Der Kanzler ist im Urlaub, wenn am Donnerstag seine ersten 100 Tage an der Spitze der schwarz-roten Regierung vorüber sind. Nach der gescheiterten Richterwahl im Bundestag räumte auch Friedrich Merz ein, dass es in einigen Bereichen Nachbesserungsbedarf in der schwarz-roten Regierungskoalition gibt. Wie Experten die Zwischenbilanz des CDU-Kanzlers bewerten:

Was hat Merz versprochen?

Vor seinem Amtsantritt versprach Merz eine Regierung, „die entschlossen ist, Deutschland mit Reformen und Investitionen nach vorne zu bringen“. Er kündigte einen „Politikwechsel“ in der Wirtschafts-, Migrations- und Außenpolitik an. Die Bürgerinnen und Bürger sollten „schon im Sommer spüren: Hier verändert sich etwas zum Besseren.“

Wie ist Merz‘ Bilanz in der Außenpolitik?

Merz sei in der Außenpolitik im Vergleich zu seinem SPD-Vorgänger Olaf Scholz „deutlich erfolgreicher, weil er sichtbarer ist, weil er kommunikativer ist, weil er selbst auch die Initiative ergreift“, sagte der Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel. Dies berge aber auch Gefahr, „Fehler zu machen“. Schröder verweist auf das letztlich folgenlose „Ultimatum“ an Präsident Wladimir Putin im Ukraine-Konflikt zu Beginn von Merz‘ Amtszeit.

US-Präsident Donald Trump (r) empfängt Bundeskanzler Friedrich Merz Anfang Juni im Oval Office im Weißen Haus.
US-Präsident Donald Trump (r) empfängt Bundeskanzler Friedrich Merz Anfang Juni im Oval Office im Weißen Haus. | Bild: Michael Kappeler/dpa (Archivbild)

Ursula Münch von der Akademie für politische Bildung in Tutzing findet, Merz habe auf internationaler Bühne „einen sehr guten Eindruck gemacht“. Ein „entschieden wirkendes Auftreten“ sei ihm „mit Blick auf US-Präsident Donald Trump ganz gut gelungen“. Auch das Verhältnis zu Frankreich sei „anscheinend wieder ein bisschen besser“. Um Polen habe Merz sich gleichfalls bemüht, dort sei es wegen der innenpolitischen Lage aber gerade schwierig.

Wie sieht es bei Wirtschaft und Migration aus?

Es sei sichtbar, dass die Regierung versuche, die Probleme bei Wirtschaft und Migration „in den Griff zu bekommen“, sagt der Politikwissenschaftler Uwe Jun von der Universität Trier. „Aber die großen Wenden sind ausgeblieben in beiden Bereichen.“ Ergebnisse könnten sich jedoch „auch noch nicht in großem Ausmaß nach 100 Tagen zeigen“. Das brauche Zeit.

Ähnlich zieht Schroeder Bilanz: „Den Stimmungsumschwung, den er anstrebte, hat er nicht erreicht.“ Bei Wirtschaft und Migration gebe es in wesentlichen Parametern erste Fortschritte. „Insofern hat man jenseits der großen Wahrnehmung von Stimmungsveränderungen durchaus Hinweise, dass sich etwas zum Besseren verändert.“

Wo gab es in der Koalition Probleme?

Differenzen hätten sich vor allem in der Sozialpolitik gezeigt, meint Jun. In Bereichen wie Rente oder Bürgergeld gebe es „immer wieder Spannungen, weil die Parteien unterschiedliche Vorstellungen haben“. Schroeder spricht vom „Sprengfass der Sozialpolitik“. Hier sei durch den Koalitionsvertrag lediglich „ein äußerer Friede gewährleistet“ worden. Der Druck sei aber so groß, „dass man nicht darauf verzichten möchte, die eigenen Positionen jenseits des Koalitionsvertrages offensiv öffentlich zu machen“.

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„Ausgesprochen ärgerlich“ sei für die Koalition die gescheiterte Neubesetzung von drei Richterposten beim Bundesverfassungsgericht, sagt Münch. Hier sei in der Koalition „ein gewisses Zerwürfnis entstanden“. Die in der Union umstrittene SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zog sich zwar inzwischen zurück, in der SPD blieben aber offene Zweifel an der Verlässlichkeit des Koalitionspartners.

Hat sich Merz zu sehr auf die Außenpolitik konzentriert?

„Ja, den Eindruck hat man“, sagt Schroeder. „Problematisch ist die Attitüde des Kanzlers: ‚Ich denke ganz groß, ich denke in langen Linien, ich denke in großen Bildern und das Kleingedruckte lösen andere‘.“ Doch die Konflikte steckten „im Kleingedruckten: bei der Richterwahl, beim Bürgergeld, beim Umgang mit den Ukrainern“.

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„Andere Staatsmänner und Regierungschefs zu treffen, ist natürlich schöner, als sich mit dem Klein-Klein beim Bürgergeld zu beschäftigen“, sagt auch Münch. Sie findet aber, die Konzentration auf die Außenpolitik sei für Merz „schon die richtige Prioritätensetzung für den Anfang“ gewesen. Künftig werde er „die Kunst beherrschen müssen, sowohl in der Außenpolitik präsent zu sein als auch stärker in der Innenpolitik“.

Was kann Merz dazu beitragen, Konflikte zu entschärfen?

„Sicherlich muss der Bundeskanzler vielleicht noch mehr mit den jeweiligen Partnern reden“, sagt Münch. Allerdings scheine es zwischen Merz und den Parteispitzen von SPD und CSU auch gut zu funktionieren. Problem sei eher, dass Union und SPD die Fähigkeit fehle, „die eigene Gefolgschaft überhaupt an die Parteilinie zu binden“. Im Parlament sei das Aufgabe der jeweiligen Fraktionsführung. Da gebe es noch sicher „Luft nach oben“.

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Letztlich habe der Kanzler bei der Vermeidung von Konflikten in der Koalition „nur begrenzte Möglichkeiten“, sagt Jun. „Er muss sich darauf verlassen, dass auch andere ihn dabei wesentlich unterstützen.“ Auf Unionsseite sieht Jun hier neben Unions-Fraktionschef Jens Spahn auch Kanzleramtsminister Thorsten Frei (beide CDU) in der Pflicht. (AFP)