Seit 29 Jahren führt Marilena Mangili ihren Friseursalon in Böhringen bei Radolfzell. Müde sei sie mittlerweile. Das liege aber nicht an ihrer Arbeit mit den Kunden – sondern an den immer größeren Bürokratiebergen, die sich vor ihr auftürmen. „Es wird einfach immer mehr“, sagt die Frau, die seit einem Jahr Kreishandwerksmeisterin im Bezirk der Handwerkskammer Konstanz (HWK) ist.

Viele Vorschriften – und jede hat ihre Kosten

Da müsste Bundeskanzler Friedrich Merz Mangili eigentlich aus der Seele sprechen. Dieser hatte bei seiner Antrittsrede im Bundestag einen „beherzten Rückbau der überbordenden Bürokratie“ angekündigt. Mangili winkt da nur ab: „Für mich ist das nur heiße Luft, ich mache mir keine großen Hoffnungen, dass sich jetzt was ändert.“

Stattdessen zählt Mangili auf, wie ihr die Arbeit schwer gemacht wird: „Jeder Betrieb in Deutschland muss einen Brandschutzhelfer stellen. Wir sind ein Team von drei Personen, jeder von uns muss theoretisch auch mal alleine arbeiten können. Deshalb braucht auch jeder die Schulung.“ Für Mangili bedeutet das: „Kurse organisieren und bezahlen, Personalausfall – und niemand kontrolliert es.“

Marilena Mangili in ihrem Friseursalon in Böhringen bei Radolfzell.
Marilena Mangili in ihrem Friseursalon in Böhringen bei Radolfzell. | Bild: Marvin Nagel

Sie berichtet weiter: ein Führerschein für eine Trittleiter. Ein E-Check, bei dem jedes elektrische Gerät im Laden jährlich auf seine Funktionsfähigkeit überprüft werden muss, mit Kosten von bis zu 20 Euro pro Gerät. Hohe Auflagen für Perücken. Das zahle sie alles aus eigener Tasche.

Haarschnitt wird teurer durch Bürokratie

Jedes halbe Jahr müsse sie eine Verfahrensdokumentation abgeben, in der alle geschäftlichen Vorgänge dokumentiert sind. Gebraucht werde diese nur, wenn das Finanzamt vorbeikomme. Das letzte Mal sei das 2008 der Fall gewesen. Das stört Mangili am meisten: „Ob das alles so gemacht und eingehalten wird, wird nie kontrolliert.“

Eigentlich müsse sie sich einen Tag in der Woche ins Büro setzen, um sich um solche Dinge zu kümmern. Zeit, die Mangili dann für ihr Kerngeschäft fehlt. „Deswegen kostet auch ein Haarschnitt 33,50 Euro. Die durch Büroarbeit verloren gegangene Arbeitszeit muss ich ja irgendwie ausgleichen“, sagt sie. Normalerweise bräuchte sie einen weiteren Angestellten für die Büroarbeit – „aber ich habe Glück, dass mir mein Mann viel dabei hilft.“

Mangili will sich aber nicht vorwerfen lassen, dass sie nur meckert. „Bei manchen Vorschriften sehe ich durchaus den Sinn, wie etwa beim Erste-Hilfe-Kurs“, sagt sie. Den müsse sie alle zwei Jahre machen – beim Führerschein reicht einer für das ganze Leben. Für den Kurs übernimmt die Berufsgenossenschaft die Bezahlung. In der Summe seien es aber zu viele Vorschriften, die ihr die Arbeit erschweren, sagt sie.

Nach der Backstube ins Büro

In der Vulkanbäckerei Stadelhofer findet sich Eric Stadelhofer in vielen von Mangilis Problemen wieder. Um kurz nach zehn Uhr kommt der Inhaber aus der Backstube, seit ein Uhr nachts arbeitet er. An Feierabend ist aber noch nicht zu denken – es geht ins Büro, auch auf ihn warten Vorschriften, deren Erfüllung er dokumentieren muss.

Bäckermeister Eric Stadelhofer kümmert sich nach der Arbeit in der Backstube noch um die Umsetzung der Vorschriften.
Bäckermeister Eric Stadelhofer kümmert sich nach der Arbeit in der Backstube noch um die Umsetzung der Vorschriften. | Bild: Vulkanbäckerei Stadelhofer

Er ärgert sich über bürokratische Hürden, die aus seiner Sicht unnötig sind: „Wir müssen beispielsweise die Kühlung genauestens dokumentieren. Dabei geht unsere Ware sowieso kaputt, wenn die Kühlung nicht funktionieren würde.“

Diese Vorschrift sei eine von vielen, für die Stadelhofer viele Dokumente ausfüllen muss: „Jedes unserer elektrischen Geräte muss immer wieder überprüft werden. In vielen Fällen macht das einfach keinen Sinn. Wenn der Backofen nicht funktioniert, kann ich sowieso nicht arbeiten“, sagt er.

Wie Marilena Mangili klagt auch Eric Stadelhofer über den hohen zusätzlichen Arbeitsaufwand durch etliche bürokratische Hürden. „Ich müsste eigentlich eine Halbtagskraft dafür einstellen“, sagt er. Stattdessen übernimmt er es, seine Frau hilft ihm dabei. Hoffnung auf Besserung hat er nicht: „Versprochen wurde vieles über die Jahre, geändert hat sich wenig.“

Handwerkskammer kennt die Probleme

Dass Familienangehörige in handwerklichen Betrieben bei der Arbeit im Büro helfen, hört Dennis Schäuble oft. Er berät Unternehmen an der Handwerkskammer Konstanz (HWK). „Gerade kleinere Betriebe werden überfrachtet mit Bürokratielast. Entweder sie sind gezwungen, eine zusätzliche Stelle dafür zu schaffen oder es bleibt an Familienmitgliedern hängen“, sagt Schäuble.

Dennis Schäuble ist Fachbereichsleiter im Unternehmensservice bei der HWK Konstanz.
Dennis Schäuble ist Fachbereichsleiter im Unternehmensservice bei der HWK Konstanz. | Bild: HWK Konstanz

Ob Brandschutz – „hier sind die bürokratischen Hürden mittlerweile viel zu hoch“ – oder mangelnde Kontrolle – „die, die alles nach Vorschrift machen, zahlen am meisten“ – Schäuble kann die Beschwerden von Mangili und Stadelhofer nachvollziehen: „Es muss sich dringend etwas ändern.“

Schäuble weiß aber auch, wie schwierig der Weg zum Bürokratieabbau ist. Die Landesregierung sei sich zwar der Problematik bewusst, aber: „Vieles kommt von der Europäischen Union. Und Deutschland ist da besonders penibel bei der Umsetzung.“

Die Unzufriedenheit der Betriebe hört Schäuble in fast jedem Beratungsgespräch. Die mögliche Abschaffung der Bonpflicht macht ihm etwas Hoffnung, dass sich mit der neuen Bundesregierung etwas ändert. Er sagt aber auch: „Aus Erfahrung muss ich leider sagen, wenn ein Gesetz abgeschafft wurde, kamen oftmals drei neue – weniger wurde es nie.“