Es gibt keine Ecke in Hohentengen, die Klaus Burger nicht kennt. „Hier war ich lange Ministrant“, sagt er und weist auf die Kirche mit dem riesigen Turm. Hier das Elternhaus, hier der Metzger, die Streuobstwiese des Bruders. Die vielen „hier“ geben die Quersumme Heimat. Der CDU-Abgeordnete für den Wahlkreis Sigmaringen bewegt sich trittsicher in seinem Heimatstädtle. 4268 Einwohner. Am 14. März will er in den Landtag gewählt werden. Genauer gesagt: Er will etwas zurückholen.

Vor fünf Jahren brach eine schwarze Welt zusammen

Und das kommt so: Im Frühjahr 2016 stürzte im konservativ geprägten alten Hohenzollerischen eine politische Welt ein. Die Lehrerin Andrea Bogner-Unden holte eine hauchdünne Mehrheit (33,7 Prozent) und nahm der CDU das Direktmandat für den Landtag ab. Den CDU-Mann Klaus Burger wollten damals 32,2 Prozent der Wähler. Über das Zweitmandat schaffte es Burger doch noch ins Parlament. Er sitzt drin, aber sein Sessel ist dünn gepolstert.

Ein Schaffer und Vereinsmensch: Klaus Burger bei einem Musikfest, links von ihm Landrätin Stefanie Bürkle.
Ein Schaffer und Vereinsmensch: Klaus Burger bei einem Musikfest, links von ihm Landrätin Stefanie Bürkle. | Bild: Burger

„Das war schmerzhaft“, sagt er heute. Wir sitzen im Hobbyraum seines Hauses in Hohentengen. Eine gemütliche Stube mit Fasnachtsmasken, Souvenirs, Familienfotos. Eine warme Höhle für Kindergeburtstage und auch Männergespräche. Die Welt von Klaus Burger, den Schaffer. Seine Frau schaut wie zufällig vorbei und bringt einen Teller mit den letzten Weihnachtsgutsle vorbei. „Älles selber g‘macht“, sagt sie.

In Oberschwaben galten die Grünen früher als Spinner

Der Wahlkreis Sigmaringen galt bis 2016 als sichere Bank für der Schwarzen. Selbst 2011, als die Landes-CDU mit den Machenschaften eines Stefan Mappus unterging, konnte Tanja Gönner das Mandat für CDU halten. Doch ein Jahr später zog sich die Ex-Ministerin aus der Landespolitik zurück – entnervt von den innerparteilichen Kämpfen, bei denen sie mehrfach unterlag.

Klaus Burger, dem bisher unauffälligen Zweitkandidaten, fiel der Sitz im Landtag in den Schoß. Der gelernte Sparkassenmann dachte, das würde 2016 alles so bleiben. In Sigmaringen, dieser geregelten Welt zwischen Bauern, Kirchen und Fürstenhaus, der Donau und kleinen Betrieben. Was 2016 geschah, lässt ihn bis heute Grübeln. Eine schlagende Antwort fällt ihm schwer.

Wahlkampf im Schatten des Landesvaters

Die Analyse liefern andere: Der Wahlkreis steht im Bann von Winfried Kretschmann. Der Landesvater wohnt in Laiz bei Sigmaringen im umgebauten Bauernhaus seiner Frau Gerlinde. Er ist präsent, wandert, besucht Vereine, kniet in der Kirche. Kurioserweise hat Winfried Kretschmann seinen Wahlkreis in Nürtingen, weil er dort erstmals 1980 für den Landtag kandidierte und nie wechselte. Davon profitieren die Grünen im Kreis Sigmaringen – und besonders eine nahezu Unbekannte: 2016 kam Andrea Bogner-Unden in den Genuss der Kretschmann-Dividende.

Andrea Bogner-Unden holte 2016 das Direktmandat – und beendete die Selbstgewissheit, mit der die CDU im Kreis Sigmaringen amtierte.
Andrea Bogner-Unden holte 2016 das Direktmandat – und beendete die Selbstgewissheit, mit der die CDU im Kreis Sigmaringen amtierte. | Bild: Fricker, Ulrich

Sie nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn sie über das schwarze Debakel spricht. „Die Leute hatte die Nase voll von der CDU. Von vielen wurde sie als Inbegriff von schwarzem Filz empfunden.“

Das war einmal der Wahlkreis der Minister

Die damals 60-jährige Lehrerin an der katholischen Schule in Wald hatte nicht mit ihrer Wahl gerechnet, erinnert sie sich im Gespräch mit dem SÜDKURIER. Dass sie doch die Nase vorne hatte, führt auch sie auf den K-Faktor zurück.

Jahrzehntelang hatte Dietmar Schlee den Wahlkreis vertreten. Ein politisches Schwergewicht und gefühlter Bürgerkönig, der manchen staubigen Feldweg zur schmucken Landstraße ausbauen ließ, wenn einer der 25 Bürgermeister im Gäu anklopfte. Auf Schlee folgte Tanja Gönner, dann Klaus Burger. Selbst CDU-Leute räumen ein: Der Kreis zwischen Schwäbischer Alb und Donau war früher machtvoller in Stuttgart vertreten.

Am 14. März will Klaus Burger wieder direkt ins Landesparlament einziehen. Mit Susanne Eisenmann habe seine Partei die richtige ...
Am 14. März will Klaus Burger wieder direkt ins Landesparlament einziehen. Mit Susanne Eisenmann habe seine Partei die richtige Spitzenkandidatin, sagt er. | Bild: Fricker, Ulrich

Er sagt: Eisenmann ist die richtige Kandidatin

2021 will Burger die verlorene Zeit zurückholen. Mit Eisenmann setze die CDU auf die richtige Lokomotive. Klar, die Frau sei kantig. Doch genau das sei gut für die CDU: Das Kantige, und dass sich eine was traut. Er verweist auf die 94,9 Prozent, die Eisenmann holte, als sie 2019 zur Spitzenkandidatin gekürt wurde.

In der Corona-Krise hat die Schulministerin einen guten Job gemacht, sagt er. „Als Kultusministerin hat sie nach Amtsantritt Lehrer, Eltern und Schüler in kürzester Zeit hinter sich gebracht, weil sie eine Einstellungsoffensive für Lehrer gestartet hat.“

Feine Spitze gegen die Grünen: Die CDU setzt auf eine Frau an der Spitze

Was Burger besonders einleuchtet: Für die Topfrau der Landes-CDU steht das Wohl der Kinder ganz vorne. Deshalb auch setze sie sich für ein zeitiges Öffnen von Kitas und Grundschulen ein, wofür sie von vielen Kritikern gebeutelt wurde. Ihm hat das imponiert. Mit einigem Hintersinn dreht er ein bekanntes Grünen-Argument um und fordert: „Wir brauchen gerade jetzt eine Frau an der Spitze.“

Er will es vielen recht machen

Selbst politische Gegner räumen ein: Der Burger ist ein rechter Kerle. Schaffig, umtriebig. Und sehr auf Ausgleich bedacht, recht harmoniesüchtig. Ein Vereinsmeier im besten Sinne, der es vielen recht machen will. Macht kommt von machen.

Seine Welt: Klaus Burger nimmt am Blutritt in Weingarten teil – für ihn ist der Blutfreitag einer der schönsten Tage im Jahr.
Seine Welt: Klaus Burger nimmt am Blutritt in Weingarten teil – für ihn ist der Blutfreitag einer der schönsten Tage im Jahr. | Bild: Burger

Und was er nicht alles macht: Er ist in der Musikkapelle aktiv, gründete eine Maskengruppe, war Narrenrichter, sitzt im Kreistag. Und er reitet beim Blutritt zu Weingarten mit. Wenn er vom Schnauben der Rösser am frühen Blutfreitag erzählt, von den ersten Takten Marschmusik zwischen den noch feuchten Feldern, dann gerät der Mann ins Schwärmen.

Kenner oder Lobbyist?

Einen Tag in der Woche arbeitet er beim Bauernverband. Seine Gegner nennen ihn deshalb einen Lobbyisten. Klaus Burger sieht es anders: „Wenn man von Landwirtschaft redet, sollte man auch eine Ahnung haben.“ Burger, ein Bauernsohn, hat eine Ahnung, nicht nur vom Streuobst, das neben seinem Haus wächst und ihm 700 Liter Most aufs Jahr abwirft.

Auch bei Vieh, Wald und Getreide redet er mit. Wer in diesem an Naturschönheit reichen Wahlkreis mitreden will, kommt um die Bauern nicht herum. Mitten im Kreisgebiet wird ab Sommer ein Stall für 1000 Kühe hochgezogen, der weit über die Region hinaus Wellen schlägt. Burger windet sich etwas, wenn er auf die gewaltigen Fleischberge angesprochen wird, die eines Tages dort gezüchtet werden. Doch unterm Strich bejaht er die Pläne.

Der größte Stall im Land

Seine Konkurrentin lehnt den Großstall klar ab, aus Gründen der Umwelt (Belastung des Grundwassers) und der bäuerlichen Strukturen (Große gegen Kleine). Was auffällt: Ihre Argumente sind konservativer als seine, wenn man konservativ einmal mit „Bewahren“ übersetzt.

Der Kreis Sigmaringen ist Kretschmann-Land. Andrea Bogner-Unden (Mitte) besucht einen Hof zusammen mit Gerlinde Kretschmann.
Der Kreis Sigmaringen ist Kretschmann-Land. Andrea Bogner-Unden (Mitte) besucht einen Hof zusammen mit Gerlinde Kretschmann. | Bild: Bogner-Unden

Wenn Andrea Bogner-Unden loslegt, wird schnell deutlich: Die Frau hat sich eingearbeitet. Die Journalisten, die sie in den vergangenen fünf Jahren trafen, berichten von den vielen Terminen, die die Grüne absolvierte. Sie besuchte Vereine, sprach mit Ortsvorstehern. Parteifreunde bezeichnen „die Andrea„ als „bürgerliche Grüne“. Lehrerin, vier Söhne. Das Wohnmobil steht vor dem Haus, ist aber ein wenig eingerostet im Coronajahr 2020.

„Königliche Hoheit“ kommt ihr nicht über die Lippen

Die Grünen haben erneut Chancen, die CDU hinter sich zu lassen. Der K-Faktor glänzt nicht mehr so helle wie 2016, doch wirft er noch immer genug Licht ab. Das Klingelputzen bei Empfängen, Narrentreffen und Gemeinderäten zahlt sich langsam aus. Bogner-Unden hat sich bekannt gemacht. Auch bei der prominentesten Familie im Kreis hat sie sich eingeführt und das Haus Sigmaringen-Hohenzollern kennengelernt. Dessen Chef spricht sie ungeniert und korrekt mit „Herr von Hohenzollern“ an. Königliche Hoheit kommt ihr nicht über die Lippen.

AfD als Zünglein an der Waage?

Doch auch Klaus Burger sieht das Direktmandat in Reichweite. Er strebt 35 Prozent an und würde damit an der Grünen vorbeiziehen. Auch wenn seine Konkurrentin mehr wirbelte und doppelt so viele Mitarbeiter hat, könnte er von anderen Faktoren profitieren: Die AfD holte vor fünf Jahren noch stattliche 14,7 Prozent ab. Die Sorgen vieler Bürger wegen der Flüchtlingskrise waren ihr günstig.

Nach der blamablen Vorstellung der AfD im Landtag hoffen die Parteien der Mitte, dass nicht mehr jeder Siebte der AfD seine Stimme gibt. Und zweitens: Den Grünen erwächst in der radikal-ökologischen Klimaliste eine Konkurrenz im eigenen Nest. Beide Trends könnten der CDU nutzen. Burger ist guter Dinge. Ein Ministeramt würde er sich schon auch zutrauen, sagt er zum Abschied.