Ihr neues Leben im Schwarzwald beginnt mit einem neuen Namen. Gaia heißt jetzt Luna. Seit gut zwei Monaten lebt die Bärin im Alternativen Wolf- und Bärenpark in Bad-Rippoldsau-Schapbach hinter massiven, meterhohen Metallzäunen mit Stahlmatten, durch mehrere Stromdrähte des Hauptzauns fließen 10.000 Volt.

Nachdem JJ4, so ihr wissenschaftlicher Name, im April 2023 einen 26-jährigen Jogger im Val di Sole in den italienischen Alpen getötet hatte, war sie in den Medien als „Problembärin“ und „Killerbärin“ bezeichnet worden. Es gab ein riesiges Gezerre um das Tier. Italienische Behörden hatten damals bereits den Abschuss verfügt, doch Tierschützer erstritten vor Gericht, dass die Bärin weiterleben darf.

Betäubt: Bärin Gaia, bekannt auch unter dem Kürzel JJ4, liegt vor der Reise aus Italien nach Deutschland in einer Transportbox im ...
Betäubt: Bärin Gaia, bekannt auch unter dem Kürzel JJ4, liegt vor der Reise aus Italien nach Deutschland in einer Transportbox im Tierpark Mattarello in Trient. | Bild: Stiftung für Bären, SfB, dpa

„Wir haben uns im Team für den Namen Luna (Mond) entschieden als Symbol für ihren neuen Lebensweg hier bei uns und auch, weil sie nachtaktiv ist“, sagt Christopher Schmidt, Pressesprecher des Tierparks.

Pressesprecher Christopher Schmidt.
Pressesprecher Christopher Schmidt. | Bild: Julius Müller-Meiningen

Die Bärin ist ruhiger geworden

Nachtsichtgeräte und Wärmebildkameras zeichnen auf, wo sie sich im Gehege aufhält. Seit ihrer Ankunft Ende Juli ist sie ruhiger geworden, doch immer noch trottet sie am Zaun entlang und sucht einen Weg nach draußen.

Tierparkchef Bernd Nonnenmacher findet in einem Fernseh-Interview deutliche Worte: Für sie sei das Leben in Gefangenschaft eine Katastrophe und eine Qual, sagt der Jurist und frühere Unternehmensberater, der seit 2014 Geschäftsführer der Stiftung Bären ist, die sich nur über Spenden finanziert und außer im Schwarzwald einen weiteren Wildpark in Thüringen unterhält. Der Abschuss wäre tiergerechter gewesen, sagt er.

Großes Herz für Bären: Wildparkchef Bernd Nonnenmacher (links) und Projektleiter Raoul Schwarze.
Großes Herz für Bären: Wildparkchef Bernd Nonnenmacher (links) und Projektleiter Raoul Schwarze. | Bild: Bernd Weißbrod

„Sie ist ein kleiner Feinschmecker“

Er und sein Team bekommen die Bärin nur selten zu Gesicht. Luna ist extrem scheu und flüchtet sich ins Dickicht, sobald jemand auch nur in die Nähe des Geheges kommt. Die Tierpfleger werfen das Futter über den Zaun, insbesondere an Stellen, wo Luna ähnlich wie in freier Wildbahn im Gebüsch danach suchen muss.

Zurzeit liebt sie Nüsse und Trauben, die sie fein säuberlich vom Stiel zupft, vor ein paar Wochen waren es noch Birnen. Projektleiter Raoul Schwarze hält in einem Video auf Instagram den Strunk einer Frucht in die Kamera. Wie die Menschen lasse sie ihn übrig, sagt er. „Sie ist ein kleiner Feinschmecker.“

Gehege hat eine Million Euro gekostet

Das stark gesicherte Gehege hat eine Million Euro gekostet. Getrennt davon leben die anderen neun Bären, vier Wölfe und zwei Luchse. Stoße Luna an Zäune und Hindernisse, dann verstehe sie das nicht, sagt Schmidt. Zwar hat man den Zaun der Landschaft angepasst und Hänge und Gefälle naturbelassen. Ein zwei Meter in die Erde ragender Untergrabschutz verhindert, dass sie ins Freie flüchtet. „Bis sie verstanden hat, dass es nicht nach draußen geht, das dauert, wenn es überhaupt je passiert“, sagt der 38-Jährige.

Die anderen Tiere, die Nonnenmacher aus Gefangenschaft, winzigen Käfigen und vor schlimmen Misshandlungen gerettet hat, erleben im Wildpark dagegen eine neue Freiheit. So mussten die Bären Arian und Arthos in Albanien für Fotos mit Touristen herhalten, Agonis fristete sein Dasein dort schon als Welpe auf einer Restaurant-Terrasse.

Lebensraum ist auf einen Hektar geschrumpft

Franca – auch sie hieß wie alle anderen Bären früher anders – befreite Nonnenmacher in Frankreich aus der Garage eines Schaustellerpaars, wo sie geschlagen und mit Wasserstrahlen und Elektroschocks misshandelt wurde. „Die meisten dieser Tiere müssen das Umherlaufen in dem großen Gehege erst trainieren“, sagt Christopher Schmidt. „Es überfordert sie anfangs völlig, weil sie auf engstem Raum gehalten wurden.“

Die Bärin als Balancekünstlerin.
Die Bärin als Balancekünstlerin. | Bild: Nonnenmacher/Alternativer Wolf- und Bärenpark Schwarzwald

Ganz anders Luna. Ihr Revier in freier Wildbahn war mehrere hundert Quadratkilometer groß, bis zu 80 Kilometer ging sie jeden Tag auf Futtersuche. Jetzt ist ihr Lebensraum auf einen Hektar geschrumpft. 17 Jahre hat sie in Freiheit gelebt, ehe sie in Italien gejagt und eingefangen wurde.

Als sich abgezeichnet hatte, dass sich dort keine geeignete, ausreichend große und dauerhafte Unterbringung für Luna fand, erklärte sich Nonnenmacher bereit, das Tier in den Schwarzwald zu holen.

Ende Juli fuhr er mit seinem Team hin, der Bär wurde betäubt, im Beisein des Amtstierarztes von Bozen medizinisch untersucht, bevor Nonnenmacher und seine Männer den fast 140 Kilogramm schweren Bären in die Transportbox des speziell gesicherten Fahrzeugs hoben. Sie warteten, bis er wieder zu sich kam und gaben ihm Obst und Wasser, ehe sie losfuhren. „Grundsätzlich transportiert man die Tiere nur, wenn sie wach sind, weil sonst die Verletzungsgefahr zu groß ist“, sagt der Pressesprecher. Alle zwei Stunden hielt das Team an, um nach Luna zu sehen und sie zu versorgen.

Auch in Immenstaad am Bodensee legen Bernd Nonnenmacher und seine Mitarbeiter einen kurzen Stopp ein, um nach dem Bären zu schauen. Er ...
Auch in Immenstaad am Bodensee legen Bernd Nonnenmacher und seine Mitarbeiter einen kurzen Stopp ein, um nach dem Bären zu schauen. Er ist wach. | Bild: Nonnenmacher/Alternativer Wolf- und Bärenpark Schwarzwald

Auch Lunas Mutter lebt im Schwarzwald

Lunas Mutter Jurka lebt schon seit 2010 im Schwarzwald in einem eigenen Gehege. Sie war im Trentino von einem Hotelier für seine Gäste angefüttert worden. Auch ihr Sohn Bruno, der 2006 als „Problembär“ bekannt wurde, hatte in Bayern Haustiere gerissen und sich immer wieder menschlichen Siedlungen genähert. So verloren beide ihre natürliche Scheu. „Das Problem ist nicht der Bär, sondern die Menschen“, kritisiert Schmidt.

Bruno war laut der Umweltstiftung WWF aus Italien kommend auf der Suche nach einem neuen Revier auf einmal in Deutschland angelangt. Das war eine Sensation, denn hierzulande gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts zuletzt Braunbären. Heute leben 17.000 in Europa, die meisten in Rumänien in den Karpaten, kleine Bestände gibt es in den Alpen und dem Dinarischen Gebirge, Schweden, Norwegen, Italien, Spanien, Bulgarien und Griechenland.

Schweizer Bärenforscher sieht Mensch als Problem

Auch der bekannte Schweizer Bärenforscher David Bittner fordert in einem Interview mit der Schweizer Zeitung Der Bund: „Wir Menschen müssen uns dem Bären anpassen und nicht umgekehrt. Wir müssen Nahrungsquellen, die für ihn interessant sind, wie eben Schafherden, Abfallkübel und Bienenhäuser, schützen.“ Wenn Bären solche Nahrungsquellen einmal entdeckt hätten, scheuten sie den Aufwand, einem Wild nachzustellen und auf kilometerlangen Märschen Wurzeln auszugraben, sagt der Biologe.

Im Trentino leben heute mehr als 100 Braunbären. Zu Beginn der 2000er-Jahre hatte man einige Tiere aus Slowenien dort angesiedelt. So kann es immer wieder passieren, dass sie auch Grenzen überqueren. Deshalb brauche man länderübergreifende Managementpläne, sagt der Pressesprecher des Wildparks. Ein Einsatzteam müsse für Bürger ansprechbar sein, die Sichtungen melden können, fordert er. Die Infrastruktur müsse bärenfreundlich gestaltet werden, Grünbrücken seien für die Tiere wichtig, ebenso Wanderkorridore. „Und wenn ein Bär auffällig wird, darf auch ein Abschuss kein Tabu sein.“

Lunas Tierpfleger hoffen erst einmal, dass die Bärin für die Winterruhe die Höhle in dem Gehege annimmt. „Wir sehen schon, dass sie zugenommen hat“, freut sich Christopher Schmidt. Den Speck wird sie im Winter brauchen. Sie soll es wenigstens so schön wie möglich haben, wenn sie schon nicht frei sein kann.