgendwie im Herz abgespeichert? Der ist für immer?
Lucha: Sehr gefreut hat mich das zunehmende Interesse des Ministerpräsidenten an gesundheits- und gesellschaftspolitischen Themen. Er ist ja von Hause aus Biologe. Aber der eine, große, einzigartige Moment, der fällt mir jetzt spontan nicht ein.