Julius Stockert wollte sich mit 90 Jahren noch einen Traum erfüllen: Einmal an den Bodensee fahren. Dieser Traum ging jetzt in Erfüllung. Gefahren ist er die über 1200 Kilometer aus seinem Heimatort Eckernförde bei Kiel mit seinem Fahrrad. Obwohl er schon mehrfach Strecken von über 1000 Kilometer bewältigt hatte, war die nach Friedrichshafen am schwersten.

Letzte große Rad-Runde

„Das war meine letzte große Rad-Tour“, sagt Julius Stockert kurz nachdem er in Friedrichshafen in seine Unterkunft eingecheckt ist. Es war die achte große Tour. Die Idee dazu kam aus einem vergessenen Versprechen. „Ich habe bis 1989 hier in Süddeutschland gelebt“, sagt er in starkem Plattdeutsch. Damals habe er seiner Tochter versprochen, dass er die Strecke mit dem Fahrrad zurücklege, wenn sie wieder in den Norden ziehen. Getan hat er dies nie. „Eines Tages ist es mir dann wieder eingefallen.“

2004, 2007 und 2008 unternahm er die ersten großen Ausflüge in den Süden. Damals noch um Freunde im Großraum Stuttgart zu treffen. „Das hat auch eigentlich keinen Spaß gemacht“, so der 90-Jährige. Er erklärt: „Ich saß jeden Abend im Hotel und hatte Krämpfe am ganzen Körper.“ Deswegen habe er es damals vorerst wieder gelassen.

Mit gerade einmal zwei Taschen absolvierte der 90-Jährige die Reise an den Bodensee.
Mit gerade einmal zwei Taschen absolvierte der 90-Jährige die Reise an den Bodensee. | Bild: Jeronimo Hillgruber

Mit Motor beschleunigt

Vor Corona hat Stockert sich dann ein Pedelec zugelegt. Das hat ihn wieder beflügelt, längere Ausflüge zu machen. „Das hat dann wieder Spaß gemacht“, erzählt er. Seit 2020 war er jedes Jahr auf einer großen Fahrrad-Tour. Dieses Jahr zog er mit der letzten Tour einen Schlussstrich. „Für meinen Körper ist das jetzt zu anstrengend.“ Krämpfe habe er mit dem Pedelec aber keine mehr gehabt.

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Natur, Vögel und Menschen

Die letzten Ausflüge hat er für sich gemacht. Um die Natur und Vögel zu genießen, wie er sagt. „Ich fahre gern durch Wälder und versuche, verschiedene Vögel zu sehen und zu hören.“ Dieses Jahr sei er aber enttäuscht worden. Während er sonst immer vielen Kuckucks, Schwalben und anderen Vögeln lauschen konnte, hatte er dieses Jahr eine ruhige Fahrt. Ganz zum Leiden von Stockert. So hat ihm auf der letzten Route auch der Spaß gefehlt.

Aber nicht nur das fehlende Vogelgezwitscher hat dem 90-Jährigen seine letzte Fahrrad-Tour erschwert. „Ich fahre mit zwei Akkus, die reichen für 120 Kilometer“, sagt er. Für die letzten Meter bis nach Friedrichshafen nicht genug. „Meine Beine und Arme waren dann schwer und sitzen wollte ich auch nicht mehr“, erzählt Stockert. Also beschloss er, die letzten Meter aus Sigmaringen an den Bodensee mit der Bahn zu absolvieren. So erreichte er Friedrichshafen nach zehn Tagen auf Straße und Schiene.

Julius Stockert zeigt seine gefahrene Route. Auf einer klassischen Karte hatte er sich den Weg durch Baden-Württemberg markiert.
Julius Stockert zeigt seine gefahrene Route. Auf einer klassischen Karte hatte er sich den Weg durch Baden-Württemberg markiert. | Bild: Jeronimo Hillgruber

Andere Fahrradkultur im Süden

Mittlerweile kennt sich Stockert im Süden von Deutschland besser aus. Oft hieß sein Ziel Stuttgart, aber auch Nürnberg und München hat er schon angesteuert. Zurechtgefunden hat er sich ganz klassisch mit einer Karte. Und wenn er nicht weiterwusste, hat er herumgefragt. „Da habe ich oft die tollsten Menschen kennengelernt“, sagt er. Weiter erzählt er, wie er zum Essen und Nächtigen eingeladen wurde, wie ihm Menschen den Weg wiesen und Verstärkung auf den Weg mitgaben.

Dabei lernte er auch die einzelnen Gemüter der Regionen kennen. „Hier unten grüßt man sich gar nicht“, sagt er. Andere Fahrradfahrer würden, wenn er Pause macht und er sie grüßt, oft nicht zurückgrüßen. Im Norden sei das anders. Auch der Fahrstil auf den Landstraßen sei von den Autofahrern wesentlich rasanter. Trotzdem lobt er die Autofahrer: „Ich kann mich über keinen beschweren, alle halten Abstand, da fühlt man sich sicher.“ Sicher fühlt er sich außerdem in seinem Tun. „Wenn ich merken würde, dass ich keine Kontrolle mehr über mein Fahrrad habe, dann würde ich auch nicht mehr damit fahren“, sagt er.

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In der Heimat geht es weiter

Schluss ist jetzt mit den langen Touren, aber in der Heimat kennt Stockert noch keine Grenzen. „Ich fahre zu jedem Auswärtsspiel von unseren Vereinen“, sagt der 90-Jährige. In der Landesliga Schleswig-Holstein kennt er jedes Stadion. Und solange er noch kann, fährt Stockert auch gern seine Lieblingsstrecke: Über 100 Kilometer für ein Fischbrötchen in Schleswig.