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  • Polizei führt Großrazzia gegen 20 mutmaßliche Reichsbürger durch, konzentriert im Bodensee-Hinterland und weiteren acht Bundesländern, um Einschüchterungsversuche zu ahnden.
  • Beamte beschlagnahmen Computer, Laptops, Festplatten, Handys und Waffen; den Beschuldigten wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen.
  • Keine Festnahmen, da keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr besteht; Durchsuchungen betreffen vor allem kleine Landgemeinden.
  • Innenminister Thomas Strobl betont die Stärke des Staates und die wehrhafte Demokratie, unterstreicht die vernetzte Arbeit der Sicherheitsbehörden.
  • Ursache für das Reichsbürger-Problem im Südwesten wird in der esoterischen und autonomen Tradition der Region sowie der Distanz zu politischen Zentren gesehen.
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Sie beleidigten Vertreterinnen und Vertreter von Behörden in ganz Deutschland, bedrohten sie teilweise mit dem Tod und bezichtigten sie, Menschenrechts- und Kriegsverbrechen begangen zu haben.

Am Donnerstag hatten diese Einschüchterungsversuche Konsequenzen für rund 20 mutmaßliche Reichsbürger in acht Bundesländern: 280 Beamte, darunter auch Spezialkräfte, standen mit Durchsuchungsbeschlüssen vor ihren Türen, durchkämmten ihre Wohnungen und beschlagnahmten zahlreiche Computer, Laptops, Festplatten, Handys, Pfeffersprays sowie eine Schreckschusswaffe.

Den 20 Beschuldigten im Alter zwischen 25 und 74 Jahren wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Darauf stehen im Falle einer Verurteilung bis zu fünf Jahre Gefängnis. Festgenommen wurde niemand, da keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr bestehen würde, wie Florian Weinzierl von der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft München dem SÜDKURIER sagte.

Wohnung nahe Salem durchsucht

Auffallend ist, dass der Schwerpunkt der Aktion mit zehn Durchsuchungen in Baden-Württemberg lag und dort besonders im Umkreis des Bodensees. Erst im Dezember 2022 sorgten Reichsbürger-Razzien bei vier Gebäuden in Überlingen und Frickingen (Bodenseekreis) für erhebliches Aufsehen.

Eins der Gebäude in Überlingen, die die Polizei bei einer Reichsbürger-Razzia im Dezember 2022 durchsuchte.
Eins der Gebäude in Überlingen, die die Polizei bei einer Reichsbürger-Razzia im Dezember 2022 durchsuchte. | Bild: Stefan Hilser

Nun standen erneut fünf Wohnungen im Hinterland des Bodensees im Visier der Ermittler. Sie befinden sich in einer Gemeinde nahe Salem im Bodenseekreis sowie in den Landkreisen Sigmaringen, Tuttlingen, Ravensburg und Biberach, wie Oberstaatsanwalt Weinzierl bestätigte. Genauere Angaben dürfe er aufgrund des Persönlichkeitsschutzes nicht machen, weil fast ausschließlich Wohnungen in kleinen Landgemeinden mit geringer Bevölkerungszahl betroffen seien.

Strobl: „Unsere Demokratie ist wehrhaft“

Vier weitere Wohnungen durchsuchten die baden-württembergischen Ermittler in den Landkreisen Tübingen, Rastatt, Karlsruhe und im Zollernalbkreis. Dort fand zudem eine Durchsuchung einer Haftzelle im Gefängnis Hechingen statt.

„Denjenigen, die die Existenz unseres Staates leugnen, zeigen wir: Dieser Staat ist stark, unsere Demokratie wehrhaft“, teilte der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) mit. Die bundesweit geführten Ermittlungen würden beweisen, dass die Sicherheitsbehörden vernetzt und mit aller Entschlossenheit zusammenarbeiten, um die Gesellschaft und Demokratie zu schützen, so Strobl.

Thomas Strobl (CDU), Innenminister von Baden-Württemberg
Thomas Strobl (CDU), Innenminister von Baden-Württemberg | Bild: Marijan Murat/DPA
Mehrere hundert Teilnehmer zogen im Oktober 2023 bei einer Reichsbürger-Demonstration mit Flaggen des Königreichs Preußen ...
Mehrere hundert Teilnehmer zogen im Oktober 2023 bei einer Reichsbürger-Demonstration mit Flaggen des Königreichs Preußen (schwarz-weiß-schwarz mit Adler) durch die Innenstadt von Dresden. | Bild: Daniel Schäfer/dpa

Massen-Mails sollten Behörden lahm legen

Anfang des Jahres 2021 kamen die Ermittler den mutmaßlichen Reichsbürgern auf die Spur. Damals gerieten laut Generalstaatsanwaltschaft München mehrere Kanäle auf dem Instant-Messaging-Dienst Telegram in den Fokus der Behörden. Über diese Kanäle wurden einerseits Reichsbürger-typische Thesen und Verschwörungstheorien verbreitet. Andererseits bot das „Telegram-Netzwerk von Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern“, wie es die Ermittler nannten, ab Mitte August 2021 angeblichen Opfern staatlichen Handelns „Hilfe“ an.

Der Betreiber der Kanäle ist ein 58-jähriger Deutscher aus dem oberbayerischen Landkreis Fürstenfeldbruck. Er organisierte laut den Ermittlern auch die massenhafte Kontaktaufnahme per Telefon und E-Mail mit Behörden, um deren Kommunikationswege zu blockieren und damit Einfluss auf deren Entscheidungen im Sinne der mutmaßlichen Reichsbürger zu erzwingen.

Rädelsführer wegen Volksverhetzung angeklagt

Ziel der Gruppierung war es, die Bundesrepublik Deutschland sowie ihre staatlichen Einrichtungen zu destabilisieren und rechtmäßiges staatliches Handeln durch die beschriebene Vorgehensweise zu verhindern oder zumindest zu erschweren.

Als mutmaßlichen Rädelsführer der Reichsbürger-Gruppe konnte die Polizei den 58-jährigen Betreiber der Telegram-Kanäle ermitteln und im November 2021 festnehmen. Im April 2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft München den 58-Jährigen unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung, Volksverhetzung und Nötigung bei der Staatsschutzkammer des Landgerichts München angeklagt. Das Verfahren ist nach Angaben der Ermittler noch nicht abgeschlossen. Für ihn und für alle anderen Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.

Warum der Südwesten ein Reichsbürger-Problem hat

Während es in Bayern nur zu zwei Durchsuchungen in Wohnungen von mutmaßlichen Reichsbürgern kam, waren es in Baden-Württemberg derer gleich zehn. Der Verfassungsschutz in Stuttgart geht von etwa 3800 mutmaßlichen Reichsbürgern im Südwesten aus – deutschlandweit ein absoluter Schwerpunkt. Doch warum ist Baden-Württemberg von der staats- und demokratiefeindlichen Ideologie der Reichsbürger stärker betroffen?

Reichsflaggen werden im August 2023 bei einer Reichsbürgerkundgebung auf dem Magdeburger Domplatz hochgehalten.
Reichsflaggen werden im August 2023 bei einer Reichsbürgerkundgebung auf dem Magdeburger Domplatz hochgehalten. | Bild: Heiko Rebsch/dpa

Experten sehen die Wurzeln in der wechselhaften Geschichte des Landes. Traditionell seien esoterische und alternative Weltanschauungen in Süddeutschland und im Alpenraum sehr stark, sagte Michael Blume, Politik- und Religionswissenschaftler und seit 2018 Beauftragter gegen Antisemitismus der Landesregierung, der „Tagesschau“.

Radikalisierungspotenzial bei Esoterikern höher

Die Menschen hier legten schon immer großen Wert auf Autonomie und selbstständiges Leben, so Blume. Hinzu komme die Topographie: Die südlichen Bundesländer liegen weit weg von den politischen Zentren. „In Regionen, wo sich Menschen zwischen den Bergen selber organisieren, entsteht Ehrenamt, Zivilgesellschaft, Parlamente. Aber leider auch ein Hang zu Verschwörungsmythen und Esoterik“, sagte Blume.

Das beobachte man in Baden-Württemberg, aber auch in Österreich oder der Schweiz. Das heiße nicht, dass jeder Esoteriker zum gefährlichen Staatsfeind werden könne, aber das Radikalisierungspotenzial sei größer. Wer etwa alternative Medizin einkaufe, weil er den Ärzten nicht traue, sei auch generell anfällige dafür, andere Institutionen zu hinterfragen, und könne in einer Art Radikalisierungsspirale landen. „Reichsbürger sind leider ein extremer Ausdruck davon“, so Blume weiter.