Eine Blutvergiftung kann ein Todesurteil sein. Bis zu 50.000 Patienten in Deutschland sterben Jahr für Jahr an einer Sepsis, wie es im Fachjargon heißt. Weltweit erliegen ihr mehr als 1400 Menschen – täglich. Wird die außer Kontrolle geratene tödliche Infektion nicht rechtzeitig mit den richtigen Antibiotika behandelt, so sind die Prognosen für Patienten denkbar schlecht.
Unter den Opfern einer bakteriellen Infektion waren in der Vergangenheit auch Prominente. An einer Sepsis starben etwa „Superman“-Darsteller Christopher Reeve, Papst Johannes Paul II., Politiker-Gattin Loki Schmidt und „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein. Sie alle eint, dass ihnen nicht rechtzeitig medizinisch geholfen werden konnte.
Sepsis-Patienten kann oftmals nur die Intensivstation retten
Der schleichende Tod, der sich auch hinter dem früher so genannten tödlichen Kindbettfieber verbarg, ist bis heute Teil des traurigen Alltags in Kliniken. Schwere Infektionen wie Sepsis sind laut Statistik der häufigste Grund dafür, dass Patienten auf die Intensivstation kommen.

Das Gesundheitsnetzwerk Biolago mit Sitz in Konstanz arbeitet im Projekt Diginostik (“Digitale Diagnostik“) daran, diese Geißel der Menschheit zurückzudrängen und mit Hilfe moderner Diagnostik und smarten IT-Lösungen die Sterberate deutlich zu verringern. Dazu startet das Konstanzer Labor Dr. Brunner gemeinsam mit dem IT- und Healthcare-Spezialist Vireq das Projekt Diwobs. Die Abkürzung steht für „Digitalisierter Workflow zur Optimierung der Blutkulturdiagnostik“
Ihr Ziel sei es, die Diagnostik von Sepsis zu beschleunigen, erklärt Michael Statnik, Projektleiter von Biolago. Eine schnelle Gabe des richtigen Antibiotikums ist entscheidend für den Behandlungserfolg. Heute vergehe noch viel zu viel Zeit von der Diagnose bis zur gezielten Therapie, so Professor Johannes Zander vom Labor Dr. Brunner.
Normal seien zwei bis vier Tage, von der Blutabnahme bis zur Analyse, welches Antibiotikum sicher gegen das entsprechende Bakterium wirkt. „Denkbar ist ein Befund häufig aber noch innerhalb von 24 Stunden“, hofft auch Dr. Steffen Höring, Mikrobiologe im Konstanzer Labor. Und das würde in der Tat kostbare Zeit sparen.
Dreierlei Wege führen so deutlichen Verbesserungen
Erreichen will das Team dies auf dreierlei Weise. Zander nennt drei Säulen: „Die optimal aufeinander abgestimmte Nutzung von Geräten in Labor und Klinik, den Einsatz moderner Laborgeräte zur schnelleren Antibiotikaresistenztestung sowie IT-Lösungen zur Übermittlung vorläufiger Ergebnisse direkt vom Laborgerät an die Klinikärzte.“
Er beschreibt dies am Beispiel des Schwarzwald-Baar-Klinikums in Villingen-Schwenningen. Da das moderne Klinikum, wie viele andere Krankenhäuser in Deutschland, nicht über ein eigenes mikrobiologisches Labor verfügt, muss ein Kurier die Blutproben von Sepsis-Patienten ins Labor nach Konstanz fahren. Um hier Zeit zu sparen, soll künftig die sogenannte Bebrütung der Proben optimal auf den Probentransport abgestimmt werden.
Das Gerät wurde in Südkorea entwickelt
Das Bebrüten ist die Voraussetzung für die Analyse, die dann anschließend im Labor Brunner in einem neuen Hightech-Gerät aus Südkorea stattfindet. Dieser Automat arbeitet deutlich schneller als das bisherige Verfahren mit Petrischalen. Das Gerät erstellt „in wenigen Stunden aus einer positiven Blutkultur das Antibiogramm“, erläutert Zander.
Anschließend kommt die neue Software ins Spiel, die mit Hilfe von smarten IT-Lösungen die Daten direkt an den behandelnden Arzt übermittelt. Erst so kann dieser prüfen, ob dem Patienten ein wirksames Antibiotikum bereits verabreicht wurde oder, wenn notwendig, die Therapie sofort anpassen. Während Mitarbeiter des deutsch-Schweizer Medizinspezialisten Vireq mit Sitz in Brandenburg an der Software tüfteln, steht das in Südkorea gebaute Diagnostik-Gerät bereits im Labor Dr. Brunner.

Statt bislang in zwei bis vier Tagen könnte also häufig bereits innerhalb eines Tages die gezielte Therapie einsetzen. Das würde nicht nur Menschenleben retten, sind die Wissenschaftler überzeugt. „Die Patienten würden dadurch auch kürzer auf der Intensivstation bleiben, das bedeutet auch eine Kostenersparnis im Gesundheitswesen“, sagt Bettina Baumann von Biolago und verweist auf die anhaltende Diskussion über explodierende Krankenhaus-Kosten.

Wann eine bessere Sepsis-Bekämpfung in Deutschland greift, ist noch offen. Zunächst arbeiten die Forschungspartner in einer dreijährigen Versuchsphase an den Verbesserungen. Dass ein Erfolg wahrscheinlich ist, macht auch die Unterstützung des Bundes deutlich. Das Projekt ist eins von fünf Vorhaben des bundesweiten Biolago-Projekts „Diginostik“, diese werden vom Bund mit über drei Millionen Euro gefördert. Allein 1,2 Millionen Euro fließen davon in das Diwobs-Projekt.

„Die Medizintechnikwelt wird in ein paar Jahren nicht mehr sein, was sie bislang war,“ sagt Biolago-Vorsitzender Professor Martin Elmlinger. Und der Bodenseeraum könnte eine Vorreiterrolle spielen. Es sei absehbar, dass die Digitalisierung und Künstliche Intelligenz ganz neue Möglichkeiten in der Diagnostik mit sich bringen werden, so Elmlinger.
Hier sei das Gesundheitsnetzwerk Biolago mit seinen 150 Mitgliedern sehr gut aufgestellt. Die Nachfrage gebe dieser Arbeit auch recht. „Fast jeden Monat kommt ein neuer Partner, der bei uns Mitglied werden will,“ so Elmlinger. Nach seinen Angaben gehören dem Netzwerk inzwischen Mitglieder in sechs Ländern mit 26.000 Arbeitsplätzen an.