Hass und Hetze haben viele Gesichter – auf der Straße oder im Internet. Es wird geschlagen und bedroht, verleumdet und beleidigt. Das Wüten gegen andere wegen ihrer Nationalität, ihrer Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, wegen ihrer sexuellen Orientierung oder aufgrund ihres Geschlechts wird auch in Baden-Württemberg immer stärker, wie neue Zahlen zeigen. Nie zuvor wurden im Südwesten so viele Fälle Hassverbrechen registriert wie im vergangenen Jahr.
Laut Innenministerium wurden 1654 Delikte als Hasskriminalität eingestuft – das sind 140 mehr als im Jahr zuvor und fast doppelt so viele wie noch 2022. Besonders auffällig: Die meisten Taten hatten nach Angaben des Innenministeriums einen rassistischen Hintergrund – und deutlich mehr als die Hälfte stammten aus dem rechten Spektrum. 643 Fälle, also über ein Drittel, wurden online verübt, wie aus einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage von Abgeordneten der Grünen und der CDU weiter hervorgeht. Dabei geht es nicht um Angriffe auf Politiker, sondern Hasskriminalität im Allgemeinen.
Dunkelziffer ist enorm hoch
Durch Hass und Hetze sollen Opfer erniedrigt und ausgeschlossen werden. Auffällig ist aus Sicht von Experten die überaus hohe Zahl von Taten, die nicht angezeigt werden und damit gar nicht erst in einer Statistik auftauchen. Viele Betroffene scheuen sich, Vorfälle zu melden, heißt es auch in einer sogenannten Dunkelfeldstudie des Bundeskriminalamtes.
Die Folge: Das tatsächliche Ausmaß solcher Straftaten ist mit sehr großer Wahrscheinlichkeit deutlich höher ist als die offiziellen Zahlen vermuten lassen. «Das Ausmaß ist massiv», sagt der Kommunikationspsychologe Daniel Geschke aus Jena. Und auch Heike Kleffner, Geschäftsführerin des Verbands der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG/Berlin), ist überzeugt: «Alle Zahlen der Polizei und der Beratungsstellen bilden nur einen Ausschnitt der gewaltvollen Realität dar.»
Kein Vertrauen in Polizei und Justiz
Die Zurückhaltung liegt nach Einschätzung von Geschke und Kleffner vor allem an den Reaktionen von Polizei und Staatsanwaltschaft, wenn Fälle aufgenommen werden. «Betroffene werden oft nicht ernst genommen oder es wird ihnen die Schuld an der Tat zugeschoben», sagte Geschke aus Jena. «Dies kann zu einem Gefühl der Ohnmacht und zu dem Entschluss führen, gar nicht erst Anzeige zu erstatten.»
Vor allem Opfer mit Migrationshintergrund oder aus Randgruppen vertrauten der Polizei und Justiz wenig. «Sie befürchten, dass ihre Erfahrungen nicht ernst genommen oder gar kriminalisiert werden», sagte Geschke, der sich vor allem als früherer Referent am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena mit dem Thema auseinandergesetzt hat. «Dieses Misstrauen führt dazu, dass sie sich nicht an die Behörden wenden.»
Mehr Schulungen und schnellere Strafverfolgung
Aus seiner Sicht müssen Polizisten geschult werden, damit auch modernere Formen von Hass und Hetze besser erkannt werden. Gefragt sei auch die Gesellschaft: «Hasskriminalität ist nicht nur eine Tat zwischen Täter und Opfer, sondern stellt sie auch eine Kommunikation mit der Gesellschaft dar», sagte er. Wenn diese nicht klar Stellung beziehe und Solidarität mit Opfern zeige, könne dies das Gefühl der Isolation bei den Betroffenen verstärken.
Kleffner sieht Land und Bund in der Pflicht. «Es braucht eine deutlich effektivere Strafverfolgung», sagt sie. «Es muss schneller ermittelt, angeklagt und bestraft werden.» Zu viele Ermittlungen würden eingestellt. Jahrelang verschleppte Strafverfahren entmutigten und belasteten Betroffene.
Sie empfiehlt zudem den Blick nach Bayern. Dort widmeten sich Schwerpunktstaatsanwaltschaften und Spezial-Staatsanwälte bei der Generalstaatsanwaltschaft der Bekämpfung von Hasskriminalität und auch dem Thema Hate Speech im Internet. Außerdem gebe es einen Beauftragten für die bayernweite Koordination der Ermittlungen in entsprechenden Verfahren.
Land will Polizei und Justiz für Zeugenschutz sensibilisieren
Die Politik versucht in Baden-Württemberg weiter gegenzusteuern. Wichtig sei unter anderem, dass persönliche Anschriften von Betroffenen im Strafverfahren anonym bleiben können, teilte der Kabinettsausschuss «Entschlossen gegen Hass und Hetze» mit, dem unter anderem der Innen- und die Justizministerin angehören. In einer Art «kleinem Zeugenschutz» könnten Betroffene im konkreten Einzelfall auch ihren Geschäfts- oder Dienstort oder eine andere Anschrift angeben, unter der sie erreichbar seien.
Polizei und Staatsanwaltschaften sollten dafür sensibilisiert werden. Überdies sollen virtuelle Anlaufstellen für Opfer von Straftaten aufgebaut werden.