„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, hatte Exbundeskanzler Helmut Schmidt einst formuliert. Heute vermissen viele Bürger langfristige Perspektiven in der Politik, Vorstellungen wie die Zukunft im Land, in der Region oder in der Gemeinde dereinst aussehen könnte – beziehungsweise sollte. Da scheint es angemessen, in der diesjährigen Runde der SÜDKURIER-Sommergespräche mit Vertretern der im Markdorfer Gemeinderat vertretenen Parteien und Gruppen einmal nach den Visionen für die nächsten zehn Jahre zu fragen. Wo sollte, könnte Markdorf dann stehen? Wie könnte, sollte es 2035 in der Stadt aussehen? Zum Auftakt gibt es ein Gespräch mit den beiden FDP-Stadträten Rolf Haas und Rainer Zanker.
Eine grüne Lunge für die Innenstadt
„Wir wollen den Grünen und der Umweltgruppe nicht ihre Themen wegnehmen“, erklärt Rolf Haas, „aber wir von der FDP wünschen uns dann eine grüne Lunge mitten in der Stadt.“ Doch meint Haas, so sagt er auf Nachfrage, damit nicht etwa den Marktplatz samt angrenzendem Park, sondern die Bundesstraße, an deren Rändern links und rechts Bäume gepflanzt werden. Zwischen Ravensburg und Meersburg „geht die Deutsche Alleenstraße durch Markdorf – warum nicht auch in der gesamten Innenstadt?“ Voraussetzung dafür aber sei, dass zuvor die Ortsumfahrung fertiggestellt ist, unterstreicht Rolf Haas.
Durchgangsverkehr muss raus aus der Stadt
„Der Durchgangsverkehr muss draußen bleiben“, erklärt Rainer Zanker. Insbesondere die Lastwagen sollen auf der Südumfahrung an der Innenstadt vorbei geleitet werden. Allenfalls der Lieferverkehr soll weiterhin auf der B 33 zu den Geschäften gelangen. Er argumentiert: „Markdorf wächst, der Verkehr nimmt zu, da ist die Ortsumgehung eine verkehrstechnische Notwendigkeit. Und je länger das Projekt hinausgeschoben wird, desto teurer wird es uns kommen.“ Kommen werde es in jedem Falle, so prophezeit Zanker.

Und den Umstieg auf den öffentlichen Personennahverkehr schließt Rolf Haas schlechterdings aus. „Für eine überwiegend ländlich geprägte Region wie die unsere, ist das einfach illusorisch – zumindest auf kurz- und mittelfristige Sicht.“ Im Gegenteil, so vermutet Zanker, werde der Individualverkehr sogar noch zunehmen. Beim Thema Verkehr helfe weder Wünschen noch Wunschdenken, betont Rolf Haas. „Wir sind ja auch für den ÖPNV – und freuen uns, dass das Stadtwerk am See Markdorf inzwischen viel besser ans Busliniennetz angebunden hat – auf die Bodenseegürtelbahn werden wir trotzen noch sehr, sehr lange warten müssen.“
Für Tempo 40 in ganz Markdorf
Ein Herz für Brummi-Fahrer zeigt Rolf Haas. „Ich finde es ein Unding, dass die Lastwagenfahrer nachts kreuz und quer im Gewerbegebiet parken – und es dort überhaupt keine geeignete Infrastruktur gibt: keine Sanitäranlagen, nichts.“ Eine Stadt mit soviel Industrie und Gewerbebetrieben wie Markdorf sollte sich entschieden besser auf die Lieferlogistik einstellen, findet Haas. Auf Markdorfs Straßen wuchere derzeit ein Riesenschilderwald. Den müsse man dringend lichten. Zum Beispiel durch eine einheitliche Tempo-40-Zone für die gesamte Innenstadt – vom Ortseingangsschild bis zum Ortsausgangsschild.

Mehr Dialog mit der Wirtschaft!
Die Zukunft Markdorfs hänge laut den FDP-Stadträten auch von der finanziellen Situation der Stadt ab. Davon, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Davon, wie es mit den Zahlern der Gewerbesteuern weitergeht, jener Haupteinnahmequelle der Kommune, betont Rolf Haas. Und da sehe er derzeit eher düstere Wolken am Horizont. „Wenn sich große Unternehmen hier in der Stadt umstrukturieren müssen, bedeutet das nichts Gutes für den Wirtschaftsstandort.“
Nein, an den überall greifenden Problemen, verursacht durch Kostensteigerungen, durch Konjunktureinbrüche, durch Absatzkrisen, könne auf lokaler Ebene nicht viel geändert werden, räumt Haas ein. „Aber ich finde, unser Bürgermeister könnte mehr tun.“ Er beteuere zwar immer, er würde auf die Wirtschaft zugehen, so der FDP-Stadtrat, „doch ich sehe nicht viel davon“.

Für eine aktivere Standortpolitik
Es beginne bereits im Kleinen. „Nehmen wir die drei Parkplätze, die für die Bushaltestelle Untertor geopfert werden“, schlägt Rainer Zanker vor. Für die Metzgerei auf der anderen Straßenseite bringe der Bushalt ein Weniger an Kunden, weil die nicht mehr zum Wursteinkauf kurz anhalten können, sondern ganz wo anders parken müssen. Für Rainer Zanker wie für Rolf Haas sei dies ein Beispiel für fehlende Rücksicht auf die Bedürfnisse des örtlichen Einzelhandels. Und wieder räumen sie ebenfalls ein, dass sich allgemeine Trends, hier der Strukturwandel, in den Innenstädten kaum aufhalten lassen.

Gleichwohl hoffen beide Stadträte, dass sich durch eine aktivere Standortpolitik bis 2035 neue Geschäfte in die Innenstadt holen lassen. „Dass die Markdorfer Innenstadt für Einzelhändler attraktiv sein kann, zeigt ja der Fahrradladen in der Marktstraße“, erklärt Rolf Haas. Die FDP schlage deshalb vor, für Neugründer finanzielle Anreize zu schaffen, ihnen etwa bei der Gewerbesteuer entgegenzukommen. „Damit erfinden wir das Rad nicht neu“, meint Haas, „woanders funktioniert das schließlich auch.“
Für mehr Investitionen in die Infrastruktur

Rolf Haas und Rainer Zanker hoffen beide, dass sich der Abwärtstrend, in der sich die Stadt aus ihrer Sicht befindet, bis 2035 wieder umkehren lässt. „Wir haben ein Problem mit unserem Stromnetz – im Winter kommt es zu Stromausfällen, die erheblichen wirtschaftlichen Schaden anrichten. Was wir brauchen, das ist eine funktionierende Infrastruktur.“ Investiert werde aber in Schulen – „in eine dritte Grundschule im Süden der Stadt, von deren Notwendigkeit ich alles andere als überzeugt bin“, erklärt Rolf Haas.