
Eine Frau, die ihren Mann verlässt, lebt in Deutschland gefährlich. „Frauen haben kein größeres Risiko als vom Partner getötet zu werden“, sagt Profiler Axel Petermann aus Bremen. „In einer Trennungsphase ist, statistisch betrachtet, der gefährlichste Mensch der eigene Partner“, sagt Uwe Stürmer, Polizeichef im Präsidium Ravensburg.
Ob Stadt oder Land, es passiert überall in Deutschland. Jeden dritten Tag wird eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet. Die Vorstellung, die man aus vielen Krimis und Schauergeschichten kennt, dass die Gefahr vom Unbekannten ausgeht, der aus dem Nichts kommt und einen überfällt, entspricht nur in seltenen Fällen der Realität. Opfer und Täter haben in der Regel eine Vorbeziehung, so nennt das die Polizei. Waren Freunde, Geliebte, Eheleute. Nicht anders bei den Fällen in Markdorf und Stockach.
Im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Ravensburg gab es von 2018 bis 2021 39 versuchte und vollendete Fälle von Mord oder Totschlag an Frauen. Bei 20 davon kannten sich Täter und Opfer:
Zwei Tötungsdelikte an Frauen innerhalb von wenigen Tagen, nur wenige Kilometer voneinander entfernt, geben Anlass zum Nachdenken: Die 24-jährige Sabrina P. wird in Stockach von ihrem Freund und Vater ihres Babys mit Kabeln erdrosselt. Es heißt, sie habe sich von ihm trennen wollen. Eine Beziehung in der Krise. Schon jenseits davon befindet sich die Beziehung der 44-Jährigen, die am Samstag am Postschalter des Ladens Megamix in Markdorf erschossen wird. Mutmaßlicher Täter: ihr Ex-Partner, 47, von dem sie sich vor einigen Monaten getrennt hatte.
Die Häufung ist auffällig, aber auch zufällig. Es kommt nicht oft vor, dass so kurz nacheinander und so eng beieinander Frauen von ihren Partnern getötet werden. Es handle sich um eine zeitliche und örtliche Häufung, aber davon lasse sich kein Trend ablesen, sagt Stürmer. Schließlich werden zwischen 100 und 120 Frauen in Deutschland jedes Jahr von ihren Partnern getötet. Die Eheformel „Bis dass der Tod euch scheidet“ habe da eine zynische Komponente, meint Stürmer.
Im den Landkreisen Bodenseekreis, Ravensburg und Sigmaringen gab es in den Jahren 2018 bis 2021 22 Fälle, bei denen ein Mann versucht hat, eine Frau zu töten, die er kannte. In zwei Fällen musste die Frau sterben. Beide in Pfullendorf, also dem Ort, in dem auch der Täter des Markdorfer Falls wohnte.
Der Ravensburger Polizeichef befasst sich seit 20 Jahren mit dem Thema, schon zu seiner Zeit als Chef der Stuttgarter Mordkommission. Seit Mai 2022 koordiniert er ein bundesweites Forschungsprojekt, das herausfinden soll, wie man einen Intimizid – die Tötung eines Intimpartners – erkennt, bevor er passiert. Der Bund fördert das auf zweieinhalb Jahre angelegte Projekt Gate (Polizeiliche Gefährdungsanalysen zu Tötungsdelikten in Partnerschaft und Familie) mit 1,1 Millionen Euro.
Ergebnisse des Projekts liegen noch nicht vor. Stürmer und auch Petermann können aber aus ihrer beruflichen Praxis schildern, wie Täter gestrickt sind, wie sich eine solche Gewalttat anbahnt und welche Warnsignale es gibt.
Fokussiert auf das Opfer
Die Männer fühlten sich zurückgesetzt, könnten nicht einsehen, dass sie Macht und Kontrolle verlieren und befürchteten Ansehensverlust, beschreibt Profiler Petermann die psychische Verfassung der Täter. „Dann tötet er eher, um sie für sich zu bewahren, als dass er der Frau ihren Freiraum lässt.“ „Der Kern jeder Gewaltbeziehung ist ein Machtgefälle: Der eine will den anderen dominieren“, sagt Stürmer, der oft eine obsessive Fokussierung auf das Opfer beobachtet.
Die Täter fühlten sich gekränkt. Archaische Besitzansprüche seien vorhanden. „Manche Täter geraten auch in einen Tunnelblick.“ Entweder die Frau komme zurück oder sie brächten sie um. Nach dem Motto: „Wenn ich dich nicht haben kann, soll dich keiner haben.“
Frauen töten, um loszukommen
Männer töten, um die Macht zu behalten und um die Frau zu behalten – so absurd das auch ist. Während Frauen eher töten, um die Beziehung zu beenden, weiß Petermann: „Sie sehen keinen anderen Weg aus der tyrannischen Beziehung zu entliehen. Oft verstehen sie es nicht, Hilfsangebote anzunehmen.“
Zur sozialen Herkunft der Täter stellt Stürmer fest, dass ein überproportional hoher Anteil eine Suchtproblematik habe, häufig sei Arbeitslosigkeit im Spiel. Und: Die Täter seien oft nicht in breites soziales Netz eingebunden. „Bestimmte kulturelle Rollenbilder mögen für die Tat eine Rolle spielen, aber sie sind kein Erklärungsansatz“, so Stürmer. Sie hätten schon alle Nationalitäten gehabt. „Es wäre verfehlt, das Thema auf bestimmte Migranten abzuschieben.“
Anlass der Tat ist in der Regel die Trennung des Paars, vor allem, wenn diese von der Frau ausgeht. Die Trennung müsse auch noch gar nicht erfolgt sein, so Petermann. Allein, dass die Absicht formuliert wird (“Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein“), könne schon ausreichen. „Gerade die Verbalisierung birgt die größte Gefahr für die Frau.“
Das klärende Gespräch als große Gefahr
Als typische Situation, in denen es zur Tat kommt, nennen Petermann wie Stürmer das vermeintlich letzte Gespräch. Er hält das ganze für eine Aussprache mit Aussicht auf Annäherung, verspricht, sich zu bessern, doch die Frau lässt sich nicht beeindrucken. „Dann fährt der Möbelwagen vor“, so Stürmer und der Partner erkenne: Er kann die Partnerin nicht zurückgewinnen.
„Eine latente Tatbereitschaft liegt oft schon vor“, sagt Petermann. „Der Gedanke, sie nicht ziehen zu lassen, hat sich eingenistet.“ Typische Tatorte seien die Wohnung des Opfers oder, wie im Markdorfer Fall, die Arbeitsstelle – also Anlaufadressen, die der Partner kennt. Die Tötung erfolge plötzlich und ohne Aussprache.
Warnsignale, dass die Sache eskalieren könnte, gibt es meist. Irgendjemand im sozialen Umfeld – die Kollegen am Arbeitsplatz, die beste Freundin – hätte häufig etwas vorab mitbekommen. „Oft stellt man fest, wenn das Umfeld vernommen wird, dass dieses vereinzelt Kenntnisse hatte“, so Stürmer. Aber nicht immer wird das gemeldet. Wie Freunde und Nachbarn bei häuslicher Gewalt helfen können, ist in diesem Text beschrieben. Beim zweiten Szenario, das der Ravensburger Polizeichef nennt, wurde die Polizei bereits wegen häuslicher Gewalt gerufen.
Doch Gewalt ist nicht gleich Gewalt. „Es ist ein Unterschied, ob jemand mit der Hand zuschlägt, oder ob jemand würgt oder mit Messer Gewalt ausübt. Das kann potenziell tödlich sein.“ Innerhalb der Palette verschiedener Phänomene von Gewalt muss man unterscheiden.
Petermann hat in seiner Zeit bei der Bremer Kriminalpolizei etliche Mordermittlungen geleitet, hat sich bei der Fallanalyse auf Handlungen des Täters in der Vergangenheit beschäftigt. Die Gefahrenanalyse, bei der es darum geht, zukünftiges Verhalten einzuschätzen, habe ihn aber mindestens genauso interessiert. „Meine Kollegen und ich haben uns bei zerrütteten Partnerschaften sehr intensiv mit den betroffenen Frauen ausgetauscht, um mögliche Gefahren einzuschätzen.“
Die Fragen lauteten im Norden nicht anders als im Süden: Welche Gewalt hat es gegeben? Auch psychische, sexuelle? „Anzeichen dafür, dass es zu einem Tötungsdelikt kommen könnte, sind Gewalt in der Schwangerschaft, Angriffe gegen den Hals, Alkoholmissbrauch. Das alles kann die Gefahr einer tödlichen Eskalation steigern.“
Eine Drohung ist immer ernst zu nehmen
Und dann gibt es noch den Mord mit Ansage. Der Partner spricht Drohungen gegen seine Partnerin aus. „Wenn Du mich verlässt, bring ich dich um.“ Je konkreter, desto gefährlicher. Und doch: Es gebe viele Fälle, in denen die Drohung ausgesprochen werde, aber nur wenige, in denen sie dann auch Realität werde, sagt Stürmer. Es müsse immer abgeklärt werden: In welchem Kontext erfolgte die Drohung? Und hat der Täter die Möglichkeit, die Tat zu realisieren?
In welche Kategorie – ohne aktenkundige Vorfälle, mit vorliegender häuslicher Gewalt oder der Mord mit Ansage – die Tötungsdelikte von Stockach und Markdorf fallen, dazu macht Stürmer keine detaillierte Aussage. Allerdings sagt er zum Markdorfer Fall, dass es „Vorerkenntnisse“ gegeben habe. Welcher Art, verrät er mit Verweis auf die aktuellen Ermittlungen nicht.
Wie lässt sich das verhindern?
Die Frage, die sich nach Taten mit so vielen Vorwarnungen, immer wieder aufs Neue stellt, ist die der Vermeidbarkeit. Hätte man nicht etwas dagegen unternehmen können? Ja. Und nein. Stürmer glaubt wie Petermann an die Wirksamkeit von so genannten Gefährderansprachen nach häuslicher Gewalt: Dem Gewalttäter werde nach klargemacht, dass er unter Kontrolle ist, dass er beobachtet wird. Wer noch nie mit der Polizei zu tun gehabt habe, der lasse sich durchaus davon beeindrucken, berichtet Stürmer.
Dem Mann werden Kontakt zu Stellen vermittelt, die sich mit seinen Problemen auseinandersetzen. Doch ob der das annimmt? Der Frau werde geraten, den Kontakt meiden und dabei keine Ausnahmen machen. Zudem kann sie die Wohnung wechseln, ihren Namen ändern, ins Frauenhaus ziehen. „Trotzdem gibt es immer wieder Fälle, bei denen die Frauen alles versucht haben und trotzdem getötet werden“, sagt Petermann.
Der konsequente Opferschutz scheitert auch daran, dass Täter und Opfer, vor allem wenn Kinder da sind, nicht leicht getrennte Wege gehen kann. Man hat ein gemeinsames Sorgerecht, man kennt sich gut, kennt die Orte, die der andere regelmäßig aufsucht. „Da ist es schwierig sich dem Zugriff zu entziehen, indem man abtaucht“, weiß Stürmer.